Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Ecke der Werk­statt auf. Erst sind es nur ein paar, aber wie die Stun­den ge­hen, wer­den es mehr und mehr, sie tür­men sie über­ein­an­der, sie wach­sen auf, bis un­ter die De­cke, sie sta­peln neue da­ne­ben. Sär­ge über Sär­ge, für je­den in der Be­leg­schaft, für je­den im deut­schen Volk! Noch le­ben sie, aber sie zim­mern schon an ih­ren Sär­gen.

      Quan­gel steht un­ter ih­nen. Er be­wegt den Kopf ruck­wei­se wei­ter und wei­ter. Er spürt auch die Ge­fahr, aber sie macht ihn la­chen. Ihn fan­gen sie nie. Er hat sich einen Spaß er­laubt, er hat den gan­zen Ap­pa­rat wild ge­macht, aber er ist nur der alte, duss­li­ge Quan­gel, von Geiz be­ses­sen. Ihn wer­den sie nie ver­däch­ti­gen. Er kämpft wei­ter, im­mer wei­ter.

      Bis sich wie­der die Tür öff­net und der Herr mit den mes­ser­scharf ge­bü­gel­ten Ho­sen her­vor­kommt. Ihm folgt ein an­de­rer, ein lan­ger, schlenk­ri­ger Mann mit ei­nem sand­far­be­nen Schnurr­bart, den er zärt­lich strei­chelt.

      So­fort hört an al­len Plät­zen die Ar­beit auf.

      Und wäh­rend der Bü­ro­herr schreit: »Be­leg­schaft! Fei­er­abend!« – wäh­rend sie wie er­löst und doch un­gläu­big die Werk­zeu­ge aus der Hand le­gen – wäh­rend lang­sam in ihre stumpf ge­wor­de­nen Au­gen wie­der Licht tritt – wäh­rend­dem hat der lan­ge Mann mit dem hel­len Schnurr­bart ge­sagt: »Werk­meis­ter Quan­gel, ich ver­haf­te Sie we­gen des drin­gen­den Ver­dachts von Lan­des- und Hoch­ver­rat. Ge­hen Sie mir un­auf­fäl­lig vor­an!«

      Arme Anna – dach­te Quan­gel und ging lang­sam, hoch er­ho­ben den Kopf mit dem Vo­gel­pro­fil, dem Kom­missar Esche­rich vor­an aus der Werk­statt.

      48. Montag, der Tag des Kommissars Escherich

      Dies­mal hat­te der Kom­missar Esche­rich rasch und feh­ler­frei ge­ar­bei­tet.

      Kaum hat­te ihn die te­le­fo­ni­sche Nach­richt er­reicht, dass zwei Post­kar­ten in ei­ner mit acht­zig Mann be­setz­ten Werk­statt der Mö­bel­fa­brik Krau­se & Co. ge­fun­den sei­en, da hat­te er ge­wusst: dies war die Stun­de, auf die er so lan­ge ge­war­tet, jetzt hat­te der Kla­bau­ter­mann end­lich den so lan­ge er­war­te­ten Feh­ler ge­macht. Jetzt wür­de er ihn fas­sen!

      Fünf Mi­nu­ten dar­auf hat­te er ge­nü­gend Mann­schaf­ten zur Abrie­ge­lung des gan­zen Fa­brik­ge­län­des an­ge­for­dert und saus­te in dem vom Ober­grup­pen­füh­rer selbst ge­steu­er­ten Mer­ce­des zur Fa­brik.

      Aber wäh­rend Prall da­für war, so­fort die acht­zig Mann aus der Werk­statt zu ho­len und je­den Mann ein­zeln so lan­ge zu ver­neh­men, bis die Wahr­heit ans Ta­ges­licht ge­kom­men war, hat­te Esche­rich ge­sagt: »Ich brau­che so­fort eine Lis­te al­ler in der Werk­statt Ar­bei­ten­den mit ih­ren Woh­nun­gen. Wie rasch kann ich die ha­ben?«

      »In fünf Mi­nu­ten. Was wird mit den Leu­ten? Sie ha­ben in fünf Mi­nu­ten Fei­er­abend.«

      »Zum Schich­ten­de las­sen Sie ih­nen sa­gen, dass sie wei­ter­zu­ar­bei­ten ha­ben. Grün­de un­nö­tig. Jede Tür zur Werk­statt ist mit Dop­pel­pos­ten zu be­set­zen. Nie­mand ver­lässt den Raum. Sor­gen Sie da­für, dass dies al­les mög­lichst un­auf­fäl­lig ge­schieht, jede Beun­ru­hi­gung der Leu­te ist zu ver­mei­den!«

      Und als der Kon­to­rist mit der Lis­te her­ein­kommt: »Der Kar­ten­schrei­ber muss in der Cho­do­wiecki- oder in der Ja­blon­ski- oder in der Christ­bur­ger Stra­ße woh­nen. Wer von den acht­zig wohnt dort?«

      Sie se­hen die Lis­te durch: Kei­ner! Kein ein­zi­ger!

