Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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mit irgendeinem andern gedruckten Buche verbitten dürfte, so glaubte ich so beurteilt zu werden, wie ich beurteilt zu werden wünschte. Diese Bitte an Rezensenten und Leser habe ich darum für schicklich und nötig geachtet, weil sich bei den meisten Mitgliedern dieser beiden Zünfte ein gewisser vergleichender Ton der Beurteilung eingeschlichen hat, daß man einem ehrlichen Mann nie geradezu sagt, ob seine Nase völlig gerade ist, sondern daß ihr, um Evanders Nase zu sein, nichts fehlt, als daß sie nicht zwischen Evanders Augen steht. Eine von den beiden Nasen muß offenbar zu kurz dabei kommen!

      Die Erfüllung dieser Bitte wird zugleich verhüten, daß man mein Buch nicht aus einem falschen Gesichtspunkte ansieht. Mag doch immerhin niemand so erzählt haben oder gewöhnlich so erzählen! gewöhnlich niemand den Plan seiner Erzählung mit so schwachen Fäden, oft nur mit einem Menschenhaare, zusammenhängen! – Ich weiß es, der meiste Teil der Leser fodert eine fest zusammengeknüpfte, nie unterbrochne, in gleicher Linie fortgehende Reihe der Begebenheiten, und ich für meinen Teil finde nichts Einschläferndes als solche Erzählungen in gerader Linie. Lieber mache ich mir selbst zuweilen mit meinen Gedanken einen kleinen Ausweg, wenn ich sie lese, und der Erzähler, der mich immer bei der Hand hält und nicht einen Fingerbreit vom geraden Wege weglassen will – von dem reiße ich mich gewiß los, ehe wir sechs Schritte miteinander gegangen sind.

      Mein Plan sollte dem Plane der wirklichen Begebenheiten ähnlich sein: alles ohne Ordnung scheinen und nichts ohne Endzweck sein.

      Oder auch: Man betrachte mein Buch als einen langen Spaziergang, wo man nicht mit einer so festgesetzten Marschroute als bei einer Reise nach Paris ausgeht. Der Ort, wohin wir wollen, ist bestimmt, selbst der Weg, der uns dahin bringen soll; aber unterweges lockt uns eine schöne Blume auf der nahen Wiese – sollten wir denn nicht ein paar Schritte vom Wege abgehn und sie pflücken? – Es reizt uns ein Wasserfall; es ist eine Anhöhe in der Nähe, auf welcher eine vortreffliche Aussicht sein soll – wir wollen sie besteigen! – Zuweilen kehren wir wohl gar bei einem Freunde ein, und nach einem kurzen Aufenthalte kommen wir wieder auf unsern Weg zurück. So eine Einkehr ohngefähr ist in diesem Bande die Geschichte des wiedergefundenen Sohns. – Allerdings gibt es Leute, die es als eine Tändelei ansehn, wenn man um einer Blume, um einer Aussicht willen vom Wege geht; aber gewiß liegt die Schuld daran, weil sie den Schnupfen oder ein blödes Gesicht haben.

      Auf diesem Wege, müssen meine Leser denken, fände sich eine treuherzige, ehrliche Menschenfigur zu ihnen, netto drei Ellen hoch und anderthalben in der größten Breite, auf der rechten Seite des Gesichts voller Simplizität und Gutherzigkeit und auf der linken voller tückischen Schalkhaftigkeit. Das gute Geschöpf – wofür sie ihn halten wollten, käme bloß darauf an, auf welcher Seite sie ihn gehen ließen – erzählte ihnen bald ein Anekdotchen von der Madam ♀, der gnädigen Frau

, dem Herrn von ♂ und zu
, und andern; bald erzählte er unter veränderten Namen ihnen ihre eigne Geschichte; bald ließ er ein paar Anmerkungen aus seiner Studierstube mit unterfallen, und was er allenfalls weiter noch tun könnte; und dieser Gesellschafter, der neben ihnen herschlendert, ist niemand – als der Herr Autor.

      Sollte man übrigens sich bereden können, daß mutmaßlicherweise dieser Mann mit der Zeit auch kleinere und größere erträgliche, ernsthafte Werkchen schreiben könnte, so wäre er nicht ungeneigt, etliche dergleichen, die teils in seinem Kopfe, teils in seinen Papieren vergraben liegen, hervorzuziehen und ihnen die Gestalt eines Buchs zu geben; aber so bald nicht. – Einer meiner Ureltern aß keinen Bissen, ohne ihn vorher durchs Mikroskop betrachtet und das, was seiner Meinung nach schädlich war, abgelesen zu haben. Freilich ging es so langsam zu, daß er vom Mittagessen aufstand, wenn andre Leute sich zur Abendmahlzeit niedersetzten; aber sein Leben wurde dadurch außerordentlich nüchtern, jeden Tag ersparte er eine Mahlzeit, und – der Mann ist fünfundneunzig Jahre geworden!

      Wäre auch mein Autorleben nur die Hälfte so lang – ohne Mikroskop könnte ich doch nicht schreiben.

