Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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       Inhaltsverzeichnis

      Der Herr von L., ohne eben die besten Augen zum Beobachten zu haben, sähe auch wirklich durch die Miene seiner Schwägerin in ihr ganzes Herz hinein; doch so leicht ihm dieses wurde, ebenso undurchdringlich war für ihn das Betragen des Grafen. Nach dem Gemälde, das meinen Lesern von diesem gemacht worden ist, und da jener ihn nur aus gewissen schimmernden Handlungen beurteilen konnte, war es keine Schande für den Herrn v. L., daß er den Charakter des Grafen ganz und gar mißkannte. Er schätzte ihn aufrichtig ebensosehr, als ihn dieser zu schätzen vorgab, und es ist schwer zu bestimmen, welcher dem andern mehr Höflichkeit erzeigte: der Herr v. L. als ein bewundernder, redlicher Freund? oder der Graf S++ als ein verachtender, verstellter Betrüger?

      Nur die Frau v. L. hatte die Kurzsichtigkeit guter Menschen, die, mehr mit ihren und andern guten Handlungen als Fehlern beschäftigt, gar nicht auf den Einfall kommen, böse Leute in der Welt zu vermuten; die niemanden eher zutrauen, daß er stoßen kann, als bis er sie zu Boden wirft, und alsdenn noch, wenn es sich tun läßt, lieber sich einbilden, daß er unversehens als mit Vorsatz an sie angerennt sei; dieser wenigen auserwählten guten Seelen, die aus dem kindischen Alter der Welt noch übriggeblieben sind, die für eine Welt wie die unsrige zu viel stille Größe, zu viel naive Schönheit haben und denen ich gerne mit meinen Händen eine eigne Welt bauen wollte, wenn ich Welten schaffen könnte. – Oft muß ich eurer noch in meinem Buche gedenken, ihr Edlen! ihr, die ihr allein durch euer Dasein den Schöpfer gegen die Anklagen der Menschheit rechtfertigt! Und könnte ich euch ein daurendes Denkmal stiften, wäre es auch nur ein Leimhaufen – alle Werke eines Angelo, eines Donatello oder noch erhabnerer Künstler würden mir dagegen sein, was diese Werke gegen die Werke der Natur sind.

      Nach der Denkungsart dieser Gutgesinnten, qui, cum ipsi sint boni, alios ex sua natura fingunt, sähe die Fr. v. L. das fremde Betragen ihrer Schwester gegen sie als eine Folge ihrer frühzeitigen Trennung, jeden plötzlichen Ausbruch einer gezwungnen Freundlichkeit als eine Bemühung an, sich von dem Zwange loszumachen, in welchem gewisse Leute bei einer neuen Bekanntschaft mit Verwandten von einem höhern Range sich befinden, denn die Frau v. L. war durch das Amt und den Titel ihres Gemahls weit über ihre Schwester, die Gräfin S++, erhoben; sie sähe endlich ihre mürrische Unfreundlichkeit, ihre Sorgfalt, sie zu vermeiden, ihre zuweilen hämischen Reden und Gebärden als Wirkungen teils dieses Zwanges, teils ihres Temperamentes und ihrer Erziehung an; kurz, die Fr. v. L. hielt die Gräfin für unschuldiger, als diese sich selbst in ihren eignen Augen schien.

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      Der zärtlichste Ehemann kann sich um die Gesundheit seiner Frau nicht so genau und so angelegentlich bekümmern, als sich der Graf für die Gesundheitsumstände seiner Schwägerin interessierte. Seit dem Tage ihrer Vermählung war selbst die sonst ziemlich gleichgültige Frage: Wie befinden Sie sich? für ihn von der wichtigsten Bedeutung; und schon die Antwort: Nicht allzu wohl! setzte Freude und Besorgnis in seinem Herzen in einen solchen Streit, daß seine Miene oft in die größte Verwirrung geriet, die man aber allzeit vorteilhaft als eine beinahe übertriebne Sorge für das Wohlsein seiner Schwägerin auslegte. Freuen wollte er sich gern bei einer solchen Antwort, weil durch jede ihrer Unpäßlichkeiten die Hoffnung seiner Erbschaft der Wirklichkeit näher zu rücken schien; besorgt mußte er sein, weil vielleicht diese kleinen Übel Ankündigungen einer Schwangerschaft sein konnten – ach, dieser Gedanke war ein unabsehlicher Abgrund für ihn, von dem er mit Schaudern zurücksprang.

