Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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»Wo ist Tobias?« – Er rief ihn bei seinem Namen etlichemal; umsonst! Tobias meldete sich mit keinem Worte.

      Wäre Selmann abergläubisch, einfältig – kurz, ein Mann von wenig aufgeklärtem Verstande gewesen, so hätte seine Verwunderung nicht halb so lange gedauert; er hätte in der Geschwindigkeit einen bösen Geist, ein Luftmännchen oder etwas Ähnliches aufgeboten, von welchem sein Reisebegleiter fortgeführt sein sollte; aber als einem Manne, der keine Wirkung ohne wahrscheinliche Ursache annehmen konnte, war es ihm gleich unmöglich, unter den vielen möglichen eine zu wählen und eine genugtuende zu finden. Seine Verwunderung über Tobias' plötzliche Verschwindung währte daher fünf ganze Minuten, worauf er die ganze Sache in dubio ließ und langsam zurückritt, um den zurückgebliebenen Bedienten zu fragen, wie viel er ihm mit Gewißheit von diesem Phänomen zu berichten wüßte. Er kam an die Stelle, wo der Unfall vorgegangen war, und fand den abgeworfnen Ritter noch in der nämlichen Lage, in welche ihn der Fall versetzt hatte. – »Was ist dir widerfahren?« rief er auf ihn zu. – »Ich weiß nicht«, antwortete jener, indem er sich ein wenig aufrichtete. – »Bist du vom Pferde gefallen?« – »Vermutlich! alles ging so geschwinde zu, daß ich nicht eher sehen konnte, was mir begegnete, als da ich lag.« – »Wo ist dein Pferd?« – Indem die Antwort hierauf zwischen den Lippen war, kam der Bediente herbei, dem der entflohne Gaul in einem hohlen Wege begegnet war, und weil jener ihn sogleich erkannt und für undienlich gefunden hatte, ihm den Durchlaß zu verstatten, so wurde er itzt im Triumphe zurückgebracht. Der verunglückte Reuter stund auf, man untersuchte die Ursache seines Unsterns, und Selmann, als er die wahre fand, hatte die Zufriedenheit, zwar nicht die rechte, aber doch auch keine falsche gemutmaßt zu haben.

      Man traf Anstalten, den Sattel, sosehr es sich tun ließ, wieder brauchbar zu machen, und nach einer Viertelstunde Arbeit saß mein Held wieder in Lebensgröße zu Pferde, welches er so wenig Groll wegen seiner treulosen Entfliehung fühlen ließ, daß er sogar, ehe er aufstieg, wohlbedächtig die Sporen in die Tasche steckte, aus Furcht, ihm damit Schaden zu tun. Man könnte diese Vorsicht auch einer Furchtsamkeit zuschreiben; allein ich bin ein guter Lebensbeschreiber, das heißt, ein Mann, der seinem Helden unrühmliche Sachen für Kleinigkeiten erklärt und drum mit dem größten Rechte gänzlich übergeht.

      Ja, wie lange bleibt der unglückliche Reuter sitzen? – Wäre er nur nicht erst aufgestiegen!

      Sein zweiter Fall, von dem ich itzt reden will, war gewiß der einzige in Europa in Ansehung der Ursache, die ihn veranlaßte: Die Philosophie warf ihn ab.

      Das mag schnackisch zugegangen sein! – Selmanns Zunge war einmal in Bewegung gesetzt, und in diesem Falle hörte ihre Bewegung nicht eher auf, als bis eine neue Spekulation im Kopfe hervorsprang und ihr den Zufluß der Lebensgeister abschnitt; dann stund sie plötzlich still, wie ein Mühlrad, wenn das Schutzbrett vorgesetzt ist. In dieser schwatzenden Laune hatte er seinem Begleiter tausend artige Sachen vorgesagt und trug eben itzt, da von den Göttern der zweite Fall meines Helden beschlossen war, eine merkwürdige Auflösung des Problems von dem Sitze der Seele vor. Tobias neigte sich mit stieren Augen und voller Begierde über den Kopf seines Pferdes hin, um keins von Selmanns Worten, der wegen des engen Weges voranreiten mußte, zu verlieren. Je enger der Weg wurde, je mehr entfernte sich der Dozent, je mehr wurde bei dem Zuhörer diese Neigung des Kopfs notwendig; der Weg ging außerdem bergunter und war, andrer bösen Eigenschaften nicht zu gedenken, ungemein steinicht. Tobias beugte sich immer mehr vor – pump! stürzte sein Roß auf die Knie, und der Reuter flog wie ein Blitz über den Kopf hin. Diesmal hatte das Schicksal vergessen, den Zügel ihm aus der Hand zu nehmen, oder ein gottloser Gnome hatte ihn im Fallen darein verwickelt; das Pferd sprang auf und schnellte zu gleicher Zeit den in den Zügel verwickelten Reuter in die Höhe. Der Elende schrie, das Pferd stund zu seinem Glücke still, er machte sich hastig los, und – o möchte mir doch jemand die Feder wegreißen, indem ich aus törichter Liebe zur Wahrheit meines Helden Schande ausposaunen will! – ich räuspre mich! ich huste – umsonst! – und – mit schwerem Herze sage ich's! – er ergrimmte, nahm die Peitsche und gab dem Pferde einen empfindlichen Hieb.