      Aber wahrhaftig, ich verschwöre es, in meinem Leben wieder eine Vorrede zu schreiben! Indem ich meine durchlese, so steht doch auf jeder halben Seite – der Herr Verfasser und sein Buch! Wer mich darüber tadelt, dem gebe ich es als eine Preisaufgabe auf, eine Vorrede zu schreiben und nicht mit einer Silbe an sein wertes, kleines Ich zu denken. Zur Büßung dafür will ich, mir selbst zum Trotze, hier dem ganzen Geschwätze ein Ende machen, ohne mit einem Worte an meinen Namen zu denken.

      W.

       Inhaltsverzeichnis

      In einem der unbekanntesten Winkel Deutschlands, nicht weit vom Thüringer Walde, lebte ein Schulmeister, dessen vollständiger Name eigentlich Christian Knaut war und den wegen eines roten Kopfs, womit einer von seinen Urgroßvätern die Familie verunehrt hatte, das sämtliche Kirchspiel, selbst den vornehmern Teil desselben nicht ausgenommen, Rotkopfs Christel zu nennen pflegte. Er hatte, solang er denken konnte, von der Welt niemals mehr oder weniger kennengelernt als den kleinen Fleck, worauf er seine natürlichen Bedürfnisse abwartete; und von der sogenannten großen Welt war ihm auch weiter nichts bekannt, als was er aus einem sehr nahen Umgange mit gewissen Herren wußte, denen er bei dem Monarchen des Dorfs, in dessen Diensten er fünfzehn mühselige Jahre zubrachte, auf einem zinnernen Teller zu essen und zu trinken überreicht hatte. Doch ein ziemlich glückliches Nervensystem, die kurzweiligen Übungen, wodurch seine Kameraden seinen Verstand und die Gegenwart seines Geistes oft auf eine sehr harte Probe stellten, ein paar abgelebte Bücher, in welchen unter einem Haufen Unsinn doch hin und wieder Spuren anzutreffen waren, aus welchen sich vermuten ließ, daß sie ein Mensch geschrieben haben möchte, und endlich die nachdrücklichen Zurechtweisungen seines gebietenden Herrn hatten ihm so etwas von dem zweideutigen Dinge verschafft, das man gemeinen Menschenverstand zu nennen pflegt. Außerdem hatte er sich noch, ich weiß nicht, wie, so viele Geschicklichkeiten im Lesen und Schreiben erworben, daß sein Herr, der Patron des Kirchspiels, kein Bedenken trug, ihm zu Belohnung der großen Geduld, womit er Ohrfeigen und Ribbenstöße in seinen Diensten ertragen hatte, von den ganzen Nachkommen des Dorfes die eine Hälfte der Seele – denn die andre gehörte dem Herrn Pfarr – und den ganzen Körper anzuvertrauen. Die Orgel konnte er zwar nicht spielen, und überhaupt hatte ihn die Natur in Ansehung der musikalischen Gaben am meisten vergessen; allein die glänzendsten Talente eines Bachs würden an ihm verschwendet gewesen sein, weil das Kirchspiel keine Orgel hatte, und obgleich seit dem Ende des Sukzessionkriegs an allen vier Bußtagen ansehnliche Kollekten dazu gesammelt worden waren, so hatte doch das gesammelte Kapital in den Händen der Kassierer so viele Unglücksfälle erlitten, daß die Gemeine sich noch immer begnügen mußte, sich mit ihrem andächtigen Geschrei nach den Bewegungen zu richten, die sich in dem Gesichte des Schulmeisters und des gnädigen Herrn von Zeit zu Zeit äußerten; denn unter vielen andern Wundergaben hatte zur Beförderung des Gottesdienstes der Himmel diesem lieben Herrn auch einen betäubenden Baß verliehen. Ohne Zweifel aus dieser Ursache hatte das Schicksal, das vielleicht zuweilen weniger, doch selten mehr Fähigkeiten gibt, als man braucht, außer dem Talente zur Musik unserm Herrn Knaut auch die Stimme versagt, und man darf sich daher nicht wundern, wenn für ihn das Leben seines Patrons wichtiger war als für irgendein andres Mitglied der Gemeine. Eine Einnahme von dreißig Gülden war freilich kein reichlicher Ersatz für den Abgang an Kräften, den sein Arm und seine Lunge bei seiner Berufsarbeit täglich erlitt, und ohne die Wunderhülfe eines Kobolds oder andern dienstfertigen Geistes scheint es nicht sehr begreiflich, wie er nebst einem zahlreichen Ehesegen von neun Kindern nicht verhungern mußte. Inzwischen war durch eine frühzeitige Übung in Beschwerlichkeiten über die Werkzeuge seiner Empfindung eine so starke Rinde gewachsen, daß ein Unglück sehr ungestüm hätte sein müssen, um sich bis an sein Herz durchzudrängen. Er befand sich meistenteils so ziemlich in dem Zustande einer Schnecke: Sturm und Ungewitter mag um dieses stoische Tier her alles in Bewegung und Furcht setzen, es kriecht deswegen weder geschwinder noch langsamer seinen Baum hinauf und kriecht gelassen immer fort, bis der Baum von dem Sturme fällt,


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