Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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– verstehen Sie es, meine Herren? – es ist eine abscheuliche Sache mit den philosophischen Erklärungen. Sie sind nichts als Angelhaken; ihr dachtet: Ei, das ist ein Fraß! aber ihr seht die Angel nicht, die dem Regenwurme im Leibe steckt. – Begierig schnappt ihr zu – pump! steckt euch die Angel im Halse; und nun könnt ihr kauen, die Zunge vorwärts oder rückwärts wenden, die Muskeln an euren Kinnbacken rechts oder links drehen – ihr werdet sie doch nicht los, bis sie euch jemand bedächtlich aus dem Halse zieht. Sitzt die Spitze im Fleische, so ist's vorbei, und am Ende, wenn ihr auch von der Angel wieder befreit seid, so habt ihr doch weiter nichts in eurem Magen als – einen Regenwurm. – Ich bin noch die Angel zu rechter Zeit gewahr geworden; schon wollte ich zuschnappen, aber ich besann mich, daß ich am Ende an meiner langen Erklärung doch nichts weiter gehabt hätte als: Tobias tat nichts als hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen und erinnerte sich von Zeit zu Zeit an ein paar ehemals schon gedachte Sachen, oder er tat, was die meisten menschlichen Maschinen täglich tun. Das klingt nun freilich nicht halb so gut als mein erster Anfang; es ist sogar falsch; denn der gute Tobias tat bei allen diesen so wenig als das Papier, worauf ich dieses schreibe; aber es scheint doch verständlich – und das ist genug.

       Inhaltsverzeichnis

      Was für eine hübsche Sache wäre es doch um das Schriftstellerhandwerk, wenn wir die Ideen unsrer Leser so zu regieren wüßten, wie die Marionettenspieler ihre Puppen! Wenn wir nur an einem Faden ziehen dürften, und siehe! – gleich ständ in ihrem Kopfe die Idee, die wir gerade itzt brauchten, in ihrem völligen Schmucke da, mit ihrem ganzen Gefolge von Ideen, das ihnen so nötig ist als den Theaterkönigen das ihrige, um völlig für das gehalten zu werden, was sie sein sollen! Aber so mögen wir armen Leute uns den Hals wund schreien und unsre Federn tagelang noch so gravitätisch auf dem Papiere herumwandeln lassen – umsonst! der Leser denkt, was er kann, und niemals, was er soll. Keine von den Ideen, die wir durch den Arm in die Feder, durch die Feder auf Schreibepapier, von dem Schreibepapiere durch die Hand des Setzers und Druckers auf Druckpapier und von dem Druckpapiere in die Köpfe unsrer Leser übergehen lassen; unter allen diesen, sage ich, kömmt keine einzige unverändert an ihrem bestimmten Orte an, keine einzige mit der nämlichen Gesichtsfarbe, der nämlichen Kleidung, und, was noch wichtiger ist, keine bringt alle und die nämlichen Gefährten mit sich, die sie in unserm Kopfe umgaben und durch ihre Gesellschaft der Hauptidee ebendie Dienste taten, die die Charitinnen der Venus tun – ohne sie wäre Venus eine schöne Frau; aber in ihrer Gesellschaft, mit ihnen verglichen, ist sie Venus. Weit, sehr weit ist allerdings der Weg, den eine solche Idee gehen muß, und wenn sie ja ohne sonderliche Zufälle ankömmt, so findet sie einen andern Schauplatz, andre Dekorationen, andre Mitspieler. Wie ist es nun möglich, daß sie völlig in dem Glanze, völlig in dem vorteilhaften Lichte erscheinen kann, in welchem sie sich zuerst dem Schriftsteller zeigte? Oder, ganz deutlich gesagt, wie kann der Leser bei den Worten des Schriftstellers völlig das in seinem ganzen Umfange denken, was dieser selbst dabei dachte, wenn sie nicht beide einen Kopf, einen Vorrat von Ideen, eine Empfindungskraft haben?

