Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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nichts anders als eine papierne Laterne, durch welche die Empfindungen hell oder düster durchschimmern, nachdem das Papier ausgedehnt oder stark zusammengefaltet ist. Nun –ja, da sitz ich! weiter geht's nicht.

      Also anders! Man denke sich das Gesicht der Frau Knaut als ein Gemälde von einem Gebäude mit drei Stockwerken: Das unterste endigt sich mit dem Rande der Oberlippe; das zweite geht bis an die Öffnung der Nasenlöcher, und das dritte hört mit den Grenzen des Kopfs auf. In jedem wohnt eine besondre Empfindung, und sieht – sozusagen! – zum Fenster heraus. Aus dem untersten Stockwerke guckt die Verwundrung, aber nur mit dem halben Kopfe und lauschend hinter der Freude, die sie wegdrängt, um sich bis an die Brust herauszulegen. Die Freude ist ein wildes, tückisches Mädchen, mit zerstreuten Haaren und einer frechen, schadenfrohen Miene, die Verwunderung ein altes, runzlichtes Mütterchen mit stieren Augen und halbgeöffnetem Munde, der zwei Reihen Brandstellen von verwüsteten Zähnen sehen läßt. In dem zweiten zeigt sich die Scham, als ein schüchternes Mädchen an der Seite des Fensters hinter dem Vorhange lauschend; mit der einen Hand öffnet sie zitternd das Fenster, doch kaum eine Viertelspanne weit, mit der andern zieht sie den Vorhang vor das halbbedeckte Gesicht. In dem dritten sind alle zwei Flügel offen, und bis an die Mitte des Leibes hervorragend, liegt der Zorn da, den Kopf auf die eine Hand gestützt; die andre schlägt er geballt an die knirschenden Zähne: ein finstrer, glühender, schrecklicher Riese, mit emporstrebenden Haaren und aufgeblasenen Naselöchern. Das Haus selbst ist ein modernes Gebäude im gotischen Geschmack, unregelmäßig, mit etlichen schönen Zieraten, die der unschickliche Ort und die Gesellschaft von mehrern schlechten zu Häßlichkeiten macht.

      Ist dies Gemälde nicht einer ebenso weitläufigen Erklärung wert als das Gemälde des Cebes? Nichts davon zu sagen, daß es weit weniger einem Maler schwerfiele, es zu malen, da die Komposition dieses Philosophen unter den geschicktesten Händen ein elendes Geklecke werden würde. Meines braucht keinen Dietrich, keinen Mengs, nur einen – – –. Außerdem hat es das Verdienst, daß es die Vorderseite von dem Kopfe der Frau Knaut natürlicher und sinnlicher vorstellt, als jemals eine Allegorie getan hat.

      Erklärung: Das Haus ist, wie gesagt, der Kopf der Frau Knaut, der dem Zuschauer die Vorderseite zukehrt.

      Aus dem untersten: Die erste Empfindung der Frau Knaut, als sie ihren Mann mit ihrem Sohne Leimenhäuser bauen sah, war Verwundrung, einen so bärtigen Mann bei solchen Beschäftigungen zu finden und ihn seit ihrer Bekanntschaft zum ersten Male dabei zu finden. Diese Empfindung herrschte kaum drei Tertien, als sie eine tückische, schadenfrohe Freude wegstieß, eine Freude, mit dem armen Manne abermals zanken und ihm mit Anschein des Rechtes einen derben, wochenlangen Verweis geben zu können; eine Freude, daß sie während des Verweises eine Woche lang für klüger erkannt werden mußte als ihr Mann, wobei ihre Selbstliebe sich ein herrliches Fest versprach.

      In dem zweiten: Eine Sekunde darauf überfiel sie Scham, da sie bedachte, daß dieses so kindische, sich so erniedrigende Geschöpf ihr Mann war und sie also selbst einen Teil der Schande tragen mußte. Doch diese Empfindung dauerte kaum den sechzigsten Teil einer Tertie, und sie wollte eben das Fenster öffnen, als der Zorn in dem Stockwerke über ihr zu lärmen anfing; husch! – lief sie davon. Daß ihr Stockwerk besonders klein gegen die übrigen ist, daran ist die Bauart des Kopfes schuld. Auf die Scham war bei der Frau Knaut gleich bei der ersten Anlage sehr wenig gerechnet worden, und zuletzt mußte das arme schüchterne Ding gar aus dem Hause ziehn.

      In dem dritten:

      – 3 Tert. die Verwundrung,

      1 Sek. – die schadenfrohe Freude,

      – 1/60 Tert. die Scham.

      Summe 1 Sek. – 3 1/60 Tert.

      – also 1 Sek. 3 1/60 Tertien; nachdem sie sich in die Hoftür gestellt und ihren Mann bei dem Leimhaufen erblickt hatte, schwellte der Zorn die Muskeln ihres Gesichts auf

      Zur verwilderten Miene. Den schwarzen Busen erfüllte

      Zornige Wut, das Auge blitzte gleich lodernden Flammen.

