Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Ich bit­te, vor­schla­gen zu dür­fen, dass wir erst ein­mal in der Woh­nung die­ses Quan­gel eine klei­ne Haus­su­chung ma­chen.«

      »Aber wozu die­se Um­stän­de, Esche­rich? Nach­her läuft uns der Kerl wo­mög­lich fort!«

      »Aus die­sem Bau kommt jetzt kei­ner mehr raus! Aber wenn wir was in der Woh­nung fin­den, das ihn ohne Wei­te­res über­führt, das je­des Leug­nen un­mög­lich macht? Das wür­de uns viel Ar­beit spa­ren! Jetzt ist da­für der rich­ti­ge Zeit­punkt! Jetzt, wo der Mann und sei­ne Fa­mi­lie noch nicht weiß, dass wir ihn in Ver­dacht ha­ben …«

      »Viel ein­fa­cher ist es doch, dem Mann die Ein­ge­wei­de lang­sam aus dem Lei­be zu lei­ern, bis er ge­steht. Aber mei­net­hal­ben: fas­sen wir gleich die Frau auch! Aber das sage ich Ih­nen, Esche­rich, wenn der Kerl hier un­ter­des Schwei­ne­rei­en macht, sich in ’ne Ma­schi­ne schmeißt und so was, dann fah­re ich wie­der mit Ih­nen Schlit­ten! Ich will den Kerl bau­meln se­hen!«

      »Das wer­den Sie auch! Ich wer­de die­sen Quan­gel un­un­ter­bro­chen durch die Tür be­ob­ach­ten las­sen. Die Ar­beit geht wei­ter, mei­ne Her­ren, bis wir zu­rück sind – ich den­ke, in etwa ei­ner Stun­de …«

      49. Die Verhaftung Anna Quangels

      Nach­dem Otto Quan­gel ge­gan­gen war, ver­fiel Anna Quan­gel in einen Zu­stand be­nom­me­nen Vor­sich­hin­brü­tens, aus dem sie aber bald wie­der hoch­schreck­te. Sie tas­te­te die Bett­de­cke nach den bei­den Post­kar­ten ab, fand sie aber nicht. Sie über­leg­te und konn­te sich nicht er­in­nern, dass Otto die Kar­ten mit­ge­nom­men hat­te. Nein, im Ge­gen­teil, jetzt wuss­te sie wie­der ge­nau, dass sie selbst mor­gen oder über­mor­gen die Kar­ten weg­brin­gen woll­te – so war es aus­ge­macht.

      Die Post­kar­ten muss­ten also in der Woh­nung sein. Und sie be­ginnt, ei­sig oder durch­glüht vom Fie­ber, die Nach­su­che. Sie dreht die Woh­nung um, sie sucht zwi­schen der Wä­sche, sie kriecht un­ter das Bett. Sie at­met nur müh­sam, manch­mal setzt sie sich auf die Bett­kan­te, weil sie ein­fach nicht wei­ter­kann. Sie zieht die De­cke um sich und starrt vor sich hin, jetzt hat sie die Post­kar­ten ganz ver­ges­sen. Aber gleich schreckt sie wie­der hoch und be­ginnt von Neu­em mit der Nach­su­che.

      So ver­bringt sie die Stun­den, bis die Klin­gel an­schlägt. Sie stutzt. Es hat also ge­klin­gelt? Wer kann ge­klin­gelt ha­ben? Wer will et­was von ihr?

      Und sie ver­fällt in ein neu­es fie­be­ri­sches Däm­mern, aus dem sie das zwei­te Klin­gel­zei­chen hoch­schreckt. Dies­mal geht die Klin­gel lan­ge, schrill for­dert sie Ein­lass. Und nun wird so­gar mit den Fäus­ten ge­gen die Tür ge­schla­gen. Sie hört Rufe: »Auf­ma­chen! Po­li­zei! So­fort auf­ma­chen!«

      Anna Quan­gel lä­chelt, und lä­chelnd legt sie sich wie­der ins Bett, die De­cke fest um sich stop­fend. Mö­gen die nur klin­geln und ru­fen! Sie ist krank, sie ist nicht ver­pflich­tet zu öff­nen. Mö­gen die ein an­der­mal wie­der­kom­men oder dann, wenn Otto da ist. Sie macht nicht auf.

      Und wei­ter Klin­geln, Ru­fen, Bum­mern …

      Sol­che Af­fen, die! Als wenn ich des­we­gen auf­mach­te! Die kön­nen mir alle den Bu­ckel langrut­schen!

      In dem Fie­ber­zu­stand, in dem sie jetzt ist, kommt ihr we­der der Ge­dan­ke an die ver­miss­ten Kar­ten noch an die Ge­fahr, die die­ser po­li­zei­li­che Be­such be­deu­tet. Sie freut sich nur, dass sie krank ist und dar­um nicht auf­zu­ma­chen braucht.

      Dann sind die na­tür­lich doch in der Stu­be, fünf oder sechs Män­ner – ha­ben sich einen Schlos­ser ge­holt oder mit ei­nem Diet­rich die Türe auf­ge­macht. Die Ket­te hat ja nicht vor­ge­le­gen, we­gen ih­rer Krank­heit hat sie nach Ot­tos Fort­gang nicht über­ge­ket­tet. Gra­de heu­te – sonst liegt die Ket­te im­mer vor.

