Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ihm von den Nö­ten und Ängs­ten, in de­nen ich jetzt steck­te, und es wäre wohl gut ge­we­sen, ich hät­te mehr auf Hol­zens ein­fa­che Ratschlä­ge ge­hört.

      »Kriech zu Kreu­ze vor dei­ner Frau, Som­mer!« mahn­te mich Holz oft. »Ver­lass dich nicht auf dei­nen Ver­stand und die ju­ris­ti­schen Knif­fe, dar­in sind dir die an­de­ren doch über. Ich weiß, wie sie ei­nem ein­fa­chen Men­schen mit­spie­len kön­nen; du bist auch ein ein­fa­cher Mensch, Som­mer. Der Me­di­zi­nal­rat wird dich im­mer wie­der ein­pa­cken – und nun erst der Staats­an­walt! Geh auf alle Be­din­gun­gen ein, die dir dei­ne Frau macht, ver­zich­te selbst auf dein Ei­gen­tum, al­les egal, nur sieh, dass du aus die­sem Bun­ker raus­kommst! Du ahnst noch nicht, was das heißt, lan­ge zu sit­zen. Schreib ihr, Som­mer, schrei­be ihr gleich mor­gen Mit­tag!« So sprach Holz mit sei­ner gleich­mä­ßig ru­hi­gen Stim­me, die ohne jede Be­to­nung war. Er als Ein­zi­ger be­harr­te dar­auf, mich mit »du« an­zu­re­den und mit mei­nem Vor­na­men »Er­win«; mein »Sie«, bei dem ich mich frei­lich ihm ge­gen­über oft ge­nug ver­sprach, blieb ohne je­den Ein­druck auf ihn.

      Manch­mal er­zähl­te auch er. Aber nie von sei­ner Ver­gan­gen­heit in der Frei­heit, über sie er­fuhr ich nur, dass er in Ham­burg ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen war. Sonst nichts. Ich weiß nicht, was sei­ne El­tern wa­ren, was er ge­lernt hat, wel­che Straf­ta­ten (und es müs­sen schon schwe­re Straf­ta­ten ge­we­sen sein!) ihn so lan­ge ins Zucht­haus brach­ten.

      Ich glau­be, mir er­zähl­te mal ein Be­am­ter, dass Holz ein­mal ein be­rühm­ter Ein­bre­cher war. Ich kann es kaum glau­ben. Er war so still, so ein­fach, ohne jede Ini­tia­ti­ve und Pro­test, ich traue ihm ein­fach nicht die Ener­gie für die­sen ge­fähr­li­chen, Geis­tes­ge­gen­wart und ra­sche Ent­schluss­kraft be­din­gen­den Ver­bre­cher­be­ruf zu. Aber es ist ja im­mer­hin mög­lich, dass die lan­ge Zucht­haus­zeit ihn völ­lig ver­än­dert hat.

      »Ich habe sechs Jah­re Zucht­haus ohne eine Stra­fe, ohne eine Stun­de Ar­rest ab­ge­ris­sen!«, sag­te er mir ein­mal. So ein­fach er es sag­te, es klang doch Stolz dar­aus. Am liebs­ten er­zähl­te er von die­ser Zucht­haus­zeit. Er be­rich­te­te mir von sei­nen Ar­bei­ten, er­zähl­te mir in al­ler Aus­führ­lich­keit, wie er mit dem We­ben von Ma­trat­zen­stoff an­ge­fan­gen habe, dann zum Hem­den­stoff über­ge­gan­gen sei. Da­rauf sei er mit St­rümp­festri­cken an der »Flach­ma­schi­ne« be­schäf­tigt wor­den – wo­bei ich mir un­ter ei­ner Flach­ma­schi­ne auch dann nur we­nig den­ken konn­te, als ich er­fuhr, es gäbe auch eine »Rund­ma­schi­ne«, auf der St­rümp­fe ge­strickt wur­den.

      Nun kam eine der bes­ten Zei­ten Hol­zens im Zucht­haus: Er kam als Auf­wä­scher in die Kü­che. Dort hat­te er zu es­sen, so­viel er woll­te, war mit Ka­me­ra­den zu­sam­men und be­kam so­gar alle Tage Wei­ber we­nigs­tens zu se­hen. Die­se Wei­ber ka­men aus dem nahe ge­le­ge­nen Wei­ber­zucht­haus, um das Es­sen zu ho­len. Trotz al­ler Auf­sicht wur­den Bli­cke und Brie­fe ge­wech­selt, ja es ge­lang so­gar, den Wei­bern Brot und Wurst und Mar­ga­ri­ne zu­zu­ste­cken. Holz ver­si­cher­te mir, dass er nur tat, was all’ sei­ne Kü­chen­ka­me­ra­den ta­ten, aber als die­se Schie­bun­gen her­aus­ka­men, lu­den die an­de­ren alle Schuld auf ihn ab, und er wur­de aus der Kü­che ab­ge­löst.

      Nur sei­ne gute Füh­rung ret­te­te ihn vor ei­ner Ar­rest­stra­fe. Es folg­te ein schreck­li­ches Jahr: Holz muss­te in ei­ner Ein­zel­zel­le alte Taue zu Werg zer­rup­fen – wie sehr ich bei der Er­wäh­nung die­ser Ar­beit an Mag­das ret­ten­den Ab­schluss mit der Ge­fäng­nis­ver­wal­tung und an mei­ne Ham­bur­ger Rei­se dach­te! Schließ­lich kam Holz als nicht flucht­ver­däch­tig auf Au­ßen­ar­beit, die Zucht­haus­zel­le sah ihn nur noch zum Schla­fen, den gan­zen Tag über wirk­te er drau­ßen im Frei­en auf den Fel­dern oder win­ters in ei­ner Sä­ge­müh­le. Von all die­sen ganz ein­fa­chen Din­gen er­zähl­te Holz gern. Er wuss­te noch je­des Pen­sum, das ihm auf­er­legt wor­den war; Gar­ne, die ihm bei der Ver­ar­bei­tung Schwie­rig­kei­ten ge­macht hat­ten, konn­te er mir mit dem glei­chen fri­schen Är­ger schil­dern, den er vor Jah­ren wohl in sei­ner Ein­zel­zel­le emp­fun­den.

