Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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ist, muß man, deucht mich, es geduldig ansehen, daß ein jeder nicht so denken kann als wir, wie es hergegen auch andre ertragen müssen, daß wir nicht so denken als sie.«

      »Sie sind wohl einer von den neuen Toleranzpredigern. – Dergleichen Leute sind mir fatal.«

      »Aber warum? – Wenn sie gleich zuweilen zu weit gehn, so hat doch ihre Meinung einen größern Einfluß auf das Wohl der menschlichen Gesellschaft als die entgegengesetzte, und das ist der Maßstab, nach welchem ich den Wert der Meinungen zu bestimmen achte. Jede Sache in der Welt erscheint jedem Menschen so und nicht anders, aus Ursachen, die nicht in seiner Gewalt sind. Dem Mettrie scheint die Seele materiell – vermutlich weil ihm der Zufall nur solche Erscheinungen von derselben auf einer überredenden Seite vor die Augen kommen ließ, die ihm diese Meinung aufdrangen; – einem andern erscheint sie als immateriell – aus der nämlichen Ursache; aber ich ziehe diese letzte Meinung vor, weil es heilsamer und von fruchtbarern Folgen ist, wenn sie die ganze Welt glaubt, als wenn sich die ganze Welt bloß für einen Erdenkloß hält. Wo ein solcher Maßstab nicht stattfindet, da können Menschen nicht bestimmen, was Wahrheit ist, da glaube ich gar nichts. Ich habe gefunden, daß Sie in Ihrem Buche –«

      »Ja, ich habe dieses letztre in meiner Schrift de – – gesagt. Sie haben auch darinne Recht, völlig Recht.«

      »Auch der gelehrte Alfridus, Ihr Kollege – «

      Alfimandus räusperte sich so stark, daß er kein Wort weiter hören konnte.

      »– sagt in seinem schönen Buche –«

      Alfimandus ging hustend zu dem Fenster.

      »– das nämliche –«

      Alfimandus sah zum Fenster hinaus. – Selmann fuhr fort, als er zurückkam: »Finden Sie nicht, daß Alfridus in andern Stücken wie in diesem Recht hat?«

       ALF

      »Alfridus hat nimmermehr Recht, weder in diesem noch einem andern Stücke. Er ist ein seichter Kopf, ein superfizieller Gelehrter – ich schäme mich, sein Kollege zu sein.«

       SELM

      »Mir gefallen seine Schriften vermutlich deswegen, weil seine Denkungsart Ähnlichkeit mit der meinigen hat! – Das ist der Maßstab, den die Menschen bei Beurteilung der Wahrheit gewöhnlich brauchen.«

       ALF

      »Und mir mißfallen sie, weil ich – wofür ich dem Himmel danke! – nichts von seiner Denkungsart habe. Bewahre, was der Mann für Irrtümer hegt! Es ist himmelschreiend!«

      Man schwieg. – »Wollen Sie noch etwas?« fragte Alfimandus und bewegte den Arm zur Federmütze.

      Selmann entschuldigte sich, ihm so lange beschwerlich gewesen zu sein, und wollte Abschied nehmen; er machte ihm noch ein paar, aber viel kältre Komplimente, als die bei dem Eintritte waren, und Alfimandus wiederholte lächelnd die obenbeschriebne Gebärde und bewegte wahrhaftig obendrein so gut wie Jupiter sein unsterbliches Haupt – das letzte stellte die Verbeugung vor, mit welcher er seinen Gast entließ.

       Inhaltsverzeichnis

      O will denn niemand die Ehre des gelehrten Ordens retten und ihm die gute Meinung eines rechtschaffnen Mannes erhalten? – Noch ein paar solche Stöße! so ist es um sie geschehn. Zwar sollte man nicht vermuten, daß ein so billig denkender Mann als Selmann um zweier oder dreier Auswüchse willen einen ganzen Körper, wo nicht hassen, doch weniger oder beinahe gar nicht schätzen sollte. Vermuten sollte man es nicht; aber geschehen kann es deswegen immer.

