Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Freunde zu scheinen, zwingen, endlich, ohne daß sie es wissen, wirklich Freunde werden; war gleich die Vorstellung von seinem Verhältnisse gegen den Grafen bei dem Herrn v. L. durch die Erneurung seiner Erwartung wieder lebhafter und empfindlicher geworden, so war doch dieser überhaupt von einem viel zu sanften, ruhigen und nichts weniger als stark genug empfindenden Gemüte, um durch das Andenken an die vermehrte Hoffnung des Grafen, da ihm seine eigne fehlgeschlagen war, so plötzlich und in eine so starke Bewegung versetzt zu werden.

      Ich würde diese Apologie nicht unternommen haben, wenn nicht etliche Leute bemüht wären, alle sanfte, edle Empfindungen des menschlichen Herzens verdächtig zu machen und jede unter ihnen als die Wirkung eines Rades zu betrachten, das seine Bewegung unmittelbar oder mittelbar von dem Perpendikel des Eigennutzes empfängt. Itzt bin ich zu warm noch von meiner Apologie, um mit ihnen zu reden; aber ich komme gewiß und bald wieder zu ihnen zurück – aber mit einer freundlichen Miene – zanken kann ich nicht – und dann wollen wir sehen, ob wir am Ende der Disputation einander nicht freundschaftlich die Hände geben werden, ohne daß eine Partie den Verdruß hat, von der andern überwunden worden zu sein. Itzt müssen sie indessen meine Gründe den H. v. L. in ihren Augen rechtfertigen lassen. Käme aber jemand, der die Fr. v. L. kännte, gar auf den Einfall, seine Theorie vom Eigennutze auf sie anzuwenden – nein, gewiß, mit dem zankte ich – oder wenn ich das nicht könnte, so redte ich doch kein Wort mit ihm und beklagte in meinem Herzen, daß

      – ihm das Geschick Verstand und Kenntnis schenkte,

      Licht, Einsicht – alles, nur – kein Herz!

      Nichts war es als die plötzliche Dämpfung einer Freude, die diese beiden edlen Seelen über ein Glück gefühlt hatten, das für erhabne Gemüter das süßeste, das himmlischste ist, dessen Gewißheit ihnen so unwidersprechlich als ihre eigne Existenz schien; nichts als die plötzliche Dämpfung dieser Freude war es, die das mütterliche und väterliche Herz so sehr niederschlugen als der Verlust eines erwachsnen, hoffnungvollen Kindes. So beseufzt auf

      Dem düstern Pappelast, voll Traurens, Philomele

      Die Kinder, die vom Nest, noch unbefiedert, ihr

      Der harte Landmann stahl; sie gießt die kleine Kehle

      In laute Klagen aus; die Nacht verweint sie hier,

      Und nimmer unterbricht die Ruh die Trauerlieder,

      Und ringsum schallt das Tal von ihren Klagen wieder.

      Kein Gatte, keine Lust kann ihren Gram zerstreun,

      Sie ist des Grames Raub – sie will es sein.

       Inhaltsverzeichnis

      Die schwächliche Natur der Fr. v. L. war durch die angreifenden Mittel des Grafen erschöpft worden; ebensosehr hatte sie die Geburt und der Schmerz über ihre fehlgeschlagne Hoffnung entkräftet; sie starb. Die Gräfin kam ohne alle Schwierigkeiten in den Besitz des Anteils, den ihr das väterliche Testament von dem Vermögen der Verstorbnen zuerkannte; der Graf wurde gerettet, seine Gläubiger bezahlt, sein Stolz beruhigt, sein Kredit wiederhergestellt, seine Pracht fortgesetzt; der Herr v. L. blieb noch immer sein Freund und hätte sich den geringsten Einfall von Verdacht wider ihn als eine Sünde angerechnet. Das entführte Kind wurde völlig dem Stande seiner vorgegebnen Mutter gemäß erzogen und ließ auch nicht die mindesten Merkmale an sich blicken, in welchem Stande es gezeugt worden war, wie wohl einige Leute sich einbilden könnten. Die Frau starb, als es vier Jahr alt war, und – erfuhr es der Graf nicht zeitig genug? konnte er keine Nachricht davon erhalten, oder wollte er keine haben? – Genug, niemand wußte seinen Aufenthalt, und jedermann war ruhig darüber.

      Ein Jahr darauf und also überhaupt fünf Jahre nach der Entführung ließ sich Christian, der ehemalige Spion des Grafen, einfallen, die Beschwerlichkeiten des Bedientenstandes auf einmal so stark zu fühlen, daß er ohne bequemere Umstände und gänzliche Befreiung von allen Geschäften nicht länger mehr leben zu können glaubte. Er nahm seinen Abschied, ohne weitere Aussichten als auf die Dankbarkeit des Grafen S++. Dieser war über seine dreisten und ziemlich ansehnlichen Foderungen nicht wenig verwundert und wäre gern böse geworden, wenn er es gewagt hätte; er bot ihm statt einer Erkenntlichkeit seine Dienste und einen größern Lohn als der gewöhnliche an; verächtlich schlug er die Anerbietungen des Grafen aus, weil er seinen Dienst nicht verlassen hätte, um wieder zu dienen, und ging mit einem Geschenke von dreißig Talern ziemlich befriedigt fort, um damit den Anfang seines gewünschten ruhigen Lebens zu machen, ohne zu bedenken, daß bei einem so kleinen Reichtume der Anfang und das Ende seines Müßiggangs sehr nahe beieinander sein mußten.

      Solange nur männliche Personen auf dem Schauplatze sind, so geht alles langsam; der Dialog ist schleppend, die Handlung träge und, unter uns gesagt, das ganze Spiel etwas langweilig. Sobald aber eine weibliche Rolle erscheint, schon wenn sie nur aus der Szene hervortritt, so wird gleich der Dialog lebhafter und die Handlung verwickelt oder entwickelt, und gleich wird sich ein Beweis davon zeigen.

      Die Wehmutter, Margrete, hatte indessen einen Mann von mittelmäßigen Mitteln geheiratet; ihre Kunst war bei dem schönen Geschlechte durch die öftere Einquartierung fremder Truppen sehr gesucht und ihr sehr einträglich geworden, und sie konnte nun alle Sonntage Braten essen und jeden Festtag eine andre Haube mit einer breiten Tresse aufsetzen. Die andre Muhme, die Christian zur Beisteherin bei der Geburt der Fr. v. L. empfahl – Sabine mag sie heißen, das Kirchenbuch kann ich ihrentwegen nicht nachschlagen lassen –, diese, sage ich, lebte noch in der nämlichen Armut und Faulheit, und die unumschränkteste Wohltätigkeit der Fr. Margrete war für beide nicht zureichend. Sabine haßte sie, ob sie gleich durch ihre Wohltaten sich erhielt, weil jene sonst nicht viel reicher als sie gewesen war und nunmehr so allerliebste Tressenhauben tragen konnte. Mit diesem neidischen Grolle drohte sie einst Margreten, als ihr von dieser eine kleine Gefälligkeit versagt wurde, die ganze Verheimlichung des jungen H. v. L. zu entdecken; »und sollte es auch mein eignes Unglück sein«, sprach sie zornig. Die Kindmutter, ein furchtsames Weib, und die nunmehr bei bessern Umständen um ihre schönste Festhaube keinen Anteil an dem Handel gehabt haben mochte, bat sie, gab ihr, versprach ihr; geben, versprechen, Versprechen erfüllen, hörte endlich auf; der Zorn fing bei Sabinen von neuem an, und in der Wut hetzte sie Christianen wider seine Muhme auf, ohne auf neue Versprechen zu warten; denn eigentlich war es ihr nur zu tun, diese um ihre Festhaube zu bringen und, wenn es obendrein möglich wäre, mit sich wieder in gleichen Rang zu setzen.

      Christian hatte ein müßiges Leben sehr zuträglich befunden und war itzt gerade in der letzten Szene davon, als Muhme Sabine ihn zu einer neuen Komödie in Feuer setzen wollte. Der Gewinst war für ihn immer größer dabei als der Verlust; er konnte sich an der filzigen Kargheit des Grafen rächen, eine Belohnung vom H. v. L. für seine Entdeckung erhalten, alsdenn wieder müßiggehen; – genug, nach kurzer Überlegung oder vielmehr ohne Überlegung wurde der Vorschlag angenommen. Der H. v. L. wurde von der ganzen Unternehmung umständlich unterrichtet, die Kindermutter vor ihm gefodert, die sogleich alles gestand und ihre Mitschuldigen offenherzig anzeigte, und Muhme Margrete, Vetter Christian und Muhme Sabine in Verhaft gebracht, welches aber eigentlich in dem Plane der beiden letztern in Ansehung ihrer nicht begriffen, sondern ein Anhang war, der auf Gutachten des H. v. L. hinzugetan wurde. Sie wiederholten alle ihr Geständnis vor Gerichte, und der Graf S+ – war überwiesen? – Ja, so denken wir Laien in der Gerechtigkeit, aber ganz anders ihre eingeweihten Priester. Die Gerechtigkeit ist blind, das ist nicht übel ausgesonnen; aber dafür sieht sie auch die deutlichsten Beweise des Rechts nicht und muß sich begnügen, mit den streitenden Parteien blinde Kuh zu spielen, und wie leicht vergreift sie sich da! hascht gerade den Unschuldigen, wenn der Schuldige unter den Armen wegschleicht.

      Der Graf formierte einen Gegenprozeß; man leuterierte, appellierte, -ierte, -ierte, -ierte, und was für Zerimoniell noch weiter bei der Hofstatt der Themis gebräuchlich ist, alles das wurde durchagiert; wer könnte wohl so viel erzählen, als Advokaten schreiben und Richter les ... – übersehen können? – Kurz, der Graf wandte, weil es sein Advokat für dienlich


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