Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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nie in dem engen gewöhnlichen Zirkel stehenblieb, den andre Menschen nicht eine Minute überschreiten, dessen Empfindung insbesondere mit einer beständigen Tätigkeit fortwirkte und, wenn ein Gegenstand sie auf sich lenkte, mit einer eignen Stärke und Lebhaftigkeit hervorbrach. Hätten wir – das heißt, meine Leser und ich – ein solches Beispiel täglich um uns, so müßte der Kanal zu unserm Herzen geöffnet und alle Schleusen desselben allmählich geräumt werden, wenn sie auch durch Natur und Erziehung mit allem möglichen Unrate verstopft wären. So fing bei Tobias Knauten, der mit keinem hochgestimmten, aber doch so ziemlich leicht zu rührenden Herze an das Licht der Welt kam, das nur in den ersten Jahren verhindert wurde, an Empfindlichkeit zu wachsen, die Empfindung allmählich an, gestärkt, erhöht und zu dem Grade verfeinert zu werden, den seine Fibren zuließen; alle diese Verbesserungen waren ein Werk der Nachahmung, die sie an ihm so heimlich anbrachte, ohne daß er selbst ein Wörtchen davon erfuhr.

      In seinem Kopfe hatte er ebenso wenige, so dürftige Ideen und Geschicklichkeiten, als Kleider auf dem Leibe, in Selmanns Haus gebracht; diesem Mangel half sein Patron ab. Er übernahm selbst die Mühe, ihn mit vieler Geduld und Leutseligkeit in den unentbehrlichen Wissenschaften zu unterrichten; er unterhielt einen Lehrer, der den beschwerlichen und unangenehmen Teil des Unterrichts besorgen mußte. Selmanns zuweilen hochfliegende Reden konnte er, wie natürlich, anfangs nicht erreichen, hörte ihnen unaufmerksam zu, faßte und behielt öfters, bloß dem Tone nach, einen und den andern Gedanken, und so flößte sich nach und nach seines Lehrers ganze Denkungsart in seine Seele, und wie die Leute, die lange bei stark riechenden Gewürzen sich aufgehalten haben, ward seine ganze hockrichte Person von der Denkart, den Sitten, Meinungen und Empfindungen seines Gönners parfümiert. – Unter solchen günstigen Umständen denke ich, noch meine Freude an seinem Kopfe und seinem Herze zu erleben. Es war mir schon für ihn bange; aber so muß, der ganzen Welt zum Trotze, etwas aus ihm werden, wenn nur nicht – – – die fatalen Wenn! – wer sie doch nur alle aus dieser Welt verbannen könnte!

      Schon seit einiger Zeit ging Selmann mit einem Entwurfe schwanger, der, wenn er reif wird und zur Welt kömmt, die Vollkommenheiten, die sein Pflegesohn auf vorbesagte Weise gleichsam eingesogen hat, vollends zu ihrer höchsten Staffel erhoben wird: Er wollte in selbsteigner Person mit ihm auf eine Universität gehen.

      Der Mann hat wunderliche Einfälle! Nicht wahr!

      Wie er zu diesem kam? – Er kannte die Gelehrten aus den Klassen der Wissenschaften, die er selbst durch eignen Fleiß studieret hatte, bloß aus ihren Büchern. Wie ihn jedes Vortreffliche und Gute schnell und stark rührte, so brach er aus ihnen die hervorragenden Blumen ab und übersah das niedrige, in Menge herumkriechende Unkraut. Sogar die gefrornen, beeisten Pfade der Kompendien verachtete er nicht, wenn er nur hin und wieder ein Frühlingsblümchen pflücken konnte. Aus der Dankbarkeit und Freude, die ein wißbegieriger Mensch fühlt, wenn er aus einem Buche etwas Neues gelernt hat, setzte sich eine so hohe Idee von der Würde eines Gelehrten in seinem Kopfe zusammen, daß er endlich schloß: Also müssen alle Gelehrte lebendige Bücher, das heißt, lebendige Blumengärten sein, aus denen Nahrung und Labung für den Kopf und das Herz und omnis copia narium ausduftet.

      Universitäten, schloß er weiter, sind der Aufenthalt von einer Auswahl der Gelehrten. Man muß also dort mit jedem Schritte auf Wissenschaft, Gelehrsamkeit und guten Geschmack stoßen. Ein Leben unter lauter Leuten, die ihre Seelenkräfte gebildet, sich mit einem Schatze der nützlichsten Kenntnisse bereichert haben, die, mit nichts als wahren Grundsätzen angefüllet, die Hüter der Wahrheit und Lehre jedes Schönen und Guten sind – ein Leben unter solchen muß einem Leben unter Geistern von einer höhern Ordnung gleich gelten.

      Dies waren seine Begriffe von einer Universität; er stellte sich, weil er keine gesehn hatte, einen gelehrten Himmel darunter vor, dessen sämtliche Mitglieder Genies, in jeder Klasse vollkommen ausgebildete Genies, sind, in welchen sich Wissenschaft und guter Geschmack, Kenntnis und Urteilskraft durchgängig vereinigen. Da Wißbegierde seine herrschende Leidenschaft war, so erfolgte aus solchen Begriffen nichts natürlicher als der Entschluß, nebst seinem Tobias in einem akademischen Paradiese die süßen Gerüche der Wissenschaft und des Geschmacks einzuatmen.

