Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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der zuweilen Aufsätze von Mitgliedern oder Stellen aus Büchern herlesen sollte, was aber wegen verschiedener Hinderungen niemals geschah, einen Tisch mit zwei Lichtern hinsetzte, woran er in einem kleinen Lehnstuhle saß und die Auffoderung, seinen Mund zu öffnen, gelassen erwartete. Zufälligerweise hatte eines Abends der dermalige Zerimonienmeister ihm seine Kerzen so nahe gesetzt, daß er bei eintretendem Schlummer mit seinem Kopfe, wenn er nur ein wenig stark nickte, gerade in die Flamme fallen mußte. Was geschah? Indem die übrige Gesellschaft mit voller Begeistrung sprach, stand auf einmal sein Kopf in hellen lodernden Flammen. Er wachte wohl darüber auf; allein in der Betäubung konnte er nicht sogleich ausmachen, was ihm eigentlich widerfahren war und warum alle auf ihn losschrien. »Hülfe! Hülfe!« riefen sie insgesamt und eilten auf ihn zu, um die Feuersbrunst zu löschen. – »Was?« schrie die Dame, deren Rang er in seiner ersten Würde beleidigt hatte – »was? diese Flamme will man löschen? dies ist das Feuer der Inspiration, der Begeistrung! Wer weiß, was für heilige Eröffnungen uns diese Flamme aus seinem Munde erwarten heißt?« – und mit diesen Worten hielt sie alle, die ihm helfen wollten, zurück und sah mit ungerührter Grausamkeit, wie die Flammen sein sämtliches Haupthaar bis auf die Wurzel vernichteten. Sobald er innewurde, wo die Gefahr sich befand, schlug er zwar mit beiden Händen zu, um sie zu dämpfen; aber umsonst! Das Schicksal hatte ihn bestimmt, ein Kahlkopf zu werden und die natürliche Zierde seines Hauptes auf viele Jahre zu verlieren. – Wen mag doch das Schicksal bestimmt haben, dieser Rachsüchtigen ihre Haube à quatre étages zur Bestrafung anzuzünden? – Und noch wäre dies zu wenig.

      Tobias ereiferte sich nicht halb so wie sein Lebensschreiber; mit der Gelassenheit, womit er alle Unfälle dieses Lebens ertrug, erduldete er auch diesen Verlust seiner natürlichen Schönheit und setzte, ohne ein Wort zu sagen, eine Perücke auf.

       Inhaltsverzeichnis

      Stellen aus Büchern sollte Tobias herlesen; was aber wegen verschiedener Hinderungen niemals geschah – sagte ich vor etlichen Augenblicken; – und diese Hinderungen? – waren die wichtigsten von der Welt! ebendieselben, die in seinen Jugendjahren den Strom seiner Beredsamkeit so oft verdämmten!

      Kann es niemand raten? – Warum soll ich aber nun solche Sachen laut sagen? – Die Gesellschaft bestund aus Frauenzimmern größtenteils – aus devoten Frauenzimmern – die sich über alle erhaben zu sein dünkten – die sich um ihrer besondern Heiligkeit willen von allen Ungläubigen verlacht, verhöhnt, verfolgt glaubten; – und diese Ungläubigen waren nach ihren Begriffen alle, die nicht ihrer Meinung waren – die samt und sonders über die Verderbtheit der Welt klagen wollten und daher die skandalöse Chronik der ganzen Stadt als den Stoff ihrer Klagen begierig aufsammelten – – Wenn es nun niemand errät, was sie taten! – Je, wenn ich dann alles so laut und deutlich sagen muß: Sie verleumdeten.

      In einer frommen Gesellschaft – verleumdet man? – Freilich ist das Wort etwas unschicklich; es heiße dann – sie erzählten einander die Schändlichkeit und Sündlichkeit der argen bösen Welt – mit etwas abgeändertem Tone in der nämlichen Manier wie Frau Knaut und ihre Stellvertreterin, Anne Heimberten, in der Dorfküche.

      Sonach blieben denn Leute mit und ohne Devotion einander gleich? und die Welt wäre im Dorfgewande und im Stadtkleide dasselbe Spiel der Leidenschaften, nur mit verschiedenen Masken? – »Welt! Welt!« rief seufzend Selmann, dessen Unzufriedenheit diese Zusammenkünfte nur vermehrten, weil sie ihm ein neues Beispiel von der Verderbnis der menschlichen Natur gaben – »Welt! Welt!« rief er, »du Sammelplatz der Torheiten! Frömmigkeit, Heiligkeit, