Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ist nicht mehr so kla­gend wie an­kla­gend, er ist plötz­lich tief ge­kränkt. »Wenn mei­ne Frau was tut, was nicht recht ist«, sagt er, »so ver­ant­wor­te ich das, Herr Per­si­cke. Ich bin der Gat­te und Va­ter – nach dem Ge­setz. Und wenn mei­ne Kin­der be­sof­fen sind, Sie sind auch be­sof­fen, und Sie sind auch noch ein Kind, ja­wohl, das sind Sie, Mensch!«

      Er sieht Bal­dur zor­nig an, und Bal­dur starrt fun­kelnd zu­rück. Dann macht er sei­nen Brü­dern ein un­merk­li­ches Zei­chen, sich be­reit­zu­hal­ten.

      »Und was ma­chen Sie hier in der Woh­nung von der Ro­sen­thal?«, fragt der jüngs­te Per­si­cke dann scharf.

      »Aber ganz nach Verab­re­dung!«, ver­si­chert Bark­hau­sen jetzt eif­rig. »Al­les wie ver­ab­re­det. Ich und mein Freund, wir ge­hen jetzt gleich. Wir woll­ten ei­gent­lich schon ge­hen. Er auf den Stet­ti­ner; ich auf den An­hal­ter. Je­der zwei Kof­fer, für Sie bleibt ge­nug.«

      Er mur­melt die letz­ten Wor­te nur, er ist halb im Ein­dö­sen.

      Bal­dur be­trach­tet ihn auf­merk­sam. Es geht viel­leicht ohne alle Ge­walt­tä­tig­keit, die bei­den Kerls sind ja so blö­de be­sof­fen. Aber sei­ne Vor­sicht warnt ihn. Er fasst den Bark­hau­sen bei der Schul­ter und fragt scharf: »Und was ist das für ein Mann? Wie heißt der?«

      »Enno!«, ant­wor­tet Bark­hau­sen mit schwe­rer Zun­ge. »Mein Freund Enno …«

      »Und wo wohnt dein Freund Enno?«

      »Weiß ich nicht, Herr Per­si­cke. Nur aus der Knei­pe. Steh­bier­freund. Lo­kal: ›Fer­ner lie­fen‹ …«

      Bal­dur hat sich ent­schie­den. Er stößt plötz­lich dem Bark­hau­sen die Faust ge­gen die Brust, dass der mit ei­nem lei­sen Schrei hin­ter­rücks auf die Mö­bel und die Wä­sche fällt. »Schwein ver­fluch­tes!«, brüllt er. »Wie kannst du zu mir Bril­len­schlan­ge sa­gen? Ich wer­de dir zei­gen, was ich für ein Kind bin!«

      Aber sein Schimp­fen ist schon nutz­los ge­wor­den, die bei­den hö­ren ihn nicht mehr. Die bei­den SS-Brü­der sind schon zu­ge­sprun­gen und ha­ben je­den mit ei­nem bru­tal ge­führ­ten Schlag er­le­digt.

      »So!«, sagt Bal­dur be­frie­digt. »In ei­ner klei­nen Stun­de lie­fern wir die bei­den als er­tapp­te Ein­bre­cher bei der Po­li­zei ab. Un­ter­des räu­men wir run­ter, was wir ge­brau­chen kön­nen. Aber lei­se auf den Trep­pen! Ich habe so ge­lauscht, aber ich habe nicht ge­hört, dass der alte Quan­gel von sei­ner Spät­schicht nach Haus ge­kom­men ist.«

      Die bei­den Brü­der ni­cken. Bal­dur sieht erst auf die be­täub­ten, blu­ti­gen Op­fer, dann auf all die Kof­fer, die Wä­sche, den Ra­dio­ap­pa­rat. Plötz­lich lä­chelt er. Er wen­det sich zum Va­ter: »Na, Va­ter, wie habe ich das Dings ge­dreht? Du mit dei­ner ewi­gen Angst! Siehst du …«

      Aber er spricht nicht wei­ter. In der Tür steht nicht, wie er­war­tet, der Va­ter, son­dern der Va­ter ist ver­schwun­den, spur­los weg. Statt sei­ner steht dort der Werk­meis­ter Quan­gel, die­ser Mann mit dem schar­fen, kal­ten Vo­gel­ge­sicht, und sieht ihn mit sei­nen dunklen Au­gen schwei­gend an.

      Als Otto Quan­gel von sei­ner Spät­schicht nach Haus ging – er hat­te, ob­wohl es we­gen des Rück­stan­des sehr spät ge­wor­den war, kei­ne Elek­tri­sche ge­nom­men, den Gro­schen konn­te er spa­ren –, da hat­te er, vor dem Hau­se an­ge­kom­men, ge­se­hen, dass trotz des Ver­dunk­lungs­be­fehls in der Woh­nung der Frau Ro­sen­thal Licht brann­te. Und bei nä­he­rem Zu­se­hen hat­te er fest­ge­stellt, dass auch bei den Per­sickes und dar­un­ter bei Fromm Licht war, es schim­mer­te an den Rän­dern der Rou­le­aus. Beim Kam­mer­ge­richts­rat Fromm, von dem man nicht ge­nau wuss­te, ob er 33 sei­nes Al­ters oder der Na­zis we­gen in Pen­si­on ge­gan­gen war, brann­te ei­gent­lich stets die hal­be Nacht Licht, bei dem war es nicht ver­wun­der­lich. Und Per­sickes fei­er­ten wohl noch im­mer den Sieg über Frank­reich. Aber dass die alte Ro­sen­thal Licht brann­te und das of­fen in al­len Fens­tern, da stimm­te et­was nicht. Die alte Frau war so ängst­lich und ver­schüch­tert, die wür­de nie ihre Woh­nung so il­lu­mi­nie­ren.

