Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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du, Doll­fuß!«

      Am Vor­stand­s­tisch ha­ben sie wie­der die Köp­fe über die­sen ver­dreh­ten Kauz zu­sam­men­ge­steckt. Aber jetzt hält nichts mehr den brau­nen Red­ner, er springt auf und schreit: »Du bist nicht in der Par­tei – warum bist du nicht in der Par­tei?«

      Und Quan­gel ant­wor­tet, was er im­mer auf die­se Fra­ge geant­wor­tet hat: »Weil ich je­den Gro­schen brau­che, weil ich Fa­mi­lie habe, dar­um kann ich mir das nicht leis­ten!«

      Der Brau­ne brüllt: »Weil du ein gei­zi­ger Hund bist! Weil du nichts über hast für dei­nen Füh­rer und dein Volk! Wie groß ist denn dei­ne Fa­mi­lie?«

      Und kalt ant­wor­tet ihm Quan­gel ins Ge­sicht hin­ein: »Von mei­ner Fa­mi­lie re­den Sie mir heut nicht, lie­ber Mann! Ich habe ge­ra­de heu­te die Nach­richt be­kom­men, dass mir mein Sohn ge­fal­len ist!«

      Ei­nen Au­gen­blick ist es to­ten­still im Saal, über die Stuhl­rei­hen weg star­ren sich der brau­ne Bon­ze und der alte Werk­meis­ter an. Dann setzt sich Otto Quan­gel plötz­lich, als sei nun al­les er­le­digt, und ein we­nig spä­ter setzt sich auch der Brau­ne. Wie­der er­hebt sich der Ge­ne­ral­di­rek­tor Schrö­der und bringt nun das »Sieg­heil!« auf den Füh­rer aus: Es klingt et­was dünn. Dann ist die Ver­samm­lung ge­schlos­sen.

      Fünf Mi­nu­ten spä­ter steht Quan­gel wie­der in sei­ner Werk­statt; mit et­was er­ho­be­nem Kopf lässt er lang­sam den Blick von der Dick­ten­ho­bel­ma­schi­ne zu der Band­sä­ge wan­dern, von da wei­ter zu den Nag­lern, den Boh­rern, den Bret­ter­trä­gern … Aber es ist der alte Quan­gel nicht mehr, der dort steht. Er fühlt es, er weiß es, er hat sie alle über­lis­tet. Vi­el­leicht auf eine häss­li­che Wei­se über­lis­tet, in­dem er aus dem Tode des Soh­nes Ka­pi­tal schlug, aber soll man zu sol­chen Bies­tern an­stän­dig sein? Nee!, sagt er fast laut zu sich. Nee, Quan­gel, der alte wirst du nie wie­der. Ich bin doch mal neu­gie­rig, was Anna zu dem al­len sagt. Ob der Doll­fuß gar nicht wie­der auf sei­nen Ar­beits­platz kommt? Dann muss ich heu­te noch einen an­de­ren an­for­dern. Wir sind im Rück­stand …

      Aber kei­ne Ban­ge, der Doll­fuß kommt. Er kommt so­gar in der Beglei­tung ei­nes Ab­tei­lungs­lei­ters, und dem Werk­meis­ter Otto Quan­gel wird er­öff­net, dass er zwar die tech­ni­sche Lei­tung die­ser Werk­statt be­hal­te, dass er aber sein Amt in der DAF hier an den Herrn Doll­fuß ab­zu­ge­ben und sich um Po­li­tik über­haupt nicht mehr zu küm­mern habe. »Ver­stan­den?«

      »Und ob ich das ver­stan­den habe! Ich bin froh, dass du mir den Pos­ten ab­nimmst, Doll­fuß! Mein Ge­hör wird im­mer schlech­ter, und hin­hor­chen, wie der Herr sich das vor­hin vor­ge­stellt hat, das kann ich hier in dem Lärm über­haupt nicht.«

      Doll­fuß nickt kurz mit dem Kopf, er sagt rasch: »Und was Sie da vor­hin ge­se­hen und ge­hört ha­ben, dar­über zu kei­nem Men­schen ein Wort, sonst …«

      Fast ge­kränkt ant­wor­tet Quan­gel: »Zu wem soll ich denn re­den, Doll­fuß? Hast du mich schon mal mit ei­nem Men­schen re­den hö­ren? Das in­ter­es­siert mich nicht, mich in­ter­es­siert bloß mei­ne Ar­beit, und da weiß ich, dass wir heu­te fes­te im Rück­stand sind. Es wird Zeit, dass du wie­der an dei­ner Ma­schi­ne stehst!« Und mit ei­nem Blick auf die Uhr: »Eine Stun­de und sie­ben­und­drei­ßig Mi­nu­ten hast du jetzt ver­säumt!«

      Ei­nen Au­gen­blick spä­ter steht der Tisch­ler Doll­fuß wirk­lich an sei­ner Säge, und mit Win­desei­le, kei­ner weiß, wo­her, ver­brei­tet sich in der Werk­statt das Gerücht, der Doll­fuß habe we­gen sei­ner ewi­gen Rau­che­rei und Schwät­ze­rei einen rein­ge­würgt ge­kriegt.