      Die Gelehrten, merke ich, täuschen oft, wie die blattergrübigen Gesichter, die nur in der Ferne und bei Lichte schön sind, kommt ihr ihnen zu nahe, so seht ihr mit Naserümpfen, was ihr fälschlich bewundert habt. – Von allen, die der Feind der Schönheit, die Blattern, gezeichnet haben, hüte ich mich nicht, dies zu behaupten; denn auch Frauenzimmer haben leider! keinen Sicherheitsbrief wider diesen Barbaren und – Frauenzimmer sind sich allemal schön! – Also will ich obige Vergleichung nur von dem männlichen Geschlechte verstanden wissen, und wer sich untersteht, an das weibliche dabei zu denken, soll meine Erzählung zur Strafe mit so saurem Gesichte als eine Leichenpredigt durchlesen.

       Inhaltsverzeichnis

      Selmanns Entschließungen folgten immer Anstalten und Ausführung auf dem Fuße nach. Der gute Mann beging auf diese Art oft größere und würklichere Torheiten, als manchem Leser der Einfall, im neunundvierzigsten Jahre auf eine Universität zu ziehen, scheinen wird. Er hatte einen Einfall; er überlegte; tausend Gründe dafür und dawider erschienen sogleich in seinem Gehirne und stürmten wie erhitzte Advokaten aufeinander los; mitten unter dem Gedränge schlich sich eine von seinen Lieblingsleidenschaften unbemerkt bis an die richterliche Waage und ließ ebenso unbemerkt ein Stückchen Blei, ein Steinchen oder so etwas in die Schale der Partei schlüpfen, die für den Einfall sprach; gleich – ich schwöre es euch bei den Nachthemden aller Musen zu! –, gleich sinkt die Schale, die Advokaten schweigen, der Prozeß ist aus, und der Einfall wird in Ausübung gebracht.

      Nach dieser Methode wurde sein akademisches Projekt in einem Nachmittage aufgeworfen, bezweifelt, gebilligt und der Termin zur Abreise so kurz als möglich angesetzt, welcher davon abhing, daß er einen Mann fand, der gegen eine billige Belohnung die Verwaltung seines Vermögens über sich nahm, ihm jährlich eine bestimmte, nicht sonderlich große Summe von den Einkünften überschickte und – was ungezwungen daraus herfloß – das übrige für sich behielt. Billige Bedingungen; bei denen der ehrlichste Mann und der ärgste Schelm bestehen kann!

      Durch einen Glücksfall traf Selmanns abenteuerlicher Vorsatz in einen Zeitpunkt, wo die Rechte dem Herrn Hauptmann V., dessen Andenken ich hiermit erneuern will, eine von ihren traurigen Wohltaten hatten genießen lassen. Da er aus unbekannten Ursachen für dienlich erachtet hatte, seit langer Zeit von fremdem Gelde zu leben, und aus höchstbekannten Ursachen seine Gläubiger für dienlich erachteten, ihn nicht länger davon leben zu lassen, so vertrieben sie ihn unmenschlicherweise, ohne zu bedenken, daß er vielleicht Hunger leiden könnte, nebst Fräulein Kunigunden und Adelheiden, aus seinen sämtlichen Besitzungen und spielten mit einem Worte die ganze Tragikomödie oder Komitragödie – die Rebellion der Gläubiger. Unter dem Lärme dieses Schauspiels hörte er von den Bedingungen, unter welchen ein ehrlicher Mann der Haushalter von Selmanns Vermögen sein sollte, und ohne zu bedenken, wie verdächtig ein Mann sein müsse, der für einen schlechten Ökonomen berüchtigt war und diesen Ruf durch einen öffentlichen Beweis bestätigt hatte, bot er seine ganze Ehrlichkeit zu Selmanns Diensten an. Dieser, der gleichfalls aus Liebe zu seinem Entwurfe an das geringste nicht dachte, woran ein vorsichtiger Ökonom gewiß gedacht hätte, nahm augenblicklich das Anerbieten an und freute sich, obendrein einen Mann sich zu verbinden, dem es seine Umstände höchst notwendig machten, sich keiner Verbindlichkeit zu schämen.

      Der Handel war richtig: Der Hauptmann V. Selmanns Pachter, und sobald es sich tun ließ, hielt dieser philosophische Abenteurer seinen Abmarsch.

      Die Reise wurde aus Ursachen, die niemand hat erforschen können, zu Pferde getan und die ganze Gerätschaft, die sie mitzunehmen beliebten, einem Fuhrmanne anvertraut, der sie auf einem Karren von vier abgelebten Rossen langsam nach

schleppen ließ.

      Abends vorher, als in aller Frühe darauf der Ausritt geschehen sollte, mußte Tobias eine Ermahnungsrede


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