Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ein end­lo­ser Vor­mit­tag nimmt sein Ende. Es kam das Mit­ta­ges­sen, und die Ge­fan­ge­nen lä­chel­ten: Sie hat­ten einen gu­ten Tag, sie be­ka­men ein gu­tes Es­sen. Je­der Mann be­kam in ei­nem bind­fa­den­ge­knüpf­ten Netz an­dert­halb Pfund Pell­kar­tof­feln und dazu in sei­ne Alu­mi­ni­um­schüs­sel eine Kel­le ei­ner scharf ge­würz­ten Sau­ce, in der ei­ni­ge Fleisch­fa­sern schwam­men.

      Ich schäl­te müh­sam mei­ne Kar­tof­feln mit dem Löf­fel; Ga­bel und Mes­ser wa­ren in die­sem Haus der stän­di­gen Schlä­ge­rei­en zu ge­fähr­lich. Wenn ich die mit mir Es­sen­den be­trach­te­te, so sah ich ei­ni­ge, die ta­ten wie ich; sie leg­ten ihre Kar­tof­feln in die Sau­ce und war­te­ten mit dem Es­sen, bis sie fer­tig mit Schä­len wa­ren. Aber wir wa­ren bei Wei­tem in der Min­der­zahl, vie­le Schä­ler wa­ren so aus­ge­hun­gert, dass sie nicht war­ten konn­ten: Die meis­ten Kar­tof­feln ver­schwan­den eben ge­schält im Mun­de, nur we­ni­ge er­reich­ten die Brü­he.

      Schä­len ta­ten, wie ich sah, alle die Kar­tof­feln, aber ich sah in mei­ner Nähe einen di­cken, un­ter­setz­ten Mann mit ei­sen­grau­em Kopf und dem rot­braun ge­brann­ten Ge­sicht ei­nes Land­ar­bei­ters, der wäh­rend des Schä­lens auch die Scha­len auf­fraß. Kaum hat­te ich fer­tig­ge­schält, warf er einen fra­gen­den Blick auf mich, und schon fuhr sei­ne schwie­li­ge Hand über den Tisch, kratz­te auf ein­mal all mei­nen Ab­fall zu­sam­men und schob ihn in den Mund.

      »Mann!«, rief ich. »Da war ja eine völ­lig ver­faul­te Kar­tof­fel zwi­schen!«

      »Macht nichts, Kum­pel«, sag­te er, eif­rig kau­end. »Ich muss den gan­zen Tag mä­hen, ich werd’ nie satt. Vi­el­leicht kann ich mir heu­te Abend Schwei­ne­kar­tof­feln klau­en. Hof­fent­lich …«

      Er war nicht ein ein­zel­ner Ver­fres­se­ner, alle hat­ten Hun­ger, im­mer, auch di­rekt nach dem Es­sen. Ich sah Kran­ke her­um­ge­hen und die kleins­ten Kar­tof­fel­krü­mel­chen von dem Tisch fort­steh­len, an­de­re kratz­ten die schon ach so blan­ken Schüs­seln nach; einen sah ich auf dem Flur den Sau­cen­kes­sel mit dem im­mer wie­der ab­ge­leck­ten Fin­ger blank po­lie­ren. All dies ge­sch­ah un­ter den Au­gen der Wacht­meis­ter, die es als selbst­ver­ständ­lich an­sa­hen.

      Mir schi­en es un­säg­lich jäm­mer­lich und ge­mein, Kran­ke so hun­gern zu las­sen, aber auch sich zu sol­cher Schüs­sel­le­cke­rei und Ab­fall­fres­se­rei zu ent­wür­di­gen. Nur we­ni­ge Tage soll­ten ver­ge­hen, da dach­te ich we­sent­lich an­ders dar­über und war selbst sehr groß­zü­gig beim Schä­len von Kar­tof­feln, das heißt, glat­te Stel­len ließ ich grund­sätz­lich un­ge­schält. Es ist ein sehr ein­fa­cher Satz: »Hun­ger tut weh«, aber sei­ne Ein­fach­heit nimmt nichts von sei­ner Wahr­heit. Wer Nacht für Nacht vor Hun­ger nicht in den Schlaf kom­men kann, wer am Tage schwind­lig wird vor Hun­ger, der hat nur noch we­nig Be­den­ken hin­sicht­lich der Nah­rungs­mit­tel, mit de­nen er sei­nen Hun­ger stil­len kann.

      Ich grei­fe hier vor, aber ich möch­te die­ses Ka­pi­tel vom Es­sen in ei­ner »Heil«-An­stalt end­gül­tig zu Ende brin­gen, ob­wohl ich es für mich bis heu­te noch nicht zu Ende ge­bracht habe. In der gan­zen An­stalt herrsch­te ein ein­fach schmut­zi­ger Geiz. Nie be­ka­men wir fri­sches Fleisch zu es­sen, nur manch­mal schwam­men Fa­sern – nie­mals auch nur Bröck­chen! – ei­nes ro­ten, al­ten Pö­kel­flei­sches im Es­sen oder in der Sau­ce, sehr rare Fa­sern üb­ri­gens! Nie gab es But­ter, nie Wurst, nie Käse. Nie einen Ap­fel. Und al­les, was es gab, war dann auch noch un­zu­läng­lich, end­los mit Was­ser ver­mischt, schlecht zu­be­rei­tet.

