Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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der Kutscher seinen Dukaten redlich verdient hatte, und prügelte so gewaltig auf ihn zu, daß dieser in die größte Verlegenheit geriet, ob es nicht vielleicht eine ernstliche Bestrafung sein sollte, weil er seiner Pflicht nicht völlig Genüge getan und das Umwerfen nicht unglücklich genug abgelaufen wäre. Fast war er, um den Fehler wieder gutzumachen, willens, das ganze Schauspiel noch einmal zu wiederholen; aber bald riß ihn ein glücklicher Umstand aus dieser Verlegenheit. Die Fr. v. L. wurde einen Fußsteig gewahr. Die drei Damen gingen zu Fuß, ein Bedienter mußte sie begleiten, der Herr Graf hatte den Fuß verrenkt, er mußte also in den Wagen zurück und ganz allein so viele und so heftige Stöße ausstehen, daß er nun völlig begriff, wie empfindlich es für ein Frauenzimmer sein muß, wenn man es durch Umwerfen und steinichte Wege dahin bringen will, daß es ihr unrichtig geht.

      Diese mißlungne Probe und die Verzweiflung, in welche der Graf durch die Scham vor sich selbst versetzt wurde, ersparten der Fr. v. L. auf eine lange Zeit dergleichen gewaltsame Geburtshülfen. Indessen nahm bei ihr die Erwartung einer glücklichen Entbindung immer mehr zu und auf der Seite des Grafen die Hoffnung einer erwarteten Erbschaft verhältnismäßig ab. Jeder Gedanke daran schleppte einen langen Zug von traurigen, schwarzen Vorstellungen hinter sich drein: erst seine Gläubiger, ein jeder einen Arrestbefehl in seinen Händen; dann seine Bedienten, seine Laufer, Heiducken, alle in Trauerkleidern um ihren unbezahlten Lohn und den Verlust ihres Dienstes; darauf der ganze Schwarm von Käufern, die lege auctionis seine Möbeln, Kutschen, Kleider, Service unter sich geteilt hatten. Mit Schaudern sahe der Stolz diese Leichenprozession, die ihn in kurzem in die Gruft begleiten sollte. Er drückte, er rieb an dem Gehirne, um vielleicht ein Mittel herauszupressen, wie diese Leichenbegleitung und also auch sein Tod zu vermeiden wäre; das Gehirn war trocken und brachte auch nicht eine einzige notdürftige Idee zum Vorschein.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Fr. v. L. nimmt keine Besuche mehr an; sie fährt nicht; sie tanzt nicht; was ist also zu tun?

      Man beratschlagt schon über die Wahl einer Wehmutter; Herr Graf, nun ist es Zeit!

      Diese Nachricht erhielt der Graf von einem seiner Spione, mittwochs abends siebzehn Minuten auf neun Uhr, als er gerade in seinem Schlafrocke am Schreibetische saß und in Amelots Übersetzung des Tacitus gelesen hatte. Wer sollte glauben, daß diese Nachricht und diese Lektüre durch ihre Zusammenkunft in dem Kopfe des Grafen ein Etwas in dem Augenblicke zur Welt brachten, das die wirkende Ursache von vielen künftigen Begebenheiten, von dem Tode der Fr. v. L., von einem langen Prozesse usw. sein wird? Ein Etwas, das meinen Lesern völlig begreiflich machen wird, wie die Anwartschaftsgeschichte des Grafen S++ ein Kommentar über zwei oder drei unbesonnene Worte der Frau Knaut, Schulmeisterin in – –, sein kann? – Unbegreiflich! und doch ist es nicht anders. »La vraisemblance n'est pas toujours du côté de la vérité«, sagt Bayle, ein Mann, der aus seiner Erfahrung wußte, was Ursachen und Wirkungen in menschlichen Begebenheiten für wunderliche Dinge sind.

      Als der Graf noch unter der Anführung eines Pedanten Phrases aus dem Tacitus ziehen und auswendig lernen mußte – dieses Glied will ich meinen Lesern von der Kette der Ursachen und Wirkungen in die Hand geben; wenn ich bis zu den ganz ersten zurückgehen wollte, so würde die Geschichte dieses einzigen Vorfalles so stark als die Geschichte der Menschheit werden und mit dieser von einem Datum anfangen –, zu jener Zeit also schenkte dem Grafen, zu Erleichterung seiner phraseologischen Arbeiten und zu besserm Verständnisse seines Autors, seine gnädige Tante seligen Andenkens des Amelot de la Houssaie Übersetzung des Tacitus.