      Also bleibt es dabei, jeder Schriftsteller müßte ein ebenso guter Marionettenspieler sein, als die meisten von uns Taschenspieler sind. Wieviel sollte mir es itzt helfen, wenn ich diese Kunst wüßte! Gleich in der Sekunde, als der Leser den letzten Buchstaben von dem vorigen Absatze angesehn hatte, mußte in seinem Kopfe der Gedanke hervortreten: Aber wozu gibt uns der Mann solche elende Dorfgeschichtchen, Auftritte aus der Schulmeisterküche zu lesen? Wenn er uns über ein komisches Spiel will lachen lassen, warum läßt er uns nicht lieber über eine Komödie aus der feinern Welt lachen? Warum müssen die Personen so niedrig und die Begebenheiten so gering sein? – Hierauf träte dann meine Antwort in der Gestalt eines muntern, lebhaften Greises hinter der Szene hervor. Ihr guten Leute, sprach er, das menschliche Leben ist eine, ist dieselbe Komödie. Nichts ist verschieden als der Schauplatz, die Dekoration, die Namen und der Anzug der handelnden Personen. Räumt in dem vorigen Absätze die Küche aus! Schafft das Tellerbrett, die alte Bank, den Herd hinaus! Behängt die Wände mit seidnen Tapeten, haute oder basse lice, wie ihr wollt, setzt ein Kanapee, sechs Krüppelstühle hinein und auf jeden eine Dame im Fischbeinrocke! Glaubt ihr denn, daß ihr etwas Bessers hören werdet? – Ebendieselbe Küchenszene, in einem Visitenzimmer gespielt! – Lernt, ihr, die ihr euch andre Menschen zu sein dünkt, weil ihr andre Kleider tragt, daß ihr und die Geringsten eurer Mitgeschöpfe durch mehr nicht unterschieden seid als durch – nichts.

      Vielleicht ist einigen von meinen Lesern der Einwurf, aber ohne die Antwort, schon bei dem ersten Blatte eingefallen; aber damals war es zu zeitig; bis hieher wenigstens mußten sie warten, und dann – ein Einwurf ohne Antwort ist weniger nütze als gar keiner.

       Inhaltsverzeichnis

      »Ist dein Vater nicht gescheut?« – Eine so reichhaltige Frage, daß ich gewiß so viel darüber sagen könnte, als jemals über eine Frage de possibili gesagt worden ist! Vor der Hand aber will ich weiter nichts, als eine Erzählung von den dabei vorkommenden Umständen, ihrer Veranlassung und ihren Folgen, eine kurze, kurze Betrachtung darüber und eine damit zusammenhängende lange, lange Erzählung versprechen. Viel zu schreiben und doch immer wenig zu lesen!

      »Ist dein Vater nicht gescheut?« – so rief die Mutter meines Helden, an die eine Pfoste der Hintertür mit dem Rücken gelehnt, das Gesicht nach dem Orte zugekehrt, wo Tobias unter der Beihülfe seines Vaters ein prächtiges Lustschloß baute; so rief sie, aber mit einem Tone, mit einem so epischen Tone, daß er sich in Prose gar nicht beschreiben läßt,

      – wie neun-, zehntausend gewaffnete Krieger,

      Wenn der Kampf des Mavors beginnt;

      oder

      – wie Kraniche mit wildtönendem Fluge,

      Wenn sie den Winter und dicht herniederströmenden Regen

      Fliehen, über des Ozeans Wogen hineilen. Sie tragen,

      Mit dem Verderben und Tod der Pygmäer bewaffnet, die Lüfte

      Hoch durchschwebend, traurige Streite mit sich hernieder;

      oder

      – wie um des Kaystrius Ström', auf der asischen Wiese,

      Zahlreiche Scharen geflügelter Vögel, Scharen von Gänsen

      Oder Kranichen und langhalsichten Schwänen, die Flügel

      Schlagend, sich schnell hin und wieder bewegen und schreiend sich Sitze

      Auf dem Boden erwählen – und weit erschallet die Wiese;

      oder

      Wie fünfzig Ochsen wohlgemut,

      Wenn sie um eine Kuh sich zanken

      Und keiner unter ihnen ruht,

      Bis neunundvierzig wanken;

      Sie brüllen all und insgemein,

      Was muß das für ein Brüllen sein!

      Kurz, die Frau Knaut sagte es mit einem Tone, der so stark war, als alle das Geschrei und der Lärm zusammen genommen, den Homer, Virgil, Milton, Glover, Klopstock, Tasso und die übrigen sogenannten Heldendichter in ihren sämtlichen Epopeen Menschen und Vieh haben machen lassen und die Dichter künftiger Zeiten und Nationen werden machen lassen, und gleichwohl würde unter diesem gewiß nicht kleinen Lärme ein musikalisches Ohr die Stimme der Frau Knaut noch deutlich unterschieden haben;

      – und mit einer Miene! – Diese war zu original und vielleicht seit der Schöpfung der Welt niemals in einem menschlichen Gesichte gewesen; kein Wunder also, wenn sie kein Dichter vor mir geschildert hat – mit einer Miene!

      Aber wenn ich sie recht schildern soll, so muß ich die Sache anders anfangen. Also – jeder Ausdruck eines Affekts im Gesichte


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