      Hol­zens Spe­zia­li­tät aber wa­ren sei­ne Be­rich­te vom Es­sen. Da alle stets hung­rig wa­ren, re­de­ten alle im Bau stän­dig vom Es­sen, dach­ten ei­gent­lich nur dar­an. (Auch auf die­se Sei­ten hat das ab­ge­färbt!) Die­ses Ge­re­de vom Es­sen war wie eine Ma­nie, es mach­te un­se­re Hun­ger­qual nur noch grö­ßer, aber wir konn­ten es nie las­sen. Holz war dar­in nun ein­fach Meis­ter. Nicht, dass er sich etwa raf­fi­nier­te Mahl­zei­ten aus­ge­dacht hät­te, bei de­nen ei­nem das Was­ser im Mun­de zu­sam­men­lief, nein, sei­ne Schil­de­run­gen wa­ren von bib­li­scher Sch­licht­heit. Die Mahl­zei­ten, die er schil­der­te, wa­ren ein­fa­cher selbst als das, was ein ein­fa­cher Ar­bei­ter isst, es wa­ren die Mahl­zei­ten, die er im Zucht­haus be­kom­men hat­te.

      Sein Kopf, den nie star­ke Ge­dan­ken­ar­beit be­an­sprucht hat­te, war aus­ge­ruht ge­nug, um mir jede Ver­än­de­rung des im All­ge­mei­nen gleich­blei­ben­den Kü­chen­zet­tels im Zucht­haus mit­zu­tei­len; er wuss­te noch das Auf und Ab der Bro­tra­tio­nen; die Zahl der Pell­kar­tof­feln, die ein Ar­rest­ge­fan­ge­ner mit­tags statt Brot be­kam (acht bis vier­zehn), und die Son­der­zu­la­gen in Brot, Wurst und Käse für Über- und Land­ar­beit. Er wuss­te alle Weih­nachts­ge­schen­ke noch. Und am be­red­tes­ten wur­de er, wenn er mir schil­der­te, wie ein Bau­er, zu­frie­den mit gu­ter Mäh­ar­beit, der Zucht­haus­ko­lon­ne dick mit »gu­ter But­ter« oder Schmalz be­stri­che­ne Stul­len ge­schenkt hat­te, dazu pro Mann fünf Zi­ga­ret­ten. Je­des der­ar­ti­ge Er­leb­nis hat­te sich tief in sein Ge­dächt­nis ein­ge­gra­ben, und noch heu­te zit­ter­te beim Be­richt sei­ne Stim­me, als er mir er­zähl­te, wie sein Ma­gen ein­mal das un­ge­wohnt fet­te Es­sen nicht ver­tra­gen, son­dern wie­der aus­ge­bro­chen habe.

      So ein­fach wa­ren Hol­zens Es­sen­be­rich­te, und doch lausch­te ich ih­nen im­mer wie­der ger­ne, sie wa­ren so rüh­rend! Und es hun­ger­te sich gut bei ih­nen, weil sie so ein­fach wa­ren. Wir aber konn­ten da­bei im­mer wie­der fest­stel­len, dass ein Zucht­häus­ler un­ge­fähr dop­pelt so viel Es­sen wie der In­sas­se ei­ner Heil- und Pfle­gean­stalt be­kommt.

      »Da siehst du es«, sag­te dann Holz wohl, »wie sie uns be­klau­en! Aber was willst du ma­chen? Ein Esel ist da zum Las­ten­tra­gen und Prü­geln, und wir sind noch schlim­mer dran als ein Esel, der doch noch ein paar Mark wert ist. Bei uns sind sie nur froh, wenn wir tot sind.« Sol­che Wor­te sag­te Holz ohne An­kla­ge, ja, auch ohne Bit­ter­keit. Das wa­ren für ihn selbst­ver­ständ­li­che Fest­stel­lun­gen über den un­ab­än­der­li­chen Lauf der Welt.

      Im Bau ge­noss der stil­le Holz einen gu­ten Ruf, so­wohl bei den Be­am­ten wie bei den Ge­fan­ge­nen. Er war auch hier so­fort »ohne Be­wäh­rungs­frist« auf Au­ßen­ar­beit ge­kom­men, er ar­bei­te­te für einen Bau­un­ter­neh­mer in ei­ner Kies­gru­be. Da­bei kam er wohl viel mit »Zi­vi­lis­ten« zu­sam­men und be­kam man­cher­lei ge­schenkt. Im­mer hat­te er für einen Ka­me­ra­den zwei Streich­höl­zer oder ein Zwie­bel­chen üb­rig, und er war der viel­be­nei­de­te Be­sit­zer ei­nes Gla­ses mit Salz, auch Mus­kat und Pfef­fer be­saß er. Da­mit ver­schön­te er sei­ne Was­ser­sup­pen.

      Aus ei­ner ge­fun­de­nen al­ten Sar­di­nen­büch­se hat­te er sich eine Rei­be ge­macht, in­dem er in ih­ren Bo­den mit ei­nem Na­gel Lö­cher ge­schla­gen hat­te, und auf


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