      Wa­rum das al­les so war, ahne ich noch heu­te nicht. Die Ge­fan­ge­nen be­haup­te­ten, der Obe­rin­spek­tor frä­ße al­les selbst auf. Aber auch der ge­frä­ßigs­te Obe­rin­spek­tor kann nicht das Es­sen von ein paar Hun­dert Men­schen ver­til­gen. Vi­el­leicht woll­te man uns nicht zu üp­pig wer­den las­sen, und ich muss zu­ge­ben, selbst bei die­ser Hun­ger­kost wa­ren die Lei­den­schaf­ten noch leb­haft ge­nug im Gan­ge.

      Es gab aber doch im­mer Leu­te un­ter uns, die nicht sol­chen Hun­ger lit­ten, ja, die in ge­wis­sen Gren­zen aus dem Vol­len leb­ten, näm­lich die Kal­fak­to­ren, sie hat­ten die Bro­te für uns zu schnei­den, ab­zu­wie­gen, zu be­strei­chen. Of­fi­zi­ell stand ein Wacht­meis­ter da­bei und pass­te auf, aber klin­gel­te das Te­le­fon, so muss­te der Wacht­meis­ter aus der Kü­che her­aus in den Glas­kas­ten, und schon wa­ren ein paar Stul­len dick ge­schmiert und ver­schwun­den. Ge­fan­ge­ne ha­ben schar­fe Au­gen, und der Hun­ger macht sie nur noch schär­fer; es war un­ver­meid­lich, dass sie von die­sen Un­ter­schla­gun­gen er­fuh­ren. Der hat­te ge­se­hen, wie ein Kal­fak­tor auf dem Klo eine Stul­le kau­te, je­ner, wie er ei­nem »Freund« eine zu­steck­te oder sie für Ta­bak ver­han­del­te.

      Aber an­zei­gen war sinn­los. Erst ein­mal war schwer et­was zu be­wei­sen, ja, es war fast un­mög­lich, denn selbst wenn das Brot ge­fun­den wird, was fast nie ge­schieht, weil näm­lich gar nicht erst nach ihm ge­sucht wird, kann der Kal­fak­tor sa­gen: »Das habe ich mir vom Früh­stück auf­ge­spart.« Und zum an­de­ren wa­ren die Kal­fak­to­ren das lie­be Kind der Be­am­ten, ihre Zu­trä­ger; die Be­am­ten woll­ten nichts ge­gen ihre Kal­fak­to­ren hö­ren. So ge­sch­ah prak­tisch nie et­was da­ge­gen, aber der Neid und der Hass wur­den da­durch stän­dig wach­ge­hal­ten. Im­mer­fort gab es Sti­che­lei­en, An­spie­lun­gen, auch Prü­ge­lei­en. Bei de­nen zo­gen die Prüg­ler im­mer den Kür­ze­ren, sie wan­der­ten in den Ar­rest; sie konn­ten ja nichts be­wei­sen.

      Auch ich war, ich muss es ge­ste­hen, oft fast krank vor Neid, wenn ich sah, wie un­ser im­mer fet­ter wer­den­der Kal­fak­tor das Mit­ta­ges­sen nach ein paar Löf­feln satt bei­sei­te­schob, die­ses sel­be Mit­ta­ges­sen, bei dem ich mit je­dem Bis­sen geiz­te; er aber schenk­te es ei­nem an­de­ren oder ver­scheu­er­te es für einen Pfei­fen­kopf Ta­bak oder eine Zwie­bel oder zwei Streich­höl­zer.

      ›Du Speck­jä­ger!‹, sag­te ich mir dann, ge­nau wie die an­de­ren, ›du hast dich an mei­nem Brot und mei­ner Mar­ga­ri­ne satt ge­fres­sen, und nun ver­schmähst du das kost­ba­re Es­sen, das mei­nem Kör­per so not­wen­dig wäre. Dass du ver­re­cken mö­gest in dei­nem Fett!‹ – So fühl­te ich und schäm­te mich da­bei die­ses er­bärm­li­chen Fut­ter­nei­des um eine Schei­be Brot, die ich zu Hau­se für nichts ge­ach­tet hat­te, und lern­te die has­sen, die mich dazu ge­bracht hat­ten, so zu füh­len, so nied­rig und nei­disch!

      Ei­gent­lich noch schlim­mer als die­se heim­li­che Art, sich Es­sens­vor­tei­le zu ver­schaf­fen, war eine ganz le­ga­le, die von der Ver­wal­tung ge­bil­ligt, ja so­gar ge­för­dert wur­de. Die­je­ni­gen der In­sas­sen näm­lich, die noch wil­li­ge Ver­wand­te drau­ßen hat­ten, durf­ten sich Pa­ke­te mit Le­bens­mit­teln schi­cken las­sen, so oft und so viel sie nur woll­ten.

      Man soll­te den­ken, dass fast je­der der Kran­ken einen sol­chen An­ge­hö­ri­gen drau­ßen hat­te, der ihm we­nigs­tens dann und wann ein Brot ge­schickt hät­te – schon tro­cken Brot war eine heiß be­gehr­te Ware im Hau­se. Dem war aber nicht so.

      Ganz ab­ge­se­hen da­von, dass vie­le der In­sas­sen we­der schrei­ben noch le­sen konn­ten (in die­sem schreck­li­chen Hau­se lag wirk­lich nur der letz­te Aus­schuss der Mensch­heit) oder dass sie schon zu blö­de und stumpf da­für wa­ren, woll­ten die An­ge­hö­ri­gen von den meis­ten nichts mehr wis­sen. Sie hat­ten ih­nen, so­lan­ge sie noch drau­ßen


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