      Der Werk­meis­ter Otto Quan­gel geht aber auf­merk­sam von Ma­schi­ne zu Ma­schi­ne, greift zu, starrt mal einen Schwät­zer an und denkt da­bei: Die bin ich los – für im­mer und ewig! Und sie ha­ben kei­nen Ver­dacht, ich bin bloß ein al­ter Trot­tel für die! Dass ich den Brau­nen mit »lie­ber Mann« an­ge­re­det habe, das hat de­nen den Rest ge­ge­ben! Nun bin ich bloß neu­gie­rig, was ich jetzt an­fan­ge. Denn ir­gend­was fan­ge ich an, das weiß ich. Ich weiß bloß noch nicht, was …

      1 En­gel­bert Doll­fuß war ein ös­ter­rei­chi­scher Po­li­ti­ker. Er fun­gier­te von 1931 bis 1933 als Land­wirt­schafts­mi­nis­ter und von 1932 bis 1934 als Bun­des­kanz­ler, ab 5. März 1933 dik­ta­to­risch re­gie­rend. <<<

      7. Nächtlicher Einbruch

      Am spä­ten Abend, ei­gent­lich ist es schon Nacht, ei­gent­lich ist es schon viel zu spät für das Verab­re­de­te, hat der Herr Emil Bark­hau­sen sei­nen Enno doch noch ge­trof­fen, im Re­stau­rant »Fer­ner lie­fen«. Das hat die Brief­trä­ge­rin Eva Klu­ge mit ih­rem hei­li­gen Zorn doch noch zu­we­ge ge­bracht. Die Her­ren ha­ben sich bei ei­nem Gla­se Bier an ei­nem Eck­tisch zu­sam­men­ge­setzt, und dort ha­ben sie ge­flüs­tert, sie ha­ben so lan­ge ge­flüs­tert – bei ei­nem Gla­se Bier –, bis der Wirt sie dar­auf auf­merk­sam ge­macht hat, dass er schon drei­mal Po­li­zei­stun­de ge­bo­ten hat, und sie möch­ten doch se­hen, dass sie end­lich bei ihre Wei­ber kämen.

      Auf der Stra­ße ha­ben die bei­den ihre Un­ter­hal­tung fort­ge­setzt; sie sind erst ein Stück nach der Prenz­lau­er Al­lee zu ge­gan­gen, und dann hat der Enno wie­der zu­rück­ver­langt, weil es ihm ein­ge­fal­len ist, es wäre viel­leicht doch bes­ser, es bei ei­ner zu ver­su­chen, die er ein­mal ge­habt hat und die Tut­ti ge­nannt wird. Tut­ti, der Pa­vi­an. Bes­ser als sol­che fau­len Ge­schich­ten …

      Der Emil Bark­hau­sen ist fast aus der Haut ge­platzt vor so viel Un­ver­stand. Er hat dem Enno zum zehn­ten, er hat ihm zum hun­derts­ten Male ver­si­chert, dass hier von fau­len Ge­schich­ten nicht die Rede sein kön­ne. Es han­de­le sich viel­mehr um eine – bei­na­he ge­setz­mä­ßi­ge – Be­schlag­nah­me, die un­ter dem Schut­ze der SS er­fol­ge, und au­ßer­dem sei’s doch bloß eine olle Jüd­sche, nach der kein Hahn krä­he. Sie wür­den sich bei­de für eine Zeit lang ge­sund­ma­chen, und die Po­li­zei und das Ge­richt hät­ten da­mit gar nichts zu tun.

      Worauf der Enno wie­der ge­sagt hat: Nein, nein, in sol­chen Sa­chen habe er noch nie sei­ne Fin­ger ge­habt, er ver­stün­de gar nichts da­von. Wei­ber ja und Renn­wet­ten drei­mal ja, aber mit fau­len Fi­schen habe er noch nicht ge­han­delt. Die Tut­ti sei im­mer ganz gut­mü­tig ge­we­sen, ob­wohl sie »der Pa­vi­an« ge­nannt wer­de, die den­ke si­cher nicht mehr dar­an, dass sie ihm da­mals mit ein biss­chen Geld und Le­bens­mit­tel­kar­ten aus­ge­hol­fen habe, ohne es zu wis­sen.

      Da­bei sind sie schon in der Prenz­lau­er Al­lee ge­we­sen.

      Der Bark­hau­sen, die­ser ei­gent­lich im­mer zwi­schen Krie­che­rei und Dro­hen hin und her pen­deln­de Mann, hat är­ger­lich ge­sagt, wo­bei er an sei­nem lo­cke­ren, flie­gen­den Schnurr­bart riss: »Wer zum Kuckuck hat denn von dir ver­langt, dass du was von der Sa­che ver­stehst? Ich wer­de das Kind schon al­lei­ne schau­keln, von meins­we­gen kanns­te mit den Hän­den in der Ta­sche da­bei­ste­hen. Ich pack dir so­gar noch dei­ne Kof­fer, wenn du das auch noch ver­langst! Ver­steh doch end­lich, dass ich dich nur dar­um mit­neh­me, Enno, um mich vor ei­nem Streich von der SS zu schüt­zen, als Zeu­ge ge­wis­ser­ma­ßen, dass es bei der Tei­lung auch rich­tig zu­geht. Denk doch bloß mal dran, was al­les bei ei­ner so rei­chen jü­di­schen Ge­schäfts­frau zu ho­len ist, selbst wenn die Ge­sta­po da­mals, als sie den Mann hol­te, schon ei­ni­ges hat mit­ge­hen


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