Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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kann es nicht.«

       EMIL

      »An wem liegt denn die Schuld, daß Sie es nicht können? – Denken Sie doch, daß es nur auf Sie ankömmt, welche Welt es sein soll! – eine muntre, fröhliche, rosenfarbne oder eine traurige, düstre, pechschwarze!«

       SELM

      »Kann ich die Welt umschaffen? Bleibt sie nicht, was sie ist?«

       EM

      »Ei, das wäre zu weitläuftig, eine neue Schöpfung anzufangen! – Sagten Sie mir nicht einmal: Jeder Mensch schafft sich seine Welt; sie ist gut und böse, wer von diesen beiden nur eins sieht –«

       SELM

      »Ich verstehe Sie – aber ich setzte auch hinzu: Unser Auge ist oft so gebaut, daß wir nur eins von beiden erkennen und für das andre blind sind. Ich habe sonst die Welt für ganz gut gehalten, weil ich sie nicht kannte; itzt kenne ich sie, und sie ist mir ein Greuel.«

       EM

      »Sie kennen sie itzt nicht, wenn ich das Ihrer Philosophie zur Schande nachsagen darf – wenigstens nicht recht! – Und dann – wenn Sie einen Flecken an ihr sehen, so machen Sie es wie ich, wenn ich eine Blatter in meinem Gesichte bemerke – ich sehe nicht eher in den Spiegel, als bis sie abgeheilt ist.«

       SELM

      »Aber die Geschwüre der Welt heilen nie –«

       EM

      »Je nun, wenn mir eine Blatter zu lange dableibt, so lege ich ein Schönpflästerchen darauf –«

       SELM

      »Schaffen Sie mir eins für die Auswüchse der Welt –«

       EM

      »Oh, es steht zu Befehle! – Sie haben sich doch die Schilderung von Mahomets Paradiese gemerkt? – So lassen Sie die Welt um sich her sein; um die übrige bekümmern Sie sich nicht eine Minute! – Kennen Sie nun das Schönpflästerchen?«

       SELM

      – – – – –

       EM

      »Kytherens – Kytherens himmlische Gaben! – das Gefühl –

      Das sie in milden Strömen

      Durchs Herz der Sterblichen gießt,

      Daß jeder Puls sich übereilet,

      Der Geist nicht denket, nur fühlt,

      Daß ringsumher dem Auge die Welt

      Mit Iris' Farben bemalet erscheint

      Und uns die süßen Augenblicke

      Schnell wie ein Pulsschlag entfliehn.«

      Diese Verse begleitete sie mit einer Miene! mit einem Tone! – Selbst Venus hätte sie nicht süßer und reizender aussprechen können.

      Selmann sah ihr starr in die Augen und blieb unbewegt stehn. – Emilie fuhr in dem nämlichen Geiste fort:

      »Wissen Sie, was darauf folgt?

      Wenn dichte Nebel die Aussicht verdüstern

      Und Flor die ganze Schönheit der Welt

      In traur'ge Leichengewänder verhüllt,

      Dann nimm, o Jüngling und Mann,

      Den Becher aus Kytherens Hand

      Und gieß in einem gier'gen Zuge

      Den eingeschenkten Nektar hinab;

      Im Taumel trunkener Lust –«

      Ja, wo war ihr Zuhörer? – Fortgewischt, ehe sie es vermutete! und er floh seitdem ihre Gesellschaft, solange keine Zeugen zugegen waren; er floh sorgfältig jedes Tête-à-Tête – weil sie seine keusche Einbildungskraft durch dergleichen schlüpfrige Bilder beleidigt hatte, wird gewiß Modesta denken – sie irrt sich! für eine keusche Einbildungskraft gibt es keine schlüpfrige Bilder; nur eine unzüchtige Phantasie zergliedert solche Bilder und macht sie dadurch für ihren Besitzer schlüpfrig. Davon war Selmann weit entfernt; aber er vermied dergleichen lebhafte süße Vorstellungen aus dem Grunde, warum ein verdorbner Magen alle Süßigkeiten verschmäht – weil ihr Genuß einen Ton der Nerven hervorbringt, der mit dem schon vorhandnen disharmonisch ist. Magen und Seele sind die entschlossensten Feinde der Dissonanzen. – Er floh Emilien, weil sie ihm sein Mißvergnügen nehmen wollte, und versäumte keine einzige ihrer Gesellschaften, weil sie sein Mißvergnügen unterhielten – wie Cato, der nach Martials Ausdrucke in die Komödie ging, um wieder herauszugehn – er floh die Menschen, weil er sich über ihre Torheit ärgerte, und ging der Torheit nach, um sich über sie zu ärgern.