      Noch ein­mal schi­en das Glück Otto Quan­gel ret­ten zu wol­len. Er ar­bei­te­te in ei­ner frem­den Be­leg­schaft, er stand nicht auf der Lis­te.

      Der Kom­missar Esche­rich schob die Un­ter­lip­pe vor, zog sie rasch wie­der zu­rück und biss zwei-, drei­mal kräf­tig auf sei­nen Bart, den er eben noch ge­strei­chelt hat­te. Er war sei­ner Sa­che ganz si­cher ge­we­sen und war nun maß­los ent­täuscht.

      Aber au­ßer der Miss­hand­lung des ge­lieb­ten Bar­tes ließ er sich von sei­ner Ent­täu­schung nichts mer­ken, son­dern er sag­te kühl: »Wir spre­chen jetzt die Per­so­nal­ver­hält­nis­se ei­nes je­den Ar­bei­ters durch. Wer von den Her­ren kann ge­naue An­ga­ben ma­chen? Sie sind der Per­so­nal­chef? Schön, also be­gin­nen wir, Abe­king, Her­mann … Was ist be­kannt über den Mann?«

      Es ging un­end­lich lang­sam vor­an. Nach fünf Vier­tel­stun­den wa­ren sie erst beim Buch­sta­ben H.

      Ober­grup­pen­füh­rer Prall rauch­te Zi­ga­ret­ten, die er gleich wie­der aus­drück­te. Er be­gann Flüs­ter­ge­sprä­che, die nach we­ni­gen Sät­zen wie­der ver­san­de­ten. Er trom­mel­te mit den Fin­gern Mär­sche auf die Fens­ter­schei­ben. Er fing plötz­lich scharf an: »Ich fin­de das al­les blöd! Viel ein­fa­cher wäre es doch …«

      Kom­missar Esche­rich sah nicht ein­mal hoch. Jetzt hat­te ihn die Angst vor sei­nem Vor­ge­setz­ten end­lich ver­las­sen. Er muss­te den Mann fin­den, er gab sich aber zu, dass ihn der Mis­ser­folg mit den Stra­ßen stark stör­te. Prall konn­te noch so un­ge­dul­dig wer­den, auf eine Mas­sen­ver­neh­mung ließ er sich nicht ein.

      »Wei­ter bit­te!«

      »Kämp­fer, Eu­gen – das ist der Werk­meis­ter!«

      »Kommt nicht in Fra­ge, bit­te um Ent­schul­di­gung. Hat sich be­reits heu­te Mor­gen um neun Uhr die Hand in der Ho­bel­ma­schi­ne ver­letzt. Statt sei­ner macht Werk­meis­ter Quan­gel heu­te Dienst …«

      »Also wei­ter: Krull, Otto …«

      »Ich bit­te noch­mals um Ent­schul­di­gung: Werk­meis­ter Quan­gel steht nicht auf der Lis­te des Herrn Kom­missars …«

      »Stö­ren Sie doch nicht ewig! Wie lan­ge sol­len wir denn hier noch sit­zen? Quan­gel, die­ses alte Rie­sen­ross, kommt doch nie in Fra­ge!«

      Aber Esche­rich, ein Fünk­chen Hoff­nung glimmt wie­der in ihm, fragt: »Wo wohnt die­ser Quan­gel?«

      »Wir müs­sen erst mal nach­se­hen, weil er nicht zu die­ser Be­leg­schaft ge­hört.«

      »Also las­sen Sie doch nach­se­hen! Biss­chen schnell, was? Ich hat­te um eine voll­stän­di­ge Lis­te ge­be­ten!«

      »Na­tür­lich wird nach­ge­se­hen. Aber ich sage Ih­nen, Herr Kom­missar, bei die­sem Quan­gel han­delt es sich um einen fast völ­lig ver­trot­tel­ten al­ten Mann, der üb­ri­gens schon vie­le Jah­re in un­serm Be­trieb ar­bei­tet. Wir ken­nen den Mann durch und durch …«

      Der Kom­missar wink­te ab. Er wuss­te, wie viel Irr­tü­mern sich Men­schen hin­ge­ben, die ihre Mit­menschen durch und durch zu ken­nen glau­ben.

      »Nun?«, frag­te er ge­spannt den wie­der ein­tre­ten­den Bü­ro­jüng­ling. »Nun!«

      Nicht ohne Fei­er­lich­keit sag­te der jun­ge Mann: »Werk­meis­ter Quan­gel wohnt in der Ja­blons­ki­stra­ße Num­mer …«

      Esche­rich sprang auf. Mit ei­ner bei ihm ganz un­ge­wohn­ten Er­re­gung rief er: »Das ist er! Ich habe den Kla­bau­ter­mann!«

      Und Ober­grup­pen­füh­rer Prall schrie: »Nichts wie her mit dem Schwein! Und dann schlei­fen, schlei­fen, nichts wie schlei­fen!«

      Die Er­re­gung war all­ge­mein.

      »Der


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