Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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durch einen Meisterhieb mit seinem Couteau de chasse dem ganzen Geschwätze und dem ganzen Schauspiele ein Ende machte.

      Mittlerweile daß diese Szene vorging – und sie dauerte lange –, hatte der alte Knaut, auf der Erde liegend, Selmannen seine Geschichte so kaltblütig erzählt, als wenn es die Begebenheiten eines Dritten, eines gänzlich Fremden, wären. Diebe waren nach seinem Berichte in sein Haus eingebrochen oder vielmehr hineingegangen, hatten gesucht und, wie leicht zu vermuten, nirgends etwas gefunden. Aus Unwillen – dies war seine eigne wohlausgedachte Vermutung –, aus Unwillen, daß ihre Mühe und Zeit so schlecht angewandt worden war, bemächtigten sie sich des Herrn und Frau Knaut, die, weil sie völlig sicher waren, daß ein Diebstahl in ihrem Hause unter die unmöglichen Dinge gehörte, so sorgenlos schliefen als der Bettelmann auf dem leeren Brotsacke, und ohne Schwertstreich oder andere Gegenwehr schon in Banden lagen, ehe sie es fühlten. Darauf wurden sie fortgeschleppt und nach einem zweitägigen Fasten – worauf er den stärksten Akzent in der ganzen Erzählung legte –, an Bäume gefesselt, so wie man sie kurz vorher fand, zurückgelassen.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Frau Knaut tritt auf. Sie hatte unterwegs von ihrem Sohne Selmanns Güte und Vorsorge gegen ihn in einem kurzen Abrisse sich vortragen lassen und war also zu einer Lobrede darauf warm genug, die, sobald sie in Selmanns Gesichtskreis trat, unter unaufhörlichen zierlichen Knicksen und Verbeugungen hervorströmte. – Doch wer hat in dieser Welt die Langeweile lieb genug, um Komplimente anzuhören? Wir wollen sie, wie ihr Mäzenat tat, stehenlassen und dafür dem erstarrten Alten in den Wagen helfen, wie Tobias tat, der ihn, ceu pius Aeneas, auf die Schultern nahm und mit Hülfe des Bedienten glücklich in die Schäse brachte.

      Man wird bemerkt haben, daß die Nerven der Frau Knaut nicht den mindesten Schaden gelitten haben; gleichwohl wurde ihr, halb aus Mitleid, als einer Leidenden, halb aus Galanterie, als einem Frauenzimmer, ein Platz neben ihrem Manne angewiesen. Selmann und Tobias gingen zu Fuße.

      Die Freude des letztern über das Wiedersehn seiner Eltern und den Dienst, den er ihnen zugleich hatte leisten können, und über verschiedene andre Dinge, die ihm seine Einbildungskraft im Augenblicke vormalte, war so groß, daß er den ganzen Weg über keine Silbe redete.

      »Daraus folgt«, ruft mir Aldobrandus mit schiefgedehntem Munde zu, »daß Elternliebe und Kinderliebe natürliche Triebe sind.«

      Und daraus folgt, daß Herr Aldobrandus Weintrauben von Distelstauden pflücken kann! – Heute disputiere ich nicht.

      Aber menschliches Herz, mit dir will ich – nicht disputieren! nicht streiten! nur die Wahrheit will ich dir sagen.

      Mußt du, um zu empfinden, beständig die Einbildungskraft vorher um Hülfe bitten, daß sie mit dem Schlage ihres allmächtigen Zauberstabes eine Menge Bilder hervorspringen läßt, die alle unser wertes Ich von verschiedenen Seiten vorstellen? – Warum mußte Tobias sich, in Vergleichung mit der Freude, die er nachher empfand, nur wenig freuen, als er seinen Vater und Mutter wiedergefunden hatte? Dies sollte, wenn ich so sagen darf, die Haupthandlung seiner Freude sein; aber es war nur der erste Akt – nur die Protasis, mit dem Stagiriten zu reden. – Auf dem Wege erschien erst in seinem Gehirne eine Zusammenstellung seines vorigen Zustandes bei seinen Eltern und seines gegenwärtigen – ein fliegender Gedanke, daß er itzt imstande sei, ihnen Gutes zu tun, daß er dadurch einen Anspruch auf ihre Dankbarkeit gewinne, wobei der Stolz sich die Stirne rieb – vielerlei Vorstellungen von dem verbesserten Zustande an Leib und Seele, worinne seine Eltern ihn itzo antrafen – und vor allen Dingen der oft wiederkommende Gedanke, daß sie ihm, ihrem Sohn, ihr Leben, eine freundliche Aufnahme bei seinem Wohltäter, eine vermutlich ebenso freundliche Bewirtung, kurz, alles künftige Wohlsein zu danken hätten. – Diese und tausend andre Vorstellungen, die im Grunde nichts anders taten, als zum Stolze sagten: Siehe, welchen herrlichen Vorteil du dabei gewinnest! – Diese, sage ich, hüpften und sprangen in seinem Kopfe herum, mit jedem Sprunge traten sie auf eine von den mannigfaltigen zahlreichen Federn des Vergnügens, das Herz wurde von ihr berührt, und – die Freude war da!