      Emilie merkte wohl die Ursache seiner Entfernung und sahe ein, daß man einen Kranken in üble Laune versetzt, wenn man ihn durch gute Laune von seiner Verdrießlichkeit kurieren will. Sie schlug daher einen andern Weg ein, stellte sich selbst hypochondrisch, und Selmann besuchte sie so fleißig als vorher und ging jedesmal mit einer neuen Dosis Mißvergnügen so zufrieden hinweg als ein guter Gesellschafter von seinem aufgeräumten Freunde. Dies hatte eine sonderbare Folge.

      Wer eine Lüge oft sagt, glaubt sie zuletzt selbst; wer oft lügt, dem wird lügen zuletzt unentbehrlich; und wer sich lange hypochondrisch stellt, wird es zuletzt wirklich. Das erfuhr Emilie, besonders seitdem Isabelle sich von ihr getrennt hatte, die sonst durch ihren mutwilligen Witz ihre Munterkeit, sooft sie zu ersinken schien, wieder aufrichtete. Diese ihre bisherige getreue Gefährtin und Mitgenossin ihres Glückes konnte einen Zwang unmöglich ertragen, den sie sich täglich antun mußte; sie ermahnte Emilien stündlich, ihre Reize nicht über der fruchtlosen Bestürmung eines unempfindlichen Hypochondristen verblühen zu lassen und die Zeit ihrer Vollkommenheit zu gewissern Unternehmungen zu nützen. – Gegen alle ihre Vorstellungen machte Emilien eine angeborne Hartnäckigkeit taub; lieber hätte sie sich augenblicklich in das häßlichste Ungeheuer verwandeln lassen, als einen so weit verfolgten Plan aufgegeben; und in einer verdrießlichen Stunde, wo Isabellens Rat etwas zudringend wurde, gab sie ihr deutlich zu verstehen, daß sie die Freiheit hätte, jeden angenehmern Aufenthalt dem gegenwärtigen vorzuziehen, wenn er ihr mißfiele. Welche Galle hätte sich dawider nicht regen sollen? – Isabelle fing an zu glühen, packte ihre Effekten zusammen und ging in die weite Welt aus. Für Emilien war diese Trennung ein wirklicher Verlust, unter Hypochondristen und Devoten – ein solcher Umgang war ein Gift für ihre Munterkeit; auch war sie in etlichen Wochen so gut als tot. Daraus entstund eine sonderbare Folge für Selmannen.

      Die geheime Feindin seiner Tugend schrieb schon längst die Standhaftigkeit derselben keiner Pietisterei, sondern seiner Krankheit zu; allein sie glaubte doch auf dem einmal betretenen Wege ihren Zweck zu erlangen. Sie stimmte ihre Laune der seinigen gleich und wurde dadurch seine Busenfreundin; er liebte sie wirklich so stark, als er nach seinem Abschiede aus dem Gasthofe tat; aber seine Empfindung saß itzt tiefer im Herze und wirkte weniger auf seine Phantasie.

      Emilie gewöhnte, sich unbewußt, durch beständige Verstellung ihre Imagination so sehr an fanatische Bilder, und diese wurde so sehr dadurch befeuert, daß sie anfingen, auf ihre Empfindung Eindrücke zu machen. Sie lachte nicht mehr darüber; die Gewohnheit hatte ihr das Lächerliche daran weggewischt; niemand malte es ihr von neuem vor, was sonst Isabelle tat. Kurz, ehe ein menschliches Gehirn sich eine solche Vermutung einfallen lassen konnte – hatte sich ihrer Einbildungskraft der Fanatismus durch seine ansteckende Kraft mitgeteilt; Verstellungen, die sie sonst zur Kurzweile ersann, bekamen itzt in ihrem Kopfe die ganze Miene des Ernstes.

      Das ist noch nicht alles! – Ihre majestätischen, strahlenden, junonischen Augen verdrehten sich so ernsthaft als das matte Augenpaar der frommen Einfalt! Ihre marmornen Hände bekamen Verzückungen! Ihre von Wollust schlagende Brust wallte keuchend wie


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