Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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      Die Unterredung war in dem schmachtenden Ton gestimmt. Isabelle wußte ihren Philosophen bald auf die Gelegenheit zu bringen, den Auftrag ihrer Schwester zu vollziehn. Er tat es; er setzte ihrer Schwesterliebe aus allen Fächern der Logik und Rhetorik ein Argument entgegen, worunter sie ein jedes so eifrig und doch so seicht widerlegte, daß Selmanns Triumph bei jedem neuen gewisser wurde, und als er beinahe erschöpft war und, wie erschöpfte Redner pflegen, wieder von vorne anfing, so schien sie so sehr zu wanken, daß er sie zuversichtlich noch zu bewegen hoffte, dem Verlangen ihrer Schwester genug zu tun und wieder zu ihrem Manne zurückzukehren.

      Nach einer nachdenkenden Pause, während welcher sie so sehr die unruhige Miene der Unentschlossenheit anzunehmen wußte, daß Selmann mit Bedauern auf sie sah, fuhr sie plötzlich auf, als wenn sie, durch die Triftigkeit seiner Gründe gezwungen, ihre Partie nähme, umhalste Selmannen mit der zärtlichsten Dankbarkeit und rief: »Sie haben überwunden! Ihre Gründe haben mein Gefühl überstimmt! – Ich muß meine Schwester verlassen, wie Sie sagen. – Meinem Herze hätten Sie freilich einen größern Gefallen getan, wenn Sie mich zum Gegenteile überredet hätten; allein Herz und Vernunft können nicht allzeit eins sein. Sie, großmütiger, edler Mann, Sie haben mir meine Vernunft wiedergegeben. Ich folge Ihrem Rate, und wenn meine Tränen Ihnen Dankes genug sind ...« Hier verstummte sie unter einer zweiten Umarmung, die mit den sanftesten rührendsten Tränen ausgeschmückt war.

      Sie fuhr einige Zeit fort, die Menschenfreundlichkeit, Rechtschaffenheit, Menschenliebe und die übrigen Tugenden des Philosophen mit verstellten Ausdrücken der Dankbarkeit zu kitzeln, und mischte nur hin und wieder einen kleinen Zusatz darunter, der etwas unmittelbarer auf die Liebe wirken sollte, besonders da sie bei der zweiten Umarmung den Kunstgriff gebraucht hatte, mit ihrem wallenden Busen und Selmanns Hand zusammenzutreffen, als diese eben auf dem Wege war, die Augen zu reiben und eine Unordnung der Miene dadurch zu verbergen. Diese unvermutete Zusammenkunft hatte die Folge, daß sich der Weise vergaß und die Hand während der Umarmung drei völlige Sekunden liegen ließ, wobei die listige Nymphe eine wellenförmige Bewegung in allen Nervengefäßen seiner Finger bemerkt haben wollte, welches sie für ein Symptom von der besten Anzeige hielt. In dem Gedränge von Empfindungen, das auf ihn zudrückte – Eigenliebe, Menschenliebe, Freude, über den guten Erfolg seiner Beredsamkeit, Freude, einen Dienst getan zu haben, und das Gefühl –

      das Venus weichen Seelen einhaucht,

      alles das war in Bewegung – in einem solchen Gedränge vergaß er sich noch mehr, ließ die Hand vom Busen niedersinken und ergriff Isabellens Hand, die sie ihm nach einem bescheidnen Zurückziehn überließ. Er drückte sie, wollte ihr für ihre Dankbarkeit danken und ihr beweisen, wie sehr sein kleiner Dienst unter derselben wäre; und er vergaß sich zum dritten Male und sagte ihr statt dessen das verbindlichste Kompliment, das ein erklärter Liebhaber hätte aufbringen können.

      Aber, Philosophie, konntest du nicht deinen Schild vor seine Hand halten, wie Minerva mit dem ihrigen den Diomed schützte und den Pfeil aufhielt, der seinem Leben drohte? – Wenn er sich noch einmal vergißt ... ich sage nichts mehr.

      Daß dieser Augenblick kritisch war, merkte auch Isabelle, die deswegen alles tat, ihn in dieser Verwirrung und Selbstvergessenheit zu erhalten und, wo möglich, tiefer darein zu stürzen. Beides gelang ihr. Selmann vergaß sich zum vierten Male und küßte – die ergriffne Hand mit der gutherzigsten Zärtlichkeit. Er vergaß sich – doch nicht zum fünften Male? – Nein, denn eben trat Emilie herein und weckte ihn durch ihre Ankunft aus der Selbstvergessenheit.

       Inhaltsverzeichnis

      Dank sei dem Himmel! mir ward bange!

      Emilie beging durch ihren Hereintritt allerdings einen Fehler, und ihre Gefährtin konnte sich nicht enthalten, ihr einen unwilligen Blick zuzuwerfen; allein sie war zu entschuldigen. Nach allen ihren Erfahrungen konnte sie nicht vermuten, daß bei einem harten Philosophenherze der kritische Augenblick so zeitig eintreffen könne, und war nicht wenig auf Isabellen eifersüchtig, als sie hinterdrein erfuhr, wie weit es schon durch ihre Kunst gebracht worden war.