      Inzwischen, wenn man es recht bedenkt, kann man mit dem Herze nicht darüber zanken. Die Natur hat die Kette an dem Uhrwerke desselben sehr kurz gemacht; alle Augenblicke muß sie wieder aufgezogen werden. Ein Stoß von einer einzigen Idee! und sie ist abgelaufen, und wenn nicht gleich ein neuer Stoß geschieht, so steht das Werk gar still. Bei einer solchen Bewandtnis machte sie es gut, daß sie dem Gedanken, Ich, ein so vorzügliches Gewicht anhing; dieser windet sogleich die Empfindung wieder auf, und das Herz bewegt sich wieder so frisch wie eine Goeshamsche Taschenuhr.

      Auch auf die Natur kann man darüber nicht zürnen.

       Inhaltsverzeichnis

      – und so meint auch die Fr. Knaut; wenigstens befolgt sie diese Einrichtung der Natur so übertrieben getreulich, daß sie gewiß so meinen würde, wenn sie weniger Maschine wäre und mehr meinen könnte. Einen Beweis gibt sie mir auf der Stelle.

      Als sie angekommen waren, ließ ihnen Selmann Erfrischungen reichen, wie sie sich für Leute schicken, die zween Tage gefastet haben – ein gutes derbes Frühstück. Die Fr. Knaut, die bei dem Anblicke der Speise die Wirkungen des Hungers stärker als im Walde empfand, genoß eine so große Menge mit der äußersten Gierigkeit davon und dachte dabei so sehr bloß an ihr teures Ich, daß dem armen Manne kaum genug blieb, um das Leere auszufüllen, das eine halbe Stunde Hunger in seinem Magen gemacht hatte, und so ging es jeden Morgen.

      Aber, Fr. Knaut! Das wollte die Natur nicht, sie wollte das Gegenteil. Nach ihrer Absicht sollte die Rücksicht auf uns selbst unsre Empfindung gegen andre erleichtern, aufschließen, aber nicht, wie sie gegen ihren leibhaften Mann tut, so unbarmherzigerweise verschließen.

      Allein die Frau ist nun einmal nicht, wie ihr Sohn, zum Muster eines exemplarischen Betragens angelegt, welches Selmann so sehr fühlte, daß er alle Beobachtungen, die er an ihr hätte machen können, herzlich gern dahingab und sie mit dem ehesten auf seine Kosten und reichlich beschenkt forttransportieren ließ. Auch war Tobias bei ihrem Abschiede nicht halb so betrübt, als man nach der Freude bei dem Wiederfinden hätte vermuten sollen; denn es waren verschiedene Äußerungen des ehmaligen Despotismus vorgefallen, die ihm nach Selmanns sanfter Regierung unmöglich behagen konnten.

      »Bei Gelegenheit dieser Betrübnis, Herr Autor!« zischelt itzt ein langer hagrer Mann mir zu, indem er mich bei dem Ärmel leise zupft. – »Überhaupt scheint Tobias' Freude bei dem Wiederfinden seiner Eltern etwas unnatürlich nämlich für einen Menschen von seiner Art. Sie ist zu stark und gewiß von dem H. Verfasser übertrieben wie dieses –«

      Was? nicht natürlich? – doch ich muß einen sanftem Ton annehmen. – Wissen Sie auch, daß Tobias ganz nicht mehr derselbe ist oder vielmehr, mit der äußersten Präzision zu reden, zwar derselbe, aber unter veränderter Gestalt ist? Und wissen Sie auch, woher und wodurch ihm diese Veränderung zuteil geworden ist? – Durch die Nachahmung! diese mächtige Meisterin, die an unserm Charakter die meisten Meißelstiche tut! Wenn die Natur den Marmor oder den Sandstein zur künftigen Bildsäule gewählt und sogar den ersten groben Umriß ihrer Teile ausgedrückt; wenn Erziehung, Schicksale und Begebenheiten der erstern Jahre nach diesem vorgezeichneten Plane weiter gearbeitet und sich bald mehr, bald weniger davon entfernt haben: dann legt die Nachahmung die letzte Hand daran; sie steht neben dem Werke, bessert hier, bessert dort, verschlimmert bisweilen; sie gibt der Statue das Leben, die Kraft, den Ausdruck oder meißelt so lange, bis sie wieder zum Blocke wird. – Dies ist der Weg, den Tobias' Vervollkommnung genommen hat.

      Er hatte nunmehr sechs Jahre lang – ach! davon habe ich niemanden noch eine Silbe gesagt! – doch in meiner Erzählung ist nie etwas versäumt; folglich lasse man sich es nicht verdrießen, itzt erst zu erfahren, daß mein Held gegenwärtig sechs volle Jahre in Selmanns Hause zugebracht hat. Während dieses ganzen Zeitraums sahe er nichts


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