      Die Wüste Sahara mit ihren wilden Menschen und Tieren, alle Wüsten in Asien und Amerika sind für einen Sterblichen nicht schrecklicher als ein Ort, wo niemand seine Meinungen, seine Grundsätze, seine Empfindungen hat; in der Einsamkeit genießt er wenigstens das Glück, mit niemanden uneins zu sein, wenn er es nicht endlich mit sich selbst wird; aber dort muß er entweder vom Morgen bis zum Abend Unrecht behalten oder seine Meinungen durchfechten und andrer Gunst aufopfern oder ohne Weitläuftigkeiten in die Einsamkeit flüchten. Einen Menschen, der Empfindung und also auch Trieb besitzt, mit andern Geschöpfen seiner Art gesellige Verbindungen zu suchen, ihren Beifall zu erwerben, andre zu lieben und geliebt zu werden – einen solchen Menschen setze man unter einen Haufen, denen die Eingeschränktheit des Geistes und des Gefühls verbietet, mit ihm gleichförmig zu denken und zu empfinden – einen Demokrit nach Abdera, einen Pindar nach Böotien, wo alle Nachbarn und Bekannte weit unter ihnen stehen und sie sich also herabstimmen müssen, wenn sie Gesellschafter und Freunde erlangen wollen; sind alsdann solche Leute durch diese Uneinigkeit der Natur und des Schicksals nicht gleichsam an einen Abgrund gestellt, wo sie rechts und links nicht ausweichen können? Entweder müssen sie ihren Kopf und ihr Herz nach dem Tone ihrer Mitbürger umstimmen – das läßt die Vortrefflichkeit ihrer Natur nicht zu – oder müssen sie unter unangenehmen Empfindungen beständig mit niemanden gleichförmig sein – das ist ein Leben so bitter als der Tod; – was zu tun? Sie müssen in den Abgrund, in die Einsamkeit sich werfen, es hilft nichts!

      Dies war ein Fall, der nur in Abdera und Böotien stattfindet; man setze einen gelindern! – Was wird ein Mann, wie er vorhin beschrieben wurde, unter lauter Menschen tun, die zwar wenig und zum Teil gar nicht unter ihm sind, wovon aber keiner mit ihm einstimmt? wo er in keinem sich selbst findet? – Ich antworte nicht; man frage sich selbst!

      Was ist aber auch das für ein unerträglicher Stolz, nicht eher andre Menschen schätzen oder sie lieben zu wollen, als bis man sich in ihnen findet? – Alle Nachkommen Adams handeln so, von der dümmsten Kreatur bis zur höchsten Staffel menschlicher Geister; deswegen vermieden die Abderiten den Demokrit und Demokrit die Abderiten; deswegen fand Diogenes keinen Menschen in Athen bei Tageslichte und Laternenscheine; deswegen ist der Philosoph mit der Welt unzufrieden und die Welt mit ihm; deswegen nehmt ihr Menschenkinder insgesamt, auf welcher Sprosse in der Leiter vernünftiger Geschöpfe ihr auch stehen möget – insgesamt nehmt ihr dem Diogenes die Laterne, sucht und sucht und glaubt nicht eher gefunden zu haben, als bis ihr einen gefunden habt, der mit euch auf einer Sprosse steht. – Ob ihr dies aus einem verderbten Stolze tut oder weil es ein Gesetz der Natur ist, daß sich nur gleich und gleich vereinigt, das will ich nicht entscheiden; aber wenn es alle Menschen tun, so – wollte ich zum voraus erinnern – darf man es auch Selmannen nicht verargen oder seine Billigkeit antasten, wenn er es wie alle Menschen machen wird.

      Man setze obendrein noch einen verdrießlichen Fall, der in dieser Welt nicht selten ist, wo die Einbildung immer wacht,

      Uns armes Völkchen zu betrügen,

      Wo man's nicht zählen kann, wie oft sie nach Vergnügen,

      Nach Zeitvertreib, nach Glück uns zum Aprile schickt;

      In einem Tage nur! Nun zähle man im Jahre!

      – den verdrießlichen Fall, daß wir mit der lebhaftesten Erwartung eines großen Vergnügens einem solchen Orte zueilten und am Ende statt der goldnen Äpfel der Hesperiden, die wir uns versprachen, nur saure Feldbirnen erhaschten; – ich wette, wir täten insgesamt nichts mehr und weniger, als jener herzensgute Mann, der gern Rebhühnerpasteten aß und, als er einst eine öffnete, auf welche er sich ungemein gefreut hatte, elende Sägespäne darinne fand – wir würfen die Pastete unter den Tisch und äßen die Pasteten nicht halb so gern mehr oder, wenn wir es recht arg machen wollten, zeitlebens keine mehr.

      Und das ist eben die unselige Klippe, an welcher schon so mancher Ruhm, so mancher große Name, so manche gute Meinung gescheitert ist! – T++ faßte alles, was er nach seinen Begriffen für Vollkommenheit hielt, in eins zusammen und dachte sich darunter den Gelehrten Euklides, dachte sich ihn so, als er zu ihm in die Stube trat, und als den schlechtesten Sterblichen, da er von ihm wegging. – Unsre Seele rächt sich alsdann gleichsam für unsre getäuschte Erwartung und malt uns die Sache um viele Grade schlechter ab,


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