      »Sie hei­ßen Anna Quan­gel? Sie sind die Frau des Werk­meis­ters Otto Quan­gel?«

      »Ja, lie­ber Herr. Schon acht­und­zwan­zig Jah­re.«

      »Wa­rum ha­ben Sie nicht auf­ge­macht auf un­ser Klin­geln und Klop­fen?«

      »Weil ich krank bin, lie­ber Herr. Ich hab die Grip­pe!«

      »Spie­len Sie uns hier kein Thea­ter vor!«, schreit ein Di­cker in schwar­zer Uni­form da­zwi­schen. »Sie sind so we­nig krank wie mein Arsch! Sie si­mu­lie­ren bloß!«

      Kom­missar Esche­rich winkt sei­nem Vor­ge­setz­ten be­ru­hi­gend zu. Dass die­se Frau wirk­lich krank ist, kann selbst ein Kind se­hen. Und viel­leicht ist es gut, dass sie krank ist: vie­le Leu­te schwat­zen im Fie­ber. Wäh­rend sei­ne Leu­te die Woh­nung zu durch­su­chen be­gin­nen, wen­det sich der Kom­missar wie­der zu der Frau. Er nimmt ihre hei­ße Hand und sagt teil­nahms­voll: »Frau Quan­gel, ich muss Ih­nen lei­der eine schlech­te Nach­richt brin­gen …«

      Er macht eine Pau­se.

      »Na?«, fragt die Frau, aber gar nicht ängst­lich.

      »Ich hab Ihren Mann ver­haf­ten müs­sen.«

      Die Frau lä­chelt. Anna Quan­gel lä­chelt nur. Lä­chelnd schüt­telt sie den Kopf und sagt: »Nee, lie­ber Herr, so was kön­nen Sie mir nicht er­zäh­len! Den Otto ver­haf­tet kei­ner, der ist ein an­stän­di­ger Mensch.« Sie neigt sich zu dem Kom­missar hin­über und flüs­tert: »Wis­sen Sie, lie­ber Herr, was ich glau­be? Ich träu­me das al­les nur. Ich habe näm­lich Fie­ber. Grip­pe, hat der Dok­tor ge­sagt, und im Fie­ber träumt man so was. Ich träu­me das al­les: Sie und den schwar­zen Di­cken und den Herrn dort an der Kom­mo­de, der in mei­ner Wä­sche rum­wühlt. Nee, mein lie­ber Herr, den Otto ha­ben Sie nicht ver­haf­tet, das träu­me ich nur.«

      Der Kom­missar Esche­rich sagt eben­so flüs­ternd: »Frau Quan­gel, jetzt träu­men Sie auch von den Post­kar­ten. Sie wis­sen doch von den Kar­ten, die Ihr Mann im­mer ge­schrie­ben hat?«

      Aber so sehr hat das Fie­ber Anna Quan­gels Sin­ne nicht ver­wirrt, dass sie nicht bei dem Wort »Post­kar­ten« auf­merk­te. Sie schreckt zu­sam­men. Ei­nen Au­gen­blick ist das Auge, das auf den Kom­missar ge­rich­tet ist, ganz klar und wach. Aber dann sagt sie, wie­der lä­chelnd, mit dem Kopf schüt­telnd: »Was denn für Kar­ten? Mein Mann schreibt doch kei­ne Kar­ten! Wenn was ge­schrie­ben wird hier bei uns, so tu ich das. Aber wir schrei­ben schon lan­ge nicht mehr. Seit mein Sohn ge­fal­len ist, schrei­ben wir nicht mehr. Das träu­men Sie bloß, lie­ber Herr, dass mein Otto Kar­ten ge­schrie­ben hat!«

      Der Kom­missar hat das Zu­sam­men­schre­cken ge­se­hen, aber ein Zu­sam­men­schre­cken ist noch kein Be­weis. So sagt er: »Se­hen Sie, und seit Ihr Sohn ge­fal­len ist, schrei­ben Sie die Post­kar­ten, Sie bei­de. Erin­nern Sie sich nicht mehr an die ers­te Kar­te?«

      Und er wie­der­holt mit ei­ner ge­wis­sen Fei­er­lich­keit: »Mut­ter! Der Füh­rer hat mir mei­nen Sohn er­mor­det! Der Füh­rer wird auch Dei­ne Söh­ne er­mor­den, er wird noch nicht auf­hö­ren, wenn er Trau­er in je­des Haus der Welt ge­bracht hat …«

      Sie horcht. Sie lä­chelt. Sie sagt: »Das hat ’ne Mut­ter ge­schrie­ben! Das hat mein Otto nicht ge­schrie­ben, das träu­men Sie bloß!«

      Und der Kom­missar: »Das hat Otto ge­schrie­ben, und du hast’s ihm dik­tiert! Sag’s!«

      Aber sie schüt­telt den Kopf. »Nein, lie­ber Herr! So was kann ich ja gar nicht dik­tie­ren, da­für reicht mein Kopf nicht …«

      Der Kom­missar steht auf und geht aus der Schlaf­stu­be.


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