Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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gesessen, vom Stuhle auf, nahm ihn, wie er aufgeschlagen dalag, und sahe hinein. Bei der ersten Ansicht erblickte er gerade soviel Worte, als nötig waren, ihm den Inhalt des Blattes interessant zu machen; er las – wandte um – kurz, las die ganze Geschichte. Sein Gedächtnis brachte ihm die fehlenden Umstände, die er anderswo gelesen, zurück; die entfernte Ähnlichkeit zwischen einem Halbbruder, der verdächtig geworden ist, dem andern eine Krone streitig machen zu wollen, welches der Fall im Tacitus war, und einem Vetter, der den Onkel von einer sehnlich gewünschten und bedurften Erbschaft verdrängen will, welches der Fall des Grafen war – die Ähnlichkeit der Erwartungen des Nero und seiner eignen: Denn jener mußte, wenn Britannicus leben blieb, aufhören, Kaiser zu sein, als ein Privatmann, und vielleicht schlecht leben, im Exilium herumwandern; er, der Herr Graf, wenn sein Vetter ins Leben kam, allen seinen Herrlichkeiten entsagen, aufhören, prächtig zu leben, in ein freiwilliges Exilium wandern und entweder niemals oder arm wieder zurückkommen; die Ähnlichkeit der Ruhe und des Wohlseins, in welche Nero nach dem Tode seines Bruders und er nach de – – seines Vetters versetzt zu werden hoffte, Pollio, der Tribunus cohortis praetoriae, der den Plan des Kaisers vollführte, die alte Hexe, Locusta, die die giftige Mixtur zubereitete: alle diese Ideen schwammen in dem Gehirne des Grafen, wie die Trümmern eines verunglückten Schiffs auf dem Meere, herum, stießen zusammen, fuhren wieder auseinander, ohne daß weiter etwas erfolgte. Mitten unter diesem Aufruhre trat Christian ins Zimmer, ein Bedienter des H. v. L., der sich von dem Grafen als Spion bezahlen ließ und darum einen freien Eintritt in das Zimmer des letztern hatte, sooft er Neuigkeiten aus seinem Hause zu berichten wußte. Itzt brachte er, wie schon oben gesagt worden ist, die Nachricht, daß man gegenwärtig über die Wahl einer Kindermutter zu Rate ginge und daß man willens wäre, seine Muhme, Margrete, dazu zu gebrauchen. Kaum hatte er es gesagt, als in dem Kopfe des Grafen der Spion, Christian, mit dem Pollio, tribunus cohortis praetoriae, die Kindermutter Margrete mit der Giftmischerin Locusta zusammenstieß. Aus der Zusammenkunft wurde unter diesen Leuten bald eine genaue Bekanntschaft, eine so genaue Bekanntschaft, daß sie alle viere in dem Kopfe des Grafen ein Projekt zur Welt brachten, dessen Empfängnis und Geburt geschwinder hintereinander folgten als die Empfängnis und Geburt der Minerva im Kopfe des Jupiters. Das Projekt war: Christian sollte bei der so nahen Geburt seines Vetters – Pollio und die Muhme Margrete – Locusta sein. Dieser sollte ein von geschickten Händen zubereiteter Schlaftrunk anvertraut werden, welchen sie bei Annäherung der Geburtsschmerzen der Fr. v. L. beibringen und sie vermittelst einer Wiederholung der nämlichen Dosis so lange in Schlummer und Betäubung erhalten sollte, bis sie sich ihres Kindes entladen hätte. Die Frau Gräfin sollte sich zum Beistande bei der Geburt erbieten; Christian bot eine andre Muhme zur zweiten Beisteherin an, die so arm war, daß sie um einen sehr billigen Preis, um eine Mahlzeit, wie die Einwohner von Gorea, sich selbst mit Leib und Seele verkauft hätte, wenn sich Liebhaber hätten dazu auftreiben lassen, und die also ihr Gewissen um so viel weniger teuer hielt; Christian selbst wollte das Kind sogleich heimlich in einem Korbe bis zur Hintertüre schaffen, wo sein Bruder, der Zollbereuter, warten sollte, um es zu Pferde weiter an einen verabredeten Ort – den ich vergessen habe – fortzubringen. Kam das Kind tot zur Welt oder war es ein Fräulein, so wurde die Geburt nicht verhehlet, und die Eltern hatten völlige Freiheit, darüber zu lachen oder zu weinen. Das Kind umbringen zu lassen, dazu konnte der Graf sich doch so schnell nicht entschließen – ohne Zweifel aus einem Gefühle von Menschlichkeit, das doch bei Leuten, selbst von mittelmäßiger Erziehung, meistenteils wirksam ist und sie von Verbrechen zurückhält, die sie gern begehen möchten – besonders wenn es das erste ist, wozu ihnen ihr Vorteil rät.

      Man glaube aber ja nicht, daß das ganze Projekt, so wie es vor den Augen des Lesers daliegt, auf einmal und ganz an das Licht kam: nein, nichts als die prima stamina davon, nichts als die Grundfäden; für den Eintrag und die übrige Arbeit, die die Vollendung des Gewebes erfoderte, sorgte Christian, der sich nicht wenig freute, seine halbe Familie bei dieser Unternehmung ins Brot gebracht zu haben.

