Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
»Lass mich in Frieden, sage ich dir noch einmal!«
So arbeiteten wir den ganzen Vormittag, ich völlig verzweifelt über mein Ungeschick und überzeugt, ich würde es nie lernen, und er immer gellender, triumphierender, überlegener, sein ganzes erbärmliches, stinkendes Menschentum über mich setzend. Am Schluss dieses Vormittags hatten wir eine einzige Handbürste fertig, die achtzig Löcher hatte, und dass die nicht gut und richtig aussah, das merkte ich selbst.
»Steck die nur selbst in den Ausschuss, Sommer!«, gellte Lexer. »Spül sie im Kübelbecken weg, dass der Arbeitsinspektor sie gar nicht erst zu Gesicht bekommt, sonst fliegst du in Arrest wegen Materialverschwendung! Heute Nachmittag aber komme ich nicht wieder in dein stinkendes Loch. Du weißt Bescheid, wie es gemacht werden soll, und wenn du es doch nicht machst, so ist es deine Sache, die du zu verantworten hast. Ich will damit nichts zu tun haben!«
So wurde ich den ekelhaften Lehrmeister Lexer schon nach fünf Stunden los und hätte mir meinen so schlimm aufgenommenen Antipathieausbruch vor dem Arzt gut ersparen können. Aber über meinen Bürstenlöchern verzweifelte ich völlig an diesem Nachmittag, und am Abend hatte ich nicht mehr als siebenunddreißig Löcher geschafft, und die auch noch schlecht. In dieser Nacht grübelte ich einmal nicht über mich und mein widriges Geschick und Magda und den Medizinalrat nach, sondern allein über Bürstenmachen. Aber dieses Grübeln muss meinem Kopf viel bekömmlicher gewesen sein, denn ich schlief darüber ein und hatte zum ersten Mal wieder eine einigermaßen gute Nacht.
1 Blattfaser verschiedener Palmenarten <<<
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Die Tage gingen, einer nach dem anderen, und an einem von ihnen, eher, als ich es gedacht, war ich ein ganz leidlicher Bürstenmacher. Ich hatte es gelernt, ich machte Nagelbürsten und Handbürsten und Haarbürsten und Molkereibürsten und Brauereibürsten und Fensterbrettbürsten. Ich konnte auch Besen machen, Piassavabesen und feine Haarbesen. Schließlich lernte ich es auch, Pinsel herzustellen, Rasierpinsel und Staubpinsel und alle Arten von Malerpinseln. Meine Finger waren nun genauso geschickt wie die Lexers, sie griffen genau so viele Borsten, wie nötig waren, keine mehr, keine weniger, und der Draht machte mir keine Beschwerden mehr.
Wenn ich mich jetzt mit Lexer in der Freistunde traf, und er schrie mich mit seiner gellen Stimme an: »Na, Sommer, wie viel hast du geschafft?«, so antwortete ich: »Achthundert Löcher«, oder auch: »Tausend«, oder gar: »Elfhundert«. Dann feixte Lexer wütend und gellte: »Willst dich wohl beliebt machen oben? Deswegen kriegst du auch keinen anderen Fraß als wir, du Arschkriecher!«
Ich arbeitete aber nicht so viel, um mich oben beliebt zu machen, ich arbeitete so um meinetwillen. Die Arbeit vertrieb mir die Zeit. Ehe ich es dachte, klirrte der Schlüssel, und die Stimme des Wachtmeisters rief: »Mittag!« Die Tage, so lang ein jeder einzelner manchmal auch sein mochte, vergingen schnell genug; eine Woche, ein Monat war vorübergegangen, ich sagte zu mir: ›Nun bin ich schon einen Monat hier, nun zwei, nun bald drei …‹
Jetzt, da meine Hände die Arbeit von selbst taten, da ich nicht ununterbrochen über sie nachdenken und mich hetzen musste, war der Kopf wieder frei für Nachdenken und Grübeln über das eigene Schicksal. Aber die Arbeit gab selbst diesem Grübeln eine andere Note. Manchmal stellte ich mich eine Weile ans Fenster und sah hinaus in das Land, in dem sie nun schon das Korn mähten, dann einfuhren, dann die Stoppeln pflügten, dann zur Grummetmahd1 übergingen. Ich hatte eine gute, helle Arbeitszelle, die auch im Winter gut warm sein sollte, wie man mir gesagt hatte. Ich sah hinaus, und wenn mein Herz mich wieder mit zorniger Ungeduld plagte und drängte, endlich wieder in der Freiheit schlagen zu dürfen, so machte es wohl die Arbeit, dass ich mir sagte: ›Nur Geduld, es wird alles schon kommen. Erst einmal wäre es wohl wirklich gut, wenn ich noch diesen Satz Abwaschbürsten fertigbekäme!‹
Ja, meine Arbeit machte mir Freude, es war eine niedrige Arbeit, die wirklich jedes Kind und fast jeder meiner schwachsinnigen Kameraden verrichten konnte, aber in einer gut ausgeführten Arbeit liegt immer ein Trost, sie mag so gering sein, wie sie will.
