Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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beiden bestätigten sogar selbst, daß sie falsch gewesen wäre, daß sie alles nur aus der guten Meinung erdacht hätten, um ihre Muhme nicht in Lebensgefahr zu bringen, da sie sich einmal durch ihr Gewissen gedrungen gefunden hätten, die Sache anhängig zu machen. Was diese Bösewichter bewegte, ihre Aussage wider ihr Gewissen so zu verändern? Nichts als die Hoffnung, durch die Strafe ihrer Muhme ihrer eignen zu entgehen, den Graf aus dem Verdachte des Mordes zu ziehen, welcher sehr stark wider ihn war, und aus Erkenntlichkeit von ihm wieder aus dem ganzen Handel und obendrein mit einer gewissen Aussicht in ein ruhiges Leben gezogen zu werden, welches alles vermutlich nicht in ihren Kopf gekommen wäre, wenn sie nicht die Versichrung und die Anstiftung des Grafen dazu veranlaßt hätte, der seine Versprechungen durch einen sehr natürlichen Weg bis zu beiden ins Gefängnis zu bringen wußte.

      Was sollte die Gerechtigkeit tun? – Sie überlegte sich alle pro und contra lange, wälzte sie auf alle Seiten herum, und das ganze Resultat von ihren schwerfälligen Überlegungen war: Nachdem Kindermutter Margrete das Kind umgebracht, als etc. etc. – Zwo Fakultäten bekamen die pros und contras zugeschickt, und in jeder hatte eines der hochgelahrten Mitglieder beinahe ein Pfund Knaster in die Akten geblasen, als man endlich im Namen aller zurückschrieb: Nachdem Kindermutter Margrete das Kind umgebracht, als etc. etc. – Es war nichts als eine kleine Nachkomödie noch übrig, nämlich, daß jemand über sich nahm, für Kindermutter Margreten eine sogenannte Defension zu führen; hurtig war die durchgespielt – hurtig, das heißt wenigstens in Dreivierteljahren – und die Katastrophe war gerade dieselbe: Nachdem Kindermutter Margrete das Kind umgebracht, als soll sie die Strafe leiden, die einer Kindermörderin durch die Gesetze unsrer rohen Vorfahren und eine barbarische Gewohnheit zuerkannt wird.

      Aber um des Himmels willen! werden meine Leser ausrufen, die besser als die Gerechtigkeit von dem, was Kindermutter Margrete getan hat, unterrichtet sind, konnte denn niemand der Gerechtigkeit die Binde nur einen Fingerbreit von den Augen ziehen, daß sie doch wenigstens ... – Wozu? Sie tat das ihrige. Sie schloß sehr tiefsinnig:

      »Wenn ein Kind nicht vorhanden ist, so ist es entweder niemals dagewesen oder umgebracht worden;

      Daß der junge v. L. dagewesen ist, besagt die Kindermutter Margrete,

      Daß er von dieser umgebracht worden ist, sagt der Graf S+, der Bediente Christian und seine Muhme Sabine;

      Folglich – ist er von ihr umgebracht.«

      Dieser Schluß war bald zustande gebracht, und nun wälzte sie die Schlußfolge wie Sisyphus seinen Stein bergauf, bergab, und allemal fiel sie wieder auf den vorigen Fleck zurück. Nichts war also möglich, als daß Fr. Margrete eine Kindermörderin war oder – daß die Gerechtigkeit falsch schloß. Außerdem wollten einige Leute gar einen gegründeten Verdacht auf die Gerechtigkeit werfen – ich mag nichts davon sagen! – die Gerechtigkeit! Ich schäme mich, es nur von ihr zu denken, wieviel mehr müßte sie sich schämen, es zu tun!

      Glücklicherweise für die Kindermutter Margrete war der Tod diesmal ein so großer Wohltäter, als er nur jemals gewesen ist. Er ließ sie sterben, ehe noch das Urteil an ihr vollstreckt werden konnte. Ob sie gleich selbst durch diesen freundschaftlichen Dienst dem Schmerz und der Schande der Hinrichtung entging, so wurde sie doch von allen Menschen in effigie hingerichtet, sooft nur ihr Name genennt wurde. – Pfui! wie unmenschlich! – Ja aber, sollte denn der Pöbel glauben, richtiger schließen zu können als die Gerechtigkeit? Sollte er ihren Aussprüchen nicht mehr als seinen Einsichten trauen oder ihre Strafbarkeit in Zweifel ziehen, wenn sie von der Gerechtigkeit für schuldig erkannt worden war?

      Diese unglückliche Wehmutter, die durch die menschliche Schwäche der Göttin Gerechtigkeit beinahe den schimpflichsten und zugleich schmerzlichsten Tod hätte ausstehn müssen und, wie meine mitleidigen Leserinnen aus dem Zusammenhange der Geschichte urteilen werden, ihn bei der größten Unschuld hätte ausstehn müssen, die unverdienterweise ein entehrendes Andenken hinterlassen mußte – diese Unglückliche, sage ich, war die wahrhafte Stiefschwester von dem Vater meines Tobias Knauts. Täglich, bei dem kleinsten Zwiste mußte er sich an diese traurige Geschichte von seiner Frau zu seiner Kränkung erinnern lassen, wenn er einer Kränkung fähig gewesen wäre; und itzt, da er sich im sechzehnten Absatze unterstund, seine männlichen Rechte durch die Waffen zu behaupten, so wurde er mit dem empfindlichsten Akzente zu seiner Demütigung belehrt, daß seine Schwester eine Mörderin gewesen sei, welches alle Menschen sagten und vielleicht auch glaubten, ob sie gleich durch die Wiedererscheinung des jungen L. völlig gerechtfertigt worden war.

      Wenn vielleicht der empfindende Teil meiner Leser eine Träne in Bereitschaft hat, um sie auf den Namen der entehrten Margrete fallen zu lassen, so bitte ich, nur noch einen Augenblick sie im Auge zurückzuhalten, noch ein paar Worte von mir anzuhören und alsdann sich zu besinnen, ob sie fallen oder bis zu einer andern Gelegenheit aufgehoben werden soll.

      Die Kindermutter, Margrete, hatte in ihren jüngern Jahren, durch Armut verleitet, sich einem gewissen Manne preisgegeben und ein Kind, das wider ihre Veranstaltung erschien – was weiß ich? –, ermordet, erdrückt, kurz, von der Welt weggeschafft. – Die Obrigkeit verurteilte sie unschuldig und strafte sie mit Recht.

      Welch eine weise Regierung der Welt, wo unvermeidliche Fehler das Gleichgewicht des Ganzen erhalten und die unverschuldeten Irrungen des einen die verschuldeten Strafen des andern sind!

       Inhaltsverzeichnis

      Nach einer so langen Episode, Digression – wofür ich es halten soll, weiß ich selbst nicht – könnte ich sogleich wieder zu meinem Helden zurückeilen und die Neubegierde meiner Leser immer da sitzen und ungeduldig auf den völligen Ausgang der vorigen Geschichte warten lassen, ohne mich weiter nach ihr umzusehen; aber nein, das kann ich nicht tun. Ihnen zu gefallen, soll dem jungen L. noch ein Absatz aufgeopfert werden, aber nicht mehr! Was bliebe denn sonst meinem Knaut?

      Der Graf S+ befand für dienlich, den Verdacht gegen die übrigen beiden Mitgefangenen so sehr zu vermehren, daß man in dubia causa sie lieber unter ihrem Verdienste als gar nicht bestrafen wollte. Christian mußte seine Hoffnung auf ein ruhiges und müßiges Leben noch weiter hinausschieben: Er kam auf den Bau, und seine Muhme wurde des Landes verwiesen.

      Eines Tages, als Christian, nebst etlichen seiner Gefährten, einen wohlbeladenen Karren voll Steine durch die Straßen rollen mußte, um sie zur Aufbauung eines Waisenhauses herbeizuführen, das an der einen Seite des Zuchthauses angelegt wurde, weil das alte an der andern einzufallen drohte – bei dieser Gelegenheit, sage ich, bekam er einen Knaben zu sehen, der auf dem Hofplatze des Waisenhauses mit andern Waisenkindern spielte und bei dem ersten Anblicke seine Aufmerksamkeit ganz auf sich zog; warum? das weiß ich nicht zu sagen und er vielleicht selbst nicht. Er erkundigte sich in eigner Person und vermittelst seines Vorgesetzten nach der Herkunft, den ehmaligen Umständen des Knabens usw., und was er erfuhr, war für ihn völlig genugtuend. Die gegenwärtige Waisenmutter, hieß es, hätte ihn, als sie ihr Amt angetreten, auf Erlaubnis der Direktoren mitgebracht; ihr wäre er, als sie noch in – – gewohnt, von ihrer Nachbarin auf dem Totbette anvertraut worden, mit der Eröffnung, daß er zwar ihr Sohn, aber von einem vornehmen Vater sei; sie sei alsdann mit ihm, weil es ihre Umstände so verlangt hätten, in verschiedenen Städten der dasigen Gegend herumgezogen, bis sie endlich in die gegenwärtige und in das gegenwärtige Amt gekommen sei. Sie setzte außerdem hinzu, daß sie ihn wegen seines gesitteten und für sein Alter verständigen Betragens liebte, und gab dieses als eine Ursache an, warum sie, bei ihren vormaligen nicht allzu guten Umständen, sich seiner angenommen hätte. – Hieraus machte Christian den Schluß: Das ist der junge L., den ich entführt habe. Er bat, daß man diese Erkundigungen, nebst seiner eignen Aussage darüber, dem H. v. L. melden möchte, weil er vielleicht nach völliger Aufklärung der Sache sich von seiner unverschuldeten Strafe befreien und dem H. v. L. einen Sohn verschaffen könnte. Auf den ersten Umstand achtete die Menschlichkeit der Obrigkeit wenig, und er wäre ganz unkräftig geblieben, wenn der andre nicht auf ihren Eigennutz desto stärker gewirkt hätte. Der H. v. L.


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