Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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der sich an je­den ver­kauf­te, er war sei­nem Freun­de Herbst treu. Herbst führ­te frei­lich auch ein ge­stren­ges Re­gi­ment über ihn, schlug ihn so­gar manch­mal, so­bald er nach Herbs­tens An­sicht eine Dumm­heit be­gan­gen hat­te, füt­ter­te ihn aber auch bis zum Mäs­ten und hielt ein wach­sa­mes Auge über ihn.

      Kol­zer, ein großer, kräf­ti­ger Jun­ge mit dun­kel­blon­dem Haar, hat­te ein nicht un­schö­nes Ge­sicht, das aber stumpf und ohne Le­ben wirk­te. Er war stark schwach­sin­nig, konn­te we­der le­sen noch schrei­ben, hat­te aber durch das un­er­müd­li­che Be­mü­hen sei­nes Freun­des we­nigs­tens »Mensch är­ge­re dich nicht« spie­len ge­lernt. Aber so un­ent­wi­ckelt Kol­zers Geist auch war, so gut ver­stand es der Jun­ge, sich auf der Sta­ti­on durch­zu­set­zen, und vor al­lem, sich dau­ernd von der Ar­beit zu drücken. Im­mer hat­te er klei­ne, nicht schmerz­haf­te Ver­let­zun­gen oder ge­rin­ge Fie­ber­an­fäl­le, die ihm das Ar­bei­ten ganz un­mög­lich mach­ten.

      Un­ter den Kran­ken herrsch­te des­we­gen eine stän­di­ge Miss­s­tim­mung, bei Schmeid­ler war es ja ganz ähn­lich. »Die jun­gen star­ken Ben­gel sit­zen im Bau, und die al­ten ab­ge­mer­gel­ten Män­ner müs­sen die Ar­beit tun!«

      Das war wohl wahr, aber Kol­zer be­saß auch einen mäch­ti­gen Für­spre­cher in der Per­son sei­nes Freun­des Herbst, der stän­dig im Glas­kas­ten aus und ein ging und der be­vor­zug­te Nach­rich­ten­trä­ger des Ober­pfle­gers war.

      Kol­zer also wur­de mit Mar­ga­ri­ne- und Mar­me­la­den­schnit­ten ge­füt­tert, und da man sich im Bau nie iso­lie­ren konn­te, blieb es nicht aus, dass er von an­de­ren Kran­ken oft beim Ver­zehr des Die­bes­gu­tes er­wi­scht wur­de.

      »Heu­te hat der Kol­zer wie­der auf dem Klo­sett Brot ge­fres­sen, da war so dick But­ter drauf!« (Die Mar­ga­ri­ne hieß im Haus nur »But­ter«.) Dann tob­te Herbst über die Lam­pen­ma­cher.

      Zur Rede ge­stellt vom Ober­pfle­ger, er­klär­te er, dass er dem Kol­zer nur die beim Brot­schnei­den ab­ge­fal­le­nen Kru­men ge­ge­ben habe, viel­leicht sei eine ab­ge­bro­che­ne Bro­te­cke da­bei ge­we­sen, und die Mar­ga­ri­ne habe sich Kol­zer vom Ein­wi­ckel­pa­pier ab­ge­kratzt … Im Üb­ri­gen, wenn es so wei­ter­ge­he mit den Stän­ke­rei­en, schmei­ße er die Ar­beit hin und gehe wie­der in die Fa­brik. Moch­ten die an­de­ren doch se­hen, ob sie sei­nen Pos­ten bes­ser ver­se­hen könn­ten. Er sei – hier nahm sei­ne Stim­me einen kla­gen­den, wei­ner­li­chen Ton an – er sei im­mer ehr­lich und an­stän­dig ge­we­sen, aber das dür­fe man eben in die­sem Haus vol­ler Ban­di­ten nicht sein! Nein, jetzt habe er es end­gül­tig über, jetzt gehe er wie­der in die Fa­brik … Dann re­de­ten ihm die Wacht­meis­ter gut zu, und er blieb gnä­dig. Er hat­te ja auch sei­ne Vor­tei­le: Er hielt auf sich, war sau­ber und trug un­be­denk­lich den Be­am­ten al­les zu.

      Zu sei­nen Ge­fähr­ten aber war Herbst nach ei­ner sol­chen An­zei­ge nicht wei­ner­lich. In sei­ner Wut über die De­nun­zia­ti­on ver­lor er jede Selbst­be­herr­schung; schnee­weiß im Ge­sicht schrie er den an­de­ren an und ver­gaß eine sol­che Be­lei­di­gung sei­ner »Ehr­lich­keit« nie. Vor dem Schla­gen nahm er sich höl­lisch in acht. Frü­her war er als ge­fürch­te­ter Schlä­ger öf­ter in Ar­rest ge­wan­dert, aber der Me­di­zi­nal­rat hat­te ihm klar­ge­macht, dass er nie auf eine Ent­las­sung wür­de rech­nen kön­nen, wenn er sich nicht zu be­herr­schen ler­ne. Und ent­las­sen woll­te Herbst un­ter al­len Um­stän­den wer­den. Die Ent­las­sung war die eine große Hoff­nung die­ses fünf­und­zwan­zig­jäh­ri­gen Men­schen, der die ent­schei­den­den sie­ben Jah­re sei­nes Le­bens hin­ter Git­tern ver­bracht hat­te. Für die­se Ent­las­sung hat­te er das größ­te Op­fer ge­bracht: Er hat­te sich frei­wil­lig ent­man­nen las­sen.

      Er hat­te sei­ne Ge­fäng­niss­tra­fe we­gen Sitt­lich­keits­ver­ge­hen mit jun­gen Bur­schen be­kom­men, und man hat­te Herbst be­greif­lich ge­macht, dass er nie auf die Frei­heit wür­de rech­nen kön­nen, wenn er nicht in die­se Ent­man­nung wil­li­ge. An­dert­halb Jah­re hat­te der jun­ge Mensch mit sich ge­kämpft, dann hat­te er ein­ge­wil­ligt. Zu der Zeit, da ich ein­ge­lie­fert wur­de, lag die Ent­man­nung erst ein hal­b­es oder gar nur ein Vier­tel­jahr hin­ter ihm. Schon wur­de er fett, sein Ge­sicht sah schwam­mig aus und war un­ge­sund bleich. Die Au­gen blick­ten trost­los.

      Aber er hoff­te von Tag zu Tag auf die Ent­las­sung, der Me­di­zi­nal­rat hat­te sein Ge­such be­für­wor­tet, alle hat­ten es ihm ge­sagt. Da hat­te er sich nun zu die­ser schreck­li­chen Sa­che, der Ent­man­nung, ent­schlos­sen, und noch im­mer war er nicht frei. Er war­te­te von Tag zu Tag, von Wo­che zu Wo­che, aber der er­sehn­te Be­scheid vom Ge­ne­ral­staats­an­walt kam nicht. Manch­mal tob­te Herbst: Man habe ihn rich­tig rein­ge­legt, der Me­di­zi­nal­rat, der Ober­pfle­ger, alle hät­ten sie ihn übers Ohr ge­hau­en! Da sei er nun sei­ne – Ho­den los, und für was?! Für nichts, bloß da­mit die ho­hen Her­ren ihn aus­lach­ten!

      Mitt­ler­wei­le war es son­der­bar, dass die­se Ent­man­nung nichts an sei­nen Ge­füh­len für Kol­zer ge­än­dert hat­te. Er war wie vor­her sein Freund, sein ein­zi­ger Um­gang, sein Päp­pelba­by. Für ihn leb­te er, nur an ihn dach­te er. Hat­te der Jun­ge am Abend ein biss­chen Fie­ber, re­de­te Herbst bei un­se­ren Ein­schlaf­ge­sprä­chen kein Wort mit; er hat­te die De­cke über den Kopf ge­zo­gen, aber er schlief nicht. Nein, viel­leicht merk­te Kol­zer et­was da­von, dass die Ge­füh­le Herbs­tens für ihn sich jetzt ver­än­dert hat­ten, wir sa­hen nichts da­von.

      Am meis­ten von al­len im Bau hass­te Herbst den Schus­ter Buck, je­nen eit­len, dum­men und in­tri­gan­ten Men­schen, der, wie ich im Fal­le Schmeid­ler er­lebt hat­te, die glei­chen Nei­gun­gen wie Herbst hat­te. Als an ei­nem Abend der Schus­ter den Jun­gen Kol­zer we­gen heim­li­chen Bro­tes­sens im Glas­kas­ten de­nun­ziert hat­te, fiel Herbst, wohl ganz kopf­los durch das lan­ge, ver­geb­li­che War­ten auf sei­ne Ent­las­sung ge­wor­den, über Buck her und schlug ihn win­del­weich.

      Bei der nächs­ten Arzt­vi­si­te wur­de er vor den Me­di­zi­nal­rat ge­ru­fen und ihm er­öff­net, sei­ne be­reits vom Ge­ne­ral­staats­an­walt ver­füg­te Ent­las­sung kön­ne nun doch nicht er­fol­gen, da er durch die­se Schlä­ge­rei völ­li­gen Man­gel an Hem­mun­gen, an Selbst­be­herr­schung be­wie­sen habe. Ich las­se es – ei­nig dies­mal mit dem gan­zen Bau – da­hin­ge­stellt, ob Herbst wirk­lich ent­las­sen wer­den soll­te, oder ob dies nur ein Vor­ge­ben des Arz­tes war, um sich von ei­nem Ver­spre­chen zu lö­sen, des­sen Er­fül­lung sich durch die Hal­tung des Ge­ne­ral­staats­an­wal­tes nach­träg­lich als sehr schwie­rig her­aus­ge­stellt hat­te. Je­den­falls wan­der­te Herbst statt in die er­sehn­te Frei­heit erst ein­mal für vier­zehn Tage in den Ar­rest und trat dann wie­der sei­nen al­ten Pos­ten als Kal­fak­tor an. Er war ein sehr schlech­ter Cha­rak­ter, und doch muss­te ich die Hal­tung be­wun­dern, mit der er die­se fürch­ter­li­che Ent­täu­schung auf­nahm. Er sprach nie wie­der ein Wort von sei­ner Ent­las­sung, er tat sei­ne Ar­beit flei­ßig, sau­ber und un­red­lich wie bis­her, er leb­te nur noch für den Bau.

      53

      Von mei­nem drit­ten Schlaf­ge­nos­sen, Holz mit Na­men, weiß ich we­nig ge­nug zu be­rich­ten. Er war ein kräf­ti­ger jun­ger Mann von etwa drei­ßig Jah­ren – jün­ger als sei­ne Jah­re aus­se­hend, und man hät­te den klei­nen blon­den Schnurr­bart un­ter sei­ner Nase ko­kett nen­nen kön­nen,


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