Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Wenn die Bosheit der Menschen unsern lieben Knaut plagen wollte, so zog er die Hörner ein, und wenn dieses noch nicht genug war, so zog er sich hinter seine Unempfindlichkeit zurück und tat weiter nichts, als was in dergleichen Fällen sein Sinnbild tut – er schwitzte. Man kann leicht vermuten, daß also die Freude keinen größern Reiz für ihn hatte: im Grunde hatte er ihrer wenig zu genießen; aber auch selbst die wenigen, die ihm das Schicksal unachtsamerweise zuweilen zuwarf, ließ er, ohne daß sein Blut in die geringste Bewegung gesetzt wurde, so ungerührt vor sich vorbeifliegen, daß er nicht einmal die Arme nach ihnen ausstreckte. Wenn seine anvertraute Schulherde eine Exekution notwendig machte – und in dieser Notwendigkeit glaubte er sehr oft sich zu befinden –, so strafte er zwar nachdrücklich, aber so kaltblütig als ein Richter, der, unbekümmert, wer recht hat, bloß um seinem Amte ein Gnüge zu tun und den Streit zu endigen, bestraft. Wenn nach überstandner Schulfröne der Aufwand seines sehr mäßigen Tisches ihm noch Zeit genug zu einer Pfeife stinkenden Tobak und einem Glase verdünnten Biere übrigließ, so waren seine Wünsche und seine Bedürfnisse befriedigt; und wenn er beides, ausgestreckt auf seiner Bank, ohne die Gegenwart seiner Frau genießen konnte, so beschämte er den Diogenes in seinem Fasse. – Man sagt auch, daß er einzig in diesen Fällen etwas der Zufriedenheit ähnliches sowie in den entgegengesetzten eine Art von Betrübnis zu fühlen geglaubt habe. Seine Frau, die er dreizehn Jahre vor dem Anfange dieser Geschichte heiratete, hatte ihn in den Besitz eines Reichtums von fünfzig Gülden gesetzt; allein in einer Zeit von zween bis drei Monaten hatte dieser Schatz schon eine weite Reise durch den Kramladen des Dorfes in die nächste Stadt und von da wer weiß wie weit getan; und nun, da es unmöglich war, ihn wieder zurückzuholen, hatte sich es seine unbillige Frau zur Pflicht gemacht, es ihm jeden Tag in dem hämischsten Tone zu sagen, wie gut sie itzo leben könnten, wenn sie in den ersten zween Monaten ihrer Ehe mehr gehungert hätten. Doch mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit wies er sie damit von sich, daß es einerlei wäre, ob sie vor dreizehn Jahren gehungert hätten oder nachher.

      Seine Frau – denn nachdem meine Leser den Charakter des Mannes kennen, so können sie nicht anders als neugierig sein, ob der Himmel seine guten Eigenschaften mit einer würdigen Gattin belohnt hat –, seine Frau also gehörte unter diejenigen Damen, die der künftige Held dieser Geschichte, als sein Verstand durch die große Welt aufgeklärt worden war, Aprilweiber zu nennen pflegte; genug, sie war eine von denen, bei welchen der scharfsinnigste Beobachtungsgeist und die ausgebreiteste Kenntnis des weiblichen Herzens nicht zureicht, um die Regeln, nach welchen sie empfinden, denken und handeln, zu entdecken. Zuweilen sprang sie mit einem lächelnden oder vielmehr grinsenden Gesichte des Morgens aus dem Bette und überhäufte ihren Ehegatten mit den süßesten Namen und den zärtlichsten Liebkosungen, die er gemeiniglich, hingelehnt auf den Tisch, stumm und mit der gleichgültigen Miene eines Vornehmen annahm, dem der Arme ein Geschenk bringt; doch lieber entbehrte er sie ganz, weil er sich unglücklicherweise etlichemal so sehr vergessen und einen minutenlangen Wohlgefallen dabei empfunden hatte und darüber seine Pfeife ausgelöscht war. Mitten unter diesen Liebkosungen fuhren plötzlich alle ausgetrocknete Muskeln ihres Gesichts in die abscheulichste Wut zusammen, und nun hörte Herr Knaut mit der nämlichen Kälte ein ganzes Lexikon von Schimpfwörtern und Schmähungen aus ebendem Munde, der ihn vor einem Augenblicke durch die verbindlichsten Schmeicheleien beinahe aus seiner Unempfindlichkeit herausgeschwatzt hatte. Wenn der Paroxysmus zu lange dauerte, so legte er die Pfeife nieder und ging zu seinen Zuhörern, die ihm meistenteils ihre Gegenwart durch Lärmen und Schreien schon längst angekündigt hatten. Ebensooft stund sie mürrischer als ein Kater auf, der seine Nebenbuhler belauscht, und ebensoschnell wurde sie die gefälligste und feurigste Liebhaberin. Man will einmal in einem Vormittage sechsundvierzigmal eine solche Veränderung des Horizonts in ihrem Gesichte wahrgenommen haben. Ihre Kinder liebte sie niemals zärtlicher, als wenn sie, in einen hölzernen Kasten wohl eingepackt, auf den Kirchhof gebracht werden sollten, wo einmal ihre Liebe in so heftige Aufwallungen geriet, daß sie die Träger, als sie die Bezahlung für ihren Transport foderten, mit Faustschlägen von sich wies, weil sie nach ihrem Vorgeben nicht gesonnen wäre, die Grausamkeit, die sie an ihrem mütterlichen Herzen durch die Entfernung ihres Kindes ausgeübt hätten, zu belohnen, wiewohl das Publikum des Dorfs damals eine andre Ursache von diesem Eifer angab. Wenn sie befahl, so zitterte alles außer dem Herrn des Hauses; und selbst die unvernünftigen Tiere hatten eine so heilige Furcht vor ihr, daß sie lieber noch einen Tag länger hungerten, als das Futter von ihren Händen annahmen.