Ich hatte jetzt auch keine Angst vor dem Arrest und dem Arbeitsinspektor; er kam manchmal in meine Zelle und nahm die fertige Arbeit ab, und er sagte mir nie ein böses Wort, sondern oft: »Gut, gut, Sommer.« Oder auch: »Sie müssen nicht über das Pensum arbeiten, Sommer, das ist nicht nötig.« Und einmal schenkte er mir auch einen mit Marmelade bestrichenen Kanten.
Als aber der erste Monat meines Arbeitens vorüber war, trat ich mit den anderen Arbeitern am Glaskasten an und empfing das an Rauchwaren, was man für meine »Arbeitsbelohnung« gekauft hatte (vier Pfennig am Tag, eine Mark im Monat), nämlich ein Paket Feinschnitt und ein Paket Krüllschnitt. Für die Hälfte des Krüllschnittes handelte ich mir eine kleine Tabakspfeife ein, denn ich mochte nicht wie manche anderen Zigaretten mit Zeitungspapier drehen, das immer entweder lichterloh brannte oder kohlte und abscheulich schmeckte. Der Kopf meiner Pfeife war ganz klein, er fasste nicht mehr Tabak als für zehn oder zwölf Züge; das war gut, so konnte ich am Tage fünfmal rauchen und reichte doch den ganzen Monat. Freilich im ersten Monat nicht, weil ich noch dumm war und mir allerlei abschwatzen und abborgen ließ, was ich nie wieder zu sehen bekam.
Auch lernte ich die Furcht aller Besitzenden vor Dieben kennen; nichts, was in den Zellen war, blieb vor ihnen sicher, man mochte es noch so geschickt verstecken. Immerfort wurde wieder im Bau die wütende Klage laut: »Mir haben sie Tabak geklaut!«
So war man denn gezwungen, all seinen Besitz vom Löffel an, der unser einziges Essgerät war, in den Taschen herumzutragen, was wieder dem Oberpfleger missfiel, der die Ausbeulungen in unseren Kleidern tadelte. Ich beschaffte mir also einen kleinen Karton, in den ich all meine Habseligkeiten tat, ein bisschen Salz, ein etwa gespartes Stück Brot, die Pfeife und den Tabak. Diesen Karton hatte ich immer bei mir, beim Essen und auf dem Klo, im Bett und sogar bei meinen Arztbesuchen. Später machte mir der wohlgesinnte Qual, der ja in der Tischlerei arbeitete, ein kleines Holzkästchen mit Schiebedeckel und einen Bindfadengriff und nahm nicht einmal was dafür.
Ja, ich war nun wirklich eingereiht und gehörte dazu, und wenn ich die Wahrheit gestehen soll, fühlte ich mich nach den ersten Wochen der Eingewöhnung nicht einmal so schlecht. Ich hatte mich an Hungern und ständigen Streit, an schlechte Luft und Schweinsbeulen gewöhnt, viele meiner Kameraden, die ganz unausgiebig und stumpf waren, sah ich gar nicht mehr. Ich gehörte dazu, und doch gehörte ich nicht ganz dazu, ich war nur »vorläufig untergebracht«, und später