      Aus gerechtem Unwillen über den Tacitus, der dem Grafen die Anzahl seiner unglücklichen Stunden in diesem Leben ansehnlich hätte vermindern können, wenn er nichts geschrieben hätte, beschloß dieser auf der Universität, keine Silbe, keinen Gedanken mehr in seiner Bibliothek zu dulden, von dem er versichert sein könnte, daß er in dem Kopfe des Tacitus gewesen wäre. Amelot sollte daher auch unter vielen noch unschuldigern in die Auktion verwiesen werden, seiner Dienste ungeachtet, die er ehemals geleistet hatte; doch Max, der Bediente, der das ganze Geschäfte besorgte, hatte seit langen Zeiten die Gewohnheit gehabt, abends die Zopfbänder seines Herrn in Amelots übersetzten Tacitus zu legen, um sie von den Runzeln zu kurieren, die sie den Tag über angenommen hatten. Leicht und vielleicht besser hätte manches andre Buch unter dem Vorrate seines Herrn zu diesem Endzwecke gedient; allein da über Köpfe von seiner Klasse die Gewohnheit grausamer tyrannisiert als irgendein orientalischer Despot, so konnte er unmöglich eine Trennung zwischen sich und seinem Amelot geschehen lassen. Ohne Vorwissen seines Herrn behielt er ihn zu dem vorigen Gebrauche zurück, und nie war der Graf neugierig genug, in das Buch, wenn er es sah, hineinzublicken. Ohne fernere Nachfrage war der französische Tacitus, auch da er nach Maxens Entlassung nicht mehr Haarbänder pressen mußte, von einem Orte zum andern mit fortgewandert und hatte zu seiner Sicherheit allzeit den verächtlichsten Posten in dem abgelegensten Winkel des Bücherschrankes erhalten, welches er bloß seinem schlechten Kleide zu danken hatte.

      Den Tag vorher, ehe der Graf die obgemeldete Lektüre machte, suchte der Sekretär in der Gegend, wohin Tacitus diesmal hatte flüchten müssen, etliche alte Papiere. Das Buch wollte hartnäckigerweise seinen Platz nicht verlassen, ob es gleich im Wege war; es bekam einen Stoß und fiel, sechs Reihen hoch, aufgeschlagen mit dem Rücken auf den Boden. In der Hitze des Suchens vergaß der geschäftige Sekretär ihm wieder zu seinem eigentümlichen Platze zu verhelfen; es blieb die Nacht liegen.

      Morgens darauf fand es das Stubenmädchen, als sie das Zimmer ausfegen wollte, in dem nämlichen Zustande. Sie fand nach ihren weiblichen Begriffen von Ordnung und Reinlichkeit, daß ein auf einem unausgekehrten Fußboden liegendes Buch einen staubichten Fleck bedecke und also, wenn es weggenommen würde, dieser Fleck weniger rein sein und folglich die harmonische Reinlichkeit der Stube gestöret werden müßte; sie hub es auf. Bei dem Aufheben reizte das Titelkupfer ihre Neubegierde; sie sah es an; aber durch lange Zucht gewöhnt, in den Zimmern ihrer Herrschaft Papiere und Bücher gerade in die vorige Lage zu versetzen, wenn sie um der Reinlichkeit willen einen Augenblick aus ihrem alten Orte verrückt werden mußten, hielt sie sich für verbunden, das Buch wieder aufgeschlagen zurückzulegen. In der aufmerksamen Begeisterung über dem Titelkupfer war es verblättert worden, und – mit einem höchst unseligen Griffe trafen ihre zween Daumen gerade bei dem Blatte zusammen, auf welchem die alte Giftmischerin Locusta, unter der Aufsicht des Nero, das Tränkchen kocht, das Ihre Majestät von Dero Bruder, dem Britannicus, befreien sollte. Diese Stelle blieb aufgeschlagen, als das Buch wieder an seinen vorigen Platz kam.

      Denselben Tag, abends, um acht Uhr und fünf Minuten setzte sich der Graf, voll gewöhnlicher Unruhe, die wie manche Fieber mit der Dunkelheit zunahm, in einen Lehnstuhl, dem Bücherschranke gegenüber. – Leute – ich weiß nicht gleich, warum, aber gewiß ist es –, Leute, die niemals an einem Buche Vergnügen gefunden oder aus bekannten Ursachen keins finden konnten, greifen doch, wenn sie von einem langen Kummer gequält werden, wie durch einen natürlichen Trieb, nach jedem Buche, das ihnen vorkömmt als nach einer Panazee. Wenn sie auch weiter nichts tun als blättern und zeilenweise lesen, so glauben sie doch mehr Beruhigung dadurch zu erlangen oder erlangen sie wirklich, als bei jeder andern Beschäftigung. Vielleicht geschieht es wirklich auf einen Wink der Natur, die gewöhnlich an dem Orte, wo man sich verwunden kann, auch das Kraut wachsen läßt, daß die Wunde heilt. Jeder neue Gedanke, der von den in unserm Kopfe vorhandnen verschieden ist, bringt unsre Lebensgeister auf einen neuen Gang, das ist bekannt, und aus diesem Grunde können uns Bücher überhaupt schon eine vorübergehende Beruhigung verschaffen. Ist aber dieser neue Gang von dem vorigen zu sehr abgelegen, daß sie zum Beispiel itzt auf die rechte Seite des Kopfs sich drehen sollen, da sie vorher links gegangen waren, so wird der Verdruß, der allzeit in so einem Falle entsteht, eine Vermehrung unsrer unangenehmen Empfindungen – wir werfen das Buch weg. Sobald wir aber eine Idee darinnen erhaschen, die die Lebensgeister von dem Fahrwege nur auf einen nebenher laufenden Fußsteig führen, der mannichmal durch eine Reihe Bäume, zuweilen auch durch einen Graben oder wohl gar durch ein kleines Büschchen von dem Hauptwege abgesondert ist, aber immer wieder zu diesem zurückkömmt; alsdann ist uns das Buch willkommen und wäre es auch ein Staatskalender.

      Vermöge


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