      Da stimmt was nicht!, dach­te Otto Quan­gel, wäh­rend er die Haus­tür auf­schloss und lang­sam an­fing, die Trep­pen hin­auf­zu­stei­gen. Er hat­te es wie im­mer un­ter­las­sen, das Licht ein­zu­schal­ten, er war nicht nur für sich spar­sam, das heißt ge­nau. Er war es für alle, auch für den Haus­wirt. Da stimmt was nicht! Aber was geht es mich an? Die Leu­te ge­hen mich gar nichts an! Ich lebe für mich al­lein. Mit der Anna. Nur wir bei­de. Au­ßer­dem macht viel­leicht die Ge­sta­po da oben gra­de Haus­su­chung. Hübsch, wenn ich da rein­plat­ze! Nein, ich gehe schla­fen …

      Aber der durch den Vor­wurf ›Du und dein Hit­ler‹ so ver­stärk­te Sinn für Ge­nau­ig­keit, den man fast schon Ge­rech­tig­keits­sinn nen­nen konn­te, fand dies Er­geb­nis sei­ner Über­le­gun­gen doch recht dürf­tig. Er stand jetzt war­tend, die Schlüs­sel in der Hand, vor sei­ner Woh­nungs­tür, den Kopf nach oben ge­dreht. Die Tür muss­te dort of­fen­ste­hen, es war eine dämm­ri­ge Hel­le da oben, auch hör­te er eine schar­fe Stim­me spre­chen. Eine alte Frau ganz für sich al­lein, dach­te er plötz­lich zu sei­ner ei­ge­nen Über­ra­schung. Ohne je­den Schutz. Ohne Gna­de …

      In die­sem Au­gen­blick war es, dass eine klei­ne, doch kräf­ti­ge Män­ner­hand ihn aus dem Dun­kel her­aus an der Brust fass­te und ge­gen die Trep­pe hin­dreh­te. Eine sehr höf­li­che, ge­pfleg­te Stim­me sag­te dazu: »Ge­hen Sie bit­te vor­aus, Herr Quan­gel. Ich fol­ge und tau­che im pas­sen­den Au­gen­blick auf.«

      Ohne zu zö­gern, ging Quan­gel nun die Trep­pe hin­auf, eine sol­che über­re­den­de Ge­walt hat­te in die­ser Hand und in die­ser Stim­me ge­le­gen. Das kann nur der alte Rat Fromm ge­we­sen sein, dach­te er. So ein Heim­li­cher. Ich glau­be, ich habe ihn in all den Jah­ren, die ich hier woh­ne, kei­ne zwan­zig­mal bei Tage ge­se­hen, und nun kriecht er hier zur Nacht­zeit auf den Trep­pen her­um!

      Wäh­rend er so dach­te, war er, ohne zu zö­gern, die Trep­pen hin­auf­ge­stie­gen und in der Ro­sent­hal’­schen Woh­nung an­ge­langt. Er hat­te noch ge­se­hen, wie sich bei sei­nem Er­schei­nen eine dick­li­che Ge­stalt – wohl der alte Per­si­cke – über­stürzt in die Kü­che zu­rück­zog, er hat­te auch noch die letz­ten Wor­te Bal­durs ge­hört von dem Ding, das ge­dreht wor­den war, und dass man nicht ewig Angst ha­ben soll­te … Nun stan­den sich die bei­den, Quan­gel und Bal­dur, schwei­gend Auge in Auge ge­gen­über.

      Ei­nen Au­gen­blick glaub­te selbst Bal­dur Per­si­cke al­les ver­lo­ren. Aber dann be­sann er sich auf einen sei­ner Le­bens­grund­sät­ze: Frech­heit siegt, und sag­te et­was her­aus­for­dernd: »Ja, da stau­nen Sie! Aber Sie sind ein biss­chen zu spät ge­kom­men, Herr Quan­gel, wir ha­ben die Ein­bre­cher er­wi­scht und un­schäd­lich ge­macht.« Er mach­te eine Pau­se, aber Quan­gel schwieg. Et­was mat­ter setz­te Bal­dur hin­zu: »Ei­ner von den bei­den Ra­ben scheint üb­ri­gens der Bark­hau­sen zu sein, der hier bei uns auf dem Hofe eine Nut­ten­wirt­schaft dul­det.«

      Quan­gels Blick folg­te Bal­durs wei­sen­dem Fin­ger. »Ja«, sag­te er tro­cken, »ei­ner von den Ra­ben ist der Bark­hau­sen.«

      »Und über­haupt«, ließ sich plötz­lich ganz un­er­war­tet der SS-Bru­der Adolf Per­si­cke ver­neh­men, »was ste­hen Sie hier und star­ren bloß? Sie könn­ten ganz ru­hig auf das Re­vier ge­hen, Quan­gel, und den Ein­bruch mel­den, da­mit die hier die Brü­der ab­ho­len! Wir pas­sen un­ter­des auf!«

      »Stil­le


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