       Inhaltsverzeichnis

      So unglücklich das erste Stratagem abgelaufen war, so glücklich ging das gegenwärtige vonstatten. Während der Betäubung der Fr. v. L. erschien ein Sohn, der, der Verabredung gemäß, nach – – – zu einer Soldatenfrau gebracht wurde, die ihn säugte und ihn für ihr Kind ausgab, das, ich weiß nicht, wie lange vorher, ohne daß es jemand wußte, auf dem Marsche sich verloren hatte. Es gehört ohne Zweifel mit unter die Rechte und Freiheiten des Kriegs – der damals sich auch über diese Gegenden erstreckte –, daß Soldatenweiber auch ohne das Bewußtsein ihrer Männer die Familie vermehren oder vermindern können; wenigstens wollten einige ihrer Neiderinnen insgeheim versichern, daß sie ihr vermeintlich gestorbnes Kind im freien Felde gelassen und – man weiß nicht! Genug, sie blieb zurück, als das Regiment den Quartierstand veränderte, vergaß Mann und Liebhaber und mietete sich sechs Meilen über der Grenze in einer Stadt ein; eine Entfernung, die man für weit genug hielt, um nicht entdeckt zu werden, und für nahe genug, um ihr, der Pflegemutter, die nötigen Unkosten des Unterhalts bequem überliefern zu können; wiewohl dieser letzte Einfall bloß ein Einfall der Soldatenfrau war, welchen der Graf im Herzen für den schlechtesten bei der ganzen Unternehmung hielt, weil er lieber gesehn hätte, daß das Weib nach Empfange einer Belohnung mit der Armee und dem Kinde auf ewig fortgegangen wäre und ihm die fernern Unkosten, es zu erhalten, erspart hätte. Die Frau hingegen hatte ein gar zu starkes Interesse bei dieser Entweichung von ihrem Manne und dem Regimente, wo eine Nebenbuhlerin sie um ihren ganzen Beifall gebracht hatte, als daß sie nicht durch Bekanntmachung der wenigen Umstände, die sie wußte, eine boshafte Rache ausgeübt haben würde, wenn man ihren Einfall gemißbilligt hätte. – Was für ein abhängiger Sklave doch der Stolzeste, wenn er einen bösen Plan auszuführen sucht, von den schlechtesten, niederträchtigsten Geschöpfen ist!

      Nach der Entfernung des Kindes, als die Fr. v. L. von ihrem Schlummer zurückkam, wurde ihr und ihrem Gemahle gemeldet, daß es ihr unrichtig gegangen wäre und daß man die hervorgekommne, unvollkommne Frucht auf Befehl der Gräfin sogleich weggeschafft habe, um das mütterliche Herz der Fr. v. L., wenn sie vielleicht eher wieder zu sich gekommen wäre, nicht durch den Anblick zu kränken. Man dankte für diese Vorsorge; aber mit welcher Empfindung! – Hätte der Herr v. L. von einem Tyrannen, unter Bedrohung der ausgesuchtesten Qualen, den Befehl erhalten, seine Gemahlin augenblicklich zu durchstoßen, seine Verwirrung, seine Betrübnis hätte kaum größer sein können als bei dieser Nachricht. Die Fr. v. L. hatte außer der Bekümmernis über diesen unerwarteten Vorfall noch mit einem heftigen Anfalle von körperlichen Schmerzen zu kämpfen, und diese traurige Situation beider machte es der Gräfin um soviel leichter, mehrere Umstände auszusinnen, um die Unverdächtigkeit und Wahrscheinlichkeit der Begebenheit zu vermehren.

      Man müßte in der Tat ein Menschenfeind sein, wenn man glauben wollte, daß der Eigennutz oder eine Mißgunst gegen den Grafen an dieser so lebhaften Betrübnis des Herrn und der Fr. v. L. über ihre vereitelte Hoffnung den größten Anteil gehabt hätte. Die Betrübnis des Eigennutzes, des Neids entsteht niemals so plötzlich, ohne daß er nicht, sich unbewußt, einen hämischen Blick auf den Gegenstand wirft, dem die Vereitelung seiner Erwartungen eine glückliche Aussicht eröffnet: Auch die klügste Verstellung, die wirklich nicht das Talent des H. v. L. war, kömmt hier zu kurz, wie bei jeder plötzlichen, unerwarteten Empfindung; eripitur persona, manet res. Aber die Betrübnis des H. v. L. war eine stumme Niedergeschlagenheit, die, nach einigen Augenblicken Erholung, mit vielen Freundschaftsbezeugungen gegen die Gräfin und Zärtlichkeiten gegen seine Gemahlin abwechselten. Dafür bin ich freilich nicht gut, daß nicht während diesen Freundlichkeiten in ihm der Gedanke aufsteigen konnte: Sie kömmt durch meine fehlgeschlagne Erwartung ihrem Glücke näher! oder so etwas; aber das waren unwillkürliche Zusammensetzungen der Einbildungskraft, Spiele des Gehirns, die von keiner mißgünstigen oder unwilligen Regung im Herzen begleitet waren. Noch mehr! Der H. v. L. hatte den Graf und die Gräfin schon sechs Jahre lang in dem Verhältnisse gegen sich, als einen Mann, dessen Hoffnung mit seiner eignen in beständiger Kollision steht, angesehen; die Empfindlichkeit darüber war geschwächt und beinahe gedämpft; ihre beiderseitige Freundschaftlichkeit war durch die Länge der Zeit mehr in


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