      Gleich nach Emiliens Erscheinung auf dem Schauplatze meldete ihr ihre vermeinte Schwester, daß die Beredsamkeit und die Gründe dieses edelmütigen Mannes den völligen Sieg über ihre Zweifel und über ihr Herz erlangt hätten. – »Er hat mir«, sagte sie, »die grausame Güte erwiesen und mich zu meinem Besten überredet – grausam muß ich diese Güte nennen: denn sie zwingt mich, dich zu verlassen – doch sie zwingt mich auch, mich meinem Manne, meinen Kindern wiederzugeben – nein, so kann ich sie nicht grausam nennen, obgleich mein Herz sie heimlich so nennt. – Morgen, Schwester«, sprach sie niedergeschlagen, »morgen –«

      »Mußt du mich verlassen?« unterbrach sie Emilie. »Schreckliche Trennung! – O bester Mann, wenn ich dich gefunden hätte! – Nein, Schwester, morgen schon?«

      »Muß ich dich verlieren!« setzte Isabelle schluchzend hinzu.

      Hierauf erhub sich zwischen beiden der zärtlichste Streit schwesterlicher Liebe; jede wünschte, die andre immer zu besitzen, und jede sah ungern die Notwendigkeit ein, die andre zu missen. Endlich wandten sie sich mit ihrer beiderseitigen Zärtlichkeit an Selmannen; er wurde mit Danksagungen überhäuft und die Umarmungen so vielfältig wiederholt, er so oft Freund, Vater, Ratgeber genannt und durch alles dieses seine Verwirrung und Selbstvergessenheit so gut wiederhergestellt, als wenn vorhin keine Emilie sie unterbrochen hätte. Er war entzückt, außer sich und wußte kein einziges von seinen Gefühlen zu unterscheiden. Er vergaß sich zum fünften Male und –

      Man trug das Abendessen auf. Er wurde gebeten, dazubleiben und mit einer nüchternen Mahlzeit vorliebzunehmen; er nahm den Vorschlag an und setzte sogar hinzu, daß ein König bei den ausgesuchtesten Gerichten nicht besser speisen könne, als er heute in solcher Gesellschaft tun würde. – Selmann! Selmann!

      Bei Tische wurde der Ton der Unterhaltung um eine gute Tertie höher gestimmt und so auch die Empfindungen – aus schwesterlicher Zärtlichkeit wurde verliebte Zärtlichkeit. Die ausgesuchtesten verfeinertsten Begriffe von der Liebe, die nach den Petrarchischen den nächsten Rang verdienten, waren nebst Schönheit, Anmut und andern Tugenden des schönen Geschlechts der einzige Gegenstand des Gesprächs; alles wurde mit dem feinsten Witze gewürzet und durch die lebhafteste Aktion gehoben. Man schwatzte den lieben Philosophen so sehr aus seiner denkenden Sphäre heraus, daß er wohl etlichemal eine Anwandlung vom Philosophieren bekam, die aber so vorübergehend war, daß er die meiste Zeit einen stummen entzückten Zuhörer abgab. Keinem Neuvergötterten konnte die erste Göttermahlzeit besser schmecken; und gewiß, an der Tafel des Jupiters wird im Homer und Virgil nie mit einem solchen Aufwande von Witz, Scharfsinn und Empfindung gegessen.

      Was Selmanns Freude und Vergnügen am meisten bei diesem Gespräche unterhielt, war unstreitig, daß er in demselben Spekulation und Scharfsinn über einen neuen empfindungsreichen Gegenstand antraf. Kopf und Herz wurden auf diese Art zugleich ergötzt.

      Nach aufgehobner Tafel schien Selmann so sehr in der rechten Lage zu sein, um den Hauptanschlag an ihm auszuführen, daß Emilie etlichemal in Versuchung geriet, sich seine für sie günstige Verfassung zunutze zu machen; allein sie war gewohnt, mit einer raffinierten Bedachtsamkeit und Klugheit zu handeln, und beschloß daher, lieber ihren Lorbeer reif werden zu lassen, als ihn zu zeitig brechen zu wollen. Noch vor Mitternacht – schieden beide Teile zufrieden voneinander.

      Wenn es weiter nichts war! so durfte ich nicht halb soviel Beistand für Selmanns Tugend aufrufen. – Indessen wer weiß, wo er ihn weiter nötig hat? Denn wie man deutlich merkt, sollte dieses nur noch eine Probe seines Herzens sein, ob und wieweit es der feinen Empfindungen der Liebe fähig wäre und ob sie durch die nämliche Methode wie bei andern nur halb so weisen Menschenkindern erregt werden könnte; das entscheidende Treffen ist also noch übrig, und dies waren nur die ersten feindseligen Neckereien.

      Selmann legte sich wohl nach seiner Zurückkunft von diesem Sturme an Tobias' Seite; allein er wünschte vergebens, nur halb so gut schlafen zu können als sein schnarchender


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