      Drohend blitzt' es zuerst auf Tobias, und also begonn sie:

      »Ist dein Vater nicht gescheut!«

       Inhaltsverzeichnis

      Wer wundert sich noch, daß alles dieses so geschwind zuging? Das Gewitter war nahe; also Blitz und Schlag war eins. Kaum war der erste fürchterliche Ton durch die Lippen der Frau Schulmeisterin hindurchgefahren, als der Vater erschrocken den Kopf über die Schultern herumwarf, um sich nach dem Stande des Gewitters umzusehen, in ebendem Augenblicke sich unbewußt aufsprang, sich unbewußt den Leimenklumpen aus den Händen fallen ließ und, wie vom Donner gerührt, mit offnem Munde starr dastand. Zu gleicher Zeit oder vielleicht einige Augenblicke eher, als der Vater diese Wirkungen spürte, stürzte Tobias gerade vor sich hin – patsch! mit dem Gesichte in sein Lustschloß hinein. Korinthische, dorische, römische Säulen, Kälberzähne, Triglyphen, Gesimse, alles wurde durch diesen plötzlichen Fall in die Höhe geprellt und fiel als ein unförmlicher Klumpen auf und neben den hingestreckten Baumeister herab.

      Alle Zugänge, wodurch Ideen in einen menschlichen Kopf hineinkommen können, waren von der eindringenden sehr nassen Baumaterie verstopft; Augen und Ohren waren wie die Häuser einer belagerten Stadt mit Mist und Unflat verlegt. Also war eine Antwort auf eine so gewaltige Frage unmöglich, wenn sie auch nicht halb so bedenklich zu beantworten gewesen wäre und ihre Beantwortung nicht halb so viel Gegenwart des Geistes erfodert hätte. Sie blieb dann unbeantwortet, denn Tobias hatte sie vor Schrecken gar nicht verstanden. Allein den Vater, dessen Verstand sie in Zweifel zog, war sie in ihrer völligen Stärke, mit der völligen Kraft ihrer Bedeutung, bis in das große allgemeine Behältnis der Ideen hineingedrungen, hatte von der Büchse, in welcher die Ideen des Stolzes und der Eigenliebe verwahrt lagen, den Stöpsel verrückt, und gleich sprangen alle wie die cartesianischen Teufelchen in die Höhe, zogen an dem Faden, an welchem der rechte Arm regiert wird, und siehe! – der rechte Arm hub sich in die Höhe, bewegte sich in gerader Linie rückwärts und fuhr alsdann wie ein Blitz auf den Backen der Frau Knaut los, wo die sämtlichen Finger der Hand, deutlich in Kot ausgedrückt, ihre Fußtapfen zurückließen. Die arme Frau, die eher den Tod ihres Mannes als diesen heroischen Streich von ihm vermutet hätte, war – nicht aus den Wolken gefallen; nein, das wäre viel zu wenig! – von der äußersten Grenze des Empyreums, wo es sich in das Nichts verliert, bis in den untersten Pfuhl des Tartarus, in den großen Berg hinein, woraus Milton seine Teufel Kanonen gießen läßt,

      Tausendmal tausend Sonnenmeilen herab.

      Das heißt aber, menschlicherweise zu reden, weiter nichts gesagt als: Die Frau Knaut war im höchsten Grade erstaunt. Wie konnte es auch anders sein? Gewohnt, über den Kopf ihres Mannes zu tyrannisieren und ihn mit oder ohne Beulen und blaue Flecken nach eignem Willkür gehen zu lassen, wie konnte sie anders als argwohnen, daß die ganze Herzhaftigkeit ihres Mannes sich wider sie verschworen habe, ihr die Beulen alle mit Wucher wieder zu ersetzen, die sie ausgeteilt hatte? daß sie ihr Mann unrecht verstanden und das für ein geliehenes Kapital angesehn habe, was sie doch für ein freiwilliges Geschenk gehalten wissen wollte? – Eine traurige Aussicht! besonders da die Schuld groß war. – War nun diese Betrachtung oder bloß der körperliche Schmerz die Ursache davon, genug, der Schlag versetzte sie in eine so wehmütige Empfindung, daß gleich nach dem Empfange desselben die Tränen häufig die Backen herabrollten; anfangs einzeln, wie die Regentropfen bei einem stillen Gewitter, das sich nur erst durch einen fürchterlichen Schlag angekündigt hat – aber in großen, großen Tropfen; doch kurz darauf fing es an, stromweise zu regnen wie ein Wolkenbruch – und zu donnern! aus dem Munde der gemißhandelten Ehefrau! – Das war ein Wetter!

      »Willst du mich umbringen? Willst du auch ein Mörder werden wie deine Schwester, du –?« und so weiter. – Meine Leser werden ohne Zweifel kein Vergnügen daran finden, diesem fürchterlichen Schloßenwetter länger zuzusehn; geschwind wollen wir also davon weglaufen, und bis es vorüber ist, will ich unterdessen mein Versprechen halten und ihnen die Veranlassung oder den ersten Ursprung dieser


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