      In dieser höchst unglücklichen Verfassung, in einem beständigen Zwange der Verstellung, im Herzen voller Besorgnis, unruhiger Erwartung und ängstlichen Schrecken, bei jeder ihm widrigen Nachricht, bei jedem Geklätsche eines alten Weibes, das die Fr. v. L. betraf – in dieser traurigen Verfassung brachte der Graf sechs Jahre zu. Seine Hoffnung wuchs; die Freundschaft des Herrn v. L. nahm ab, wenigstens wurden seine Höflichkeiten kälter, und seine Komplimente bekamen mehr die Miene der Fremdheit; denn – warum wundern sich nun meine Leser so hierüber, daß ich hier ein denn hersetzen muß? –, denn der Herr v. L. war ein Mensch, das heißt, ein Tier, das andre Tiere neben sich gern reich und überhaupt glücklich sieht, wenn es nur nicht auf seine Unkosten geschehen muß. Auch der Gräfin wurde es nun leichter, auf einen beinahe schwesterlichen Fuß mit ihrer Schwester umzugehen, und diese hätte es durch ihre öftern Schwächlichkeiten fast dahingebracht, daß jene sie wie ihre Schwester geliebt hätte. Nur die Fr. v. L. blieb unwandelbar ebendieselbe und konnte es bleiben, da sie weder wußte noch glauben wollte, daß jemand im Herzen anders gegen sie jemals gewesen wäre.

      Plötzlich wurde diese ruhige Periode durch ein höchst unerwartetes Gerüchte unterbrochen. – Die Fr. v. L. ist seit drei Monaten schwanger! sagte jedermann. – Schwanger? Wie ist das möglich? ohne daß der Graf S++ davon wußte? Aufmerksam hatte er doch bei jedem Besuche die Fr. v. L. vom Kopfe bis auf die Füße beobachtet, um sich nicht das geringste Merkmal der Schwangerschaft entwischen zu lassen, und gleichwohl – aber wozu lange Überlegungen? Am besten ist es, angespannt, hingefahren, gesehen! – Und das ist wahr: Außerordentlich angeschwollen schien dem Grafen die Gegend des Leibes, in welcher ein kleiner Räuber seiner Erbschaft verschlossen liegen sollte; so außerordentlich, daß er gleich bei dem ersten Anblicke verstummte und in der größten Verwirrung, zum Erstaunen des Herrn und Fr. v. L., während des ganzen Besuches verblieb, halb abwesend redte, Antworten schuldig blieb und immer starr die Augen dahin richtete, wohin sein erster Blick gefallen war mit einer ärgerlichen Verdrießlichkeit, seinem ungebornen Feinde so nahe zu sein, ohne ihm schaden zu können. – Die Anschwellung des Leibes schien ihm sogar während seiner Anwesenheit merklich zu wachsen, und so merklich, daß er befürchten mußte, bei so schnell fortgehendem Wachstume in drei Stunden seinen Nebenbuhler auf der Welt zu sehen. Er brach also den Besuch ab und hatte nicht einmal Gegenwart des Geistes genug, sich darüber zu entschuldigen.

      Was es doch für eine schwere Sache sein muß, sich in seiner Fassung zu erhalten! Man mag die stärkste Seele, die unverschämteste Dreistigkeit, die feinste Verstellungskunst besitzen, ein oft kleines Übel, das uns plötzlich auf den Rücken springt, ist imstande, alle diese herrlichen Verteidigungsmittel unnütze zu machen. – Aber wie auch die verräterische Einbildungskraft geschäftig ist, den Gebrauch unsrer größten Gaben zu verhindern! Der Graf S++ sähe die offenbarsten Spuren der Schwangerschaft, sähe sogar diese Spuren immer merklicher werden, und doch war es nichts als ein kleines Küssen, womit die Fr. v. L. wegen öfterer Anfalle vom Magenkrampfe wider die Erkältung den Ort zu bedecken pflegte, den itzt der Graf mit seinen Augen belagerte. Mit jedem Atemzuge vergrößerte sich die dadurch verursachte Erhöhung und verminderte sich auch wieder. Doch der Graf, der niemals die Fr. v. L. anders als mit diesem durch ein Küssen erhöheten Unterleibe gesehen, ohne das geringste Mißtrauen in diesen großen Umfang desselben zu setzen, der diese Gewohnheit der Fr. v. L. aus ihrem eignen Munde wußte –, der arme Graf muß sich itzt, da einmal sein Herz von Furcht und Schrecken aufgewiegelt ist, von seiner Einbildungskraft den abscheulichsten Betrug spielen lassen. Sein Gedächtnis sagt ihm keinen Mucks von dem Küssen; seine Einbildungskraft macht ihm die Erhöhung zweimal größer, als sie sonst und als sie wirklich war; sie besticht sogar die Augen, daß sie ein falsches Zeugnis ablegen, als wenn die Anschwellung zusehends zunähme, und kein Wort davon sagen, daß ebendiese größere Anschwellung bei jedem Atemzuge geschehe und nach demselben gleich wieder in die vorige Beschaffenheit zurückfalle, und, was mich am meisten ärgern kann, der Verstand sitzt ruhig im Armstuhle da, sieht unbeweglich zu, wie seine Untergebene den armen Grafen herumtummeln, und wenn er ihm auch nur, ohne sich weiter zu bemühen, zugeflüstert hätte, wie treulos man mit ihm umginge und wie wenig diese sich vergrößernde Anschwellung, per rerum naturam, wachsende Merkmale der Schwangerschaft sein könnten! Aber nichts von allem dem! – Das ist mir ein phlegmatischer Bube, der Verstand!

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