Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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auf, da die Kapitulation einen so glücklichen Ausgang hatte, und ging im halben Triumphe zu seiner leeren Stube zurück.

      Indem er die Treppe hinaufsteigen wollte, hörte er in einer Stube, vor welcher er vorbei mußte und deren Türe offen stand, einen lebhaften Wortwechsel. Er sah von der Ferne hinein und wurde einen Offizier gewahr, der mit dem Wirte heftig stritt, doch so, daß dieser nichts als ein helltönendes: »Nein! Ich mag nicht! Ich will nicht!« auf jenen zuquäkte.

      »Mordio!« schrie endlich der Fremde, »dich, Satan, will ich wohl zähmen!« – und nach dieser Kriegserklärung griff er nach dem Stocke und ließ ihn mit voller Schwere auf den Rücken seines Gegners fallen, der anfangs die Flucht nehmen wollte; allein der andre faßte ihn mit seiner kriegerischen Faust bei dem Zopfe und fragte ihn zum letzten Male, ob er die nötigen Möbeln, Essen und Trinken herbeischaffen wolle? – und dabei machte er sein Rohr zum Schlage fertig. – »Ja, ja!« maute der Herr Wirt wie ein eingeklemmter Kater. – »So geh, du Hund!« – Dies war das Endurteil seines Überwinders, das, nebst einem guten gesunden Stoße, ihm seine Befreiung ankündigte.

      Selmann konnte sich nicht genug verwundern, daß ein Mann, dem die Gewinnsucht Antrieb genug sein konnte, durch so gewaltsame Mittel bewogen werden mußte, Geld zu verdienen. Er trat also in die Stube vollends hinein, um sich von dem Offiziere, der in dem Wirtshause bekannt zu sein schien, darüber belehren zu lassen. – »Oh«, sagte ihm dieser, »der Kerl ist ein Sappermenter! Seine Frau, die lahme Hexe, sagt zu allem ja und er zu allem nein, und keiner von den beiden Seehunden rührt einen Fuß. – Aber ich weiß ein Mittel! Man muß den Satan prügeln, alsdann wird man bedient, wie man es verlangt. – Haben Sie ihm seine Ladung noch nicht gegeben?«

      »Und werde sie ihm nimmermehr geben!« sagte Selmann und schüttelte den Kopf.

      »Oh«, erwiderte jener mit lautem Lachen, »so können Sie auf den Dielen schlafen! – Ich schwör es Ihnen zu, wenn Sie den Seehund nicht prügeln, so gibt er Ihnen nicht einen Fingerhut voll Wasser.«

      »Woher aber das? Der Mann ist ja auf diese Art ein Feind seines eignen Vorteils.«

      »Das will ich Ihnen sagen. In dem letzten Kriege gewann er Geld, wurde trotzig und mußte es auch zuweilen sein; er bekam oft Prügel und gewöhnte sich so daran, daß er itzt noch ohne Prügel nichts herausgibt. – Aber ich kehre gern bei dem Satan ein. – Wir Offiziere beredten uns eines Abends –«

      Bei diesen Worten, die ohne Zweifel ein fades Histörchen ankündigen sollten, lenkte sich Selmanns Aufmerksamkeit auf die Leute, die unter dem Kommando des Wirts anfingen, die Stube zu möblieren. Der Offizier merkte seine Verwunderung und rief triumphierend: »Das sind die Früchte von meiner Zucht! So muß man diese Seehunde fassen! In Pommern, lassen Sie sich einmal erzählen –« So hub ein neues Geschichtchen an, das Selmann ebenso unaufmerksam anhörte als das vorige und vor deren Endigung er sich dem Erzähler sehr höflich empfahl. Er bekam eine Versicherung durch die kräftigsten Flüche auf den Weg, daß er so schlecht als in der Hölle sich befinden würde, wenn er dem Seehunde, dem Wirte, nicht durch Prügel Mores lehrte.

      Selmann bekam bei der Rückkunft auf seine Stube eine Nachricht, die jedem andern den Rat des Offiziers annehmlich gemacht hätte. Tobias berichtete ihn, daß der Bediente mit seinem Magazine noch nicht angekommen sei. Es war schon spät, die nächste Vermutung war also, daß er sich verirret habe, aber sie war falsch; nein, Selmann und sein Gefährte hatten sich über ihrem tiefsinnigen Gespräche verirrt. Der Bediente war auf der rechten Straße in einem Gasthofe eingekehrt, weil ihn die Nacht überfallen hatte, und beklagte es sehr, nicht bei seinem Herrn zu sein, besonders, daß dieser nichts von der kalten Küche genießen sollte, die er sich, um sie nicht verderben zu lassen, ganz vortrefflich schmecken ließ. Hätte er vollends von der Verlegenheit gewußt, in welcher sich der Magen und die Menschenliebe seines Herrn befand, der entweder hungrig auf den Dielen schlafen oder seinen Wirt prügeln mußte: ein Entweder und Oder, wo er bei gänzlichem Mangel eines andern Auswegs gern nach dem ersten griff! Da es nach einer kurzen Beratschlagung dabei blieb, daß man nicht wüßte, wie man dieser traurigen Alternative ausweichen solle, schloß Selmann endlich: »Wie mancher Weise, der uns weit übertraf, mag schon hungrig schlafen gegangen sein! den Kopf, voll wichtiger unsterblicher Gedanken, auf einen harten Stein unter freiem Himmel gelegt haben! Wir sind glücklicher als sie; uns schützet ein Dach vor den Beschwerlichkeiten der Witterung. Komm! wenn wir uns müde gesprochen haben, so schlafen wir, wo und so gut wir können.«