      Philosophie, du mußt es verantworten, daß er itzt sich selbst so unähnlich wurde! Du warfst ihn ab, und dann verließest du ihn gar? überließest ihn der Leidenschaft? ließest sie mit ihrer Hitze das ganze Eis wegschmelzen, das bei seinem ersten Falle so glücklich wider die Flammen des Zorns aushielt? – Wozu bist du nütze, du Treulose?

      Man könnte zwar zu ihrer und seiner Beschönigung annehmen, daß die Tropfen des mütterlichen Blutes, die er bei seiner Bildung empfangen und deren im Anfange dieses Werks gehörige Meldung geschieht, eben damals ihren Übergang in die große Pulsader tun wollten und durch die Erschütterung von dem Falle auf einen harten Boden zu schnell durchgedrängt wurden, daß die Peitsche dem Pferde schon auf dem Rücken lag, ehe die Philosophie einen Tropfen Wasser in seinen Zorn gießen konnte.

      Also hülfe uns die Philosophie nur, wenn wir auf keinen harten Boden fallen? – oder von der Mutter Eva kein Tröpfchen warmes Blut bis in unsre Adern gekommen ist? – Sonach – hülfe sie bei meiner Treu! – nicht viel!

       Inhaltsverzeichnis

      Eine Ritterschaft ohne Beschwerlichkeiten wäre kaum des Namens wert. Das mußten unsre beiden Ritter sehr deutlich fühlen; denn, den einzigen Anfall von Zorn ausgenommen, den ich im vorigen Absätze betrauret habe, verzog weder mein Held noch sein Patron das Gesichte aus Verdruß über die Unglücksfälle, die sich gleich am ersten Tage ihrer Reise ihnen entgegenstellten. Nur eine Beschwerlichkeit war so groß, daß sie Selmanns Geduld überstieg; bei den Unterredungen mit seinem Begleiter war oft, wenn das Gespräch sich in vollem Strome ergossen hatte, plötzlich ein enger Weg, ein Graben oder etwas Ähnliches gekommen, das sie genötigt hatte, einzeln zu reiten, oder in der Begeistrung der Aufmerksamkeit waren beide unvermerkt vom Wege ab und in Dickichte, an Teiche geraten, worauf die Bemühung, wieder auf den rechten Weg zu kommen, die Unterhaltung auf einige Zeit hemmte; man vergaß darüber, wovon gesprochen worden war, und mußte die Materie wieder bei der ganz ersten Quelle aufsuchen. Das waren allerdings Ungemächlichkeiten, die jedem Menschenherze schwer zu tragen sein mußten. Daher beschloß Selmann, gleich nach Tobias' Vergehung wider alle Philosophie den übrigen Teil der Reise in einem Wagen zurückzulegen, und abends nach seiner Einkehr in dem Wirtshause eines Dorfs tat er diesem seinen gemeßnen Willen kund. Zuerst richtete er seinen Vortrag an den Wirt, bei dem er sich erkundigte, ob er ihm eine Chaise verschaffen könnte, welche die Reise bis nach

aushielte. – »Nein«, war seine runde Antwort mit einem hellen Silberstimmchen. – Ob eine Stadt in der Nähe wäre? – »Nein.« – Ob er nicht einen Wagen geborgt bekommen könnte? – »Nein.« – Ob etwas zu essen vorhanden wäre? – »Nein.« – Ob man Stühle, Tische und Betten bekommen könnte? – (die ganze Stube war leer) »Nein«, und mit diesem schnell herausgestoßnen Nein drehte der Herr Wirt seine kurzbeinichte Figur nach der Tür und ging, ohne weiter auf Fragen hören zu wollen, mit behenden Schritten hinaus.

      »Himmel! was für ein Original! Den Mann muß ich näher kennen.« – Zugleich tröstete er sich damit, daß man im Falle, wenn der Wirt bei seinem hartnäckigen Nein verbliebe, ihm mit einem Reste kalter Küche aus dem Mantelsacke des Bedienten Trotz bieten könnte. – »Stühle und Tische können wir missen«, setzte er hinzu, »Diogenes konnte in einem Fasse essen, trinken und schlafen; warum sollten wir es nicht in einer leeren Stube tun können?«

      Inzwischen hatte doch bei beiden Reisenden der tierische Teil ihrer selbst über den geistigen so sehr die Oberhand gewonnen, daß sie sich entschlossen, den Ruhm des Diogenes fahren zu lassen und noch einen Sturm, aber einen Sturm mit Güte, auf den verneinenden Wirt zu tun.

      Selmann ging, diese Operation auszuführen, und Tobias suchte den Bedienten auf.

      Jener kam in die Wohnstube und fand die Frau vom Hause bei einem kleinen Spinnrade, das auf dem Tische vor ihr stund. In der Geschwindigkeit änderte er, als ein feiner Kriegsmann, bei dieser unvermuteten Zusammenkunft seinen Plan und beschloß, die Sturmleiter an der Frau Wirtin


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