       Inhaltsverzeichnis

      Von der Verbindung dieser zwei so liebenswürdigen Geschöpfe war Tobias Knaut die erste Frucht, ein in jeder Betrachtung merkwürdiger Mann, dessen Leben und Schicksale wir unsern Lesern zu erzählen unternommen haben. Nach dem Willen des Vaters sollte er eigentlich wegen der großen Ähnlichkeit mit ihm, besonders wegen der ungewöhnlich dicken Oberlippe, den väterlichen Namen Christian Knaut bekommen; allein die Mutter, die schon seit dem zweiten Hochzeittage ein Gelübde getan hatte, jedes ihrer Kinder, das seinem Vater ähnlich sein würde, zu ersäufen, gebot, ihn Tobias zu nennen, und alle Anwesende brummten ein demütiges Ja. Doch will man behaupten, daß bei dieser Gelegenheit der Vater die obere Lippe ein wenig in die Miene des Mißfallens verzogen und daß er sogar zu lachen geschienen habe, als nachher die Wöchnerin wegen eines heftigen Zankes mit ihrem neugebornen Tobias gefährlich krank wurde. Indessen muß ich diesem sanftmütigen Manne, der mir als Ahnherr meines Helden wichtig genug sein muß, zum Ruhme nachsagen, daß dieses die beiden stärksten Ausbrüche seiner Affekten in seinem Leben gewesen sind, und man kann daraus mutmaßen, wenn ohngefähr der dritte heftige Anfall des Affekts sich zugetragen haben wird.

      Ich weiß nicht, ob ein Afrikaner oder ein Europäer, ein »Alter« oder ein »Neuer« die Anmerkung gemacht hat oder ob sie gar in meinem eignen Gehirne gebrütet worden ist, in welchem Falle man mir es nicht übel deuten wird, wenn ich den Beifall des Lesers als eine unausbleibliche Folge erwarte: Man hat also angemerkt, daß man, wo nicht alle, doch die meisten gegenwärtig unerklärbaren Erscheinungen, die sich an vielen Menschen zum Erstaunen des Gelehrten und Ungelehrten zeigen, sehr leicht würde erklären können, wenn jemand eine genaue und umständliche Geschichte ihrer Schicksale im Mutterleibe, von dem ersten Augenblick ihres Daseins bis nach ihrer Geburt, bekanntmachte. Freilich ist die Foderung eine Foderung des Unmöglichen, und wenn derjenige, der sie täte, gar ein Leuwenhökianer, Leibnizianer oder so etwas wäre, so könnte die Geschichte eines einzigen solchen possierlichen Dinges, das wir Seele nennen, vor seiner menschlichen Existenz, wenn sie alle Wanderungen eines Samentierchen seit seiner ersten Ausreise enthalten sollte, die Geschichte des chinesischen Reiches beschämen; allein diese Bemerkung enthält so viel Wahres, daß ich ihr meinen Beifall nicht versagen könnte, wenn ich auch gewiß wüßte, daß sie nicht in meinem Kopfe entstanden ist. Wie unvollständig und oft wie wenig pragmatisch muß daher ohne meine Schuld diese Geschichte werden! Und wieviel selbstzufriedner würde ich während meiner Erzählung zuweilen auf meine Herren Mitbrüder herabsehen können, wenn ich die mannigfaltigen Quetschungen und nachteiligen Lagen nach der Reihe herzusagen wüßte, welchen der ungeborne Knaut in seinem ersten Aufenthalte bei den gewaltsamen Erschütterungen und heftigen Bewegungen ausgesetzt war, in welche sein Wohnhaus oft durch den Zorn der Mutter geraten mußte; wenn ich die Mischung seiner Säfte zeigen könnte, wie sie stufenweise durch die öftere Ergießung der mütterlichen Galle befördert worden oder wie durch die unordentliche Aufwallung und beständige Hitze des mütterlichen Bluts an gewissen Orten die Lebensgeister ganz ausgetrocknet und andre hingegen häufig damit überschwemmt worden sind. Wirklich hatte er auch bei seinem Eintritte in die Welt schon viele Merkmale seiner erlittnen Widerwärtigkeiten an seinem Körper, denn er sahe mehr einer alten aus dem herkulanischen Schutt gegrabnen Statue, der durch die vieljährige Last der Kopf in die breitgedrückten Schultern hineingequetscht worden ist, als einem Geschöpfe ähnlich, das mit der Zeit die menschliche Figur annehmen soll. Diese abenteuerliche Bildung, deren Beschreibung wir bis zu einer andern Stelle aufheben wollen, wurde durch die väterlichen und mütterlichen Züchtigungen zu demjenigen Grade der Vollkommenheit gebracht, welche in den künftigen Zeiten seines Lebens ihm viele Bewunderungen und noch mehrere unglückliche Zufälle verursachen wird. Am meisten hatten seine Sprachwerkzeuge gelitten: Diese waren so ungelenk und so unbiegsam, daß


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