      Tobias' Magen wollte diese Philosophie nicht verdauen und knurrte eine Menge Gegenbeweise her, als Selmann die Unterredung auf das seltsame Betragen des Wirtes lenkte, um die Ursachen davon zu erforschen, denn die vom Offizier angegebene tat ihm nicht genug. Er fand deren eine Menge und wollte eben sich selbst Beifall über eine zuklatschen, die unter allen hervorstach, als jemand leise die Tür öffnete, hereintrat, sich ihm zu Füßen warf, seine Knie umfaßte und in weinerlichem Tone mit weiblicher Stimme sagte: »Nehmen Sie mich wieder auf! Vergeben Sie mir! – Habe ich Sie beleidigt – o sein Sie nicht unversöhnlich! – Vergessen Sie die Vergehungen einer reuigen Ehefrau, die ohne Sie ...« Hier brach sie in Tränen aus und konnte nichts als schluchzen.

      Selmann sprang gleich bei ihrem ersten Worte auf und war so sehr verstummt als diese Unbekannte und, da er sie weinen hörte, so empfindlich gerührt, als sie es zu sein schien.

      »Antworten Sie mir! Nur ein einziges Ja! das mir von Ihren Lippen ein heilender Balsam sein wird. – Sprechen Sie es!« – und so umfaßte sie ihn.

      »Madam«, rief Selmann zurückfahrend, »Sie durchdringen mich! allein –«

      »O tröstendes Wort! nun leb ich!« – Bei diesen Worten wurde die Umarmung wiederholt.

      »Madam, Sie irren sich! – Ich bin nie verheiratet gewesen –«

      »Du bist es, o Bester! Du bist wieder mein Gatte, mein Gemahl –«

      »Madam, um des Himmels willen! ich kann es nicht sein –«

      »Fliehe nicht von mir! Du bist es, den meine Seele liebt! Dein Kuß sagt es mir.« – Sie küßte ihn.

      »Madam, keinen Kuß! Sie verschwenden ihn! Ich bin es nicht!« Unter diesem Dialog trieb das Frauenzimmer Selmannen mit ihren Umarmungen und Liebkosungen von einer Ecke der Stube bis zur andern; er flohe, sie verfolgte ihn, er verneinte, daß er von ihr etwas wüßte, sie bestund darauf, daß er ihr Mann sei. Endlich wurden Umarmungen und sogar Küsse so gehäuft, daß Selmann es vor dem Richterstuhle der Keuschheit nicht zu verantworten glaubte, wenn er nicht plötzlich dem Spiele ein Ende machte. Er ergriff daher die Partie aller berühmten Keuschen, des Josephs und seiner wenigen Nachfolger – er wollte entfliehen; doch sie faßte ihn bei dem Rockzipfel – die verdammte Kleidung, die wir itzt tragen! Kein Wunder, wenn niemand in ihr keusch sein kann! – Hätte er Josephs Mantel gehabt, so hätte er ihn fahrenlassen, und wohl dir, Keuschheit! – Aber ehe er den Rock auszog, konnte sie es tausendmal merken und Weste, Beinkleider und die ganze Person in Besitz nehmen. Wegen dieser Betrachtung ließ er den Rock fest sitzen und sich geduldig von ihr zurückhalten; doch unter vielen Beteurungen, daß er nicht der sein könne, den sie suchte.

      »So sind Sie es nicht!« rief sie traurig und seufzte. »Vergeben Sie mir!« – und seufzte noch mehr. – »So ist meine Freude verloren! – So habe ich dich, o einzig Geliebter, noch nicht! Ach!« – Hierbei erfolgte ein recht theatralischer Seufzer, der Selmannen das Blut so hastig durch das Herz jagte, daß er sich umwandte, was wegen des Rockzipfels, den sie noch immer fest hielt, etwas beschwerlich war, sie bei der Hand faßte und sie zu trösten suchte.

      »Was haben Sie, Madam? – Was fehlt Ihnen? – Wen suchen Sie? – Ihren Mann? – Sagen Sie mir eine Spur von ihm, und ich helfe Ihnen suchen.« Dies waren seine unruhigen Fragen, und halb zürnte er schon auf sich, daß er den Mann nicht gleich zur Stelle liefern konnte.

      Sie antwortete mit schmerzhaftem Tone: »Mein Mann hat mich verlassen. Ich habe ihn beleidigt – ich glaube es wenigstens – er hat mich verlassen, und ich Arme müßte ohne ihn vor Kummer vergehn – ohne ihn!« wiederholte sie und ließ dabei so künstlich eine Träne auf Selmanns Hand fallen, die so feurig brannte, daß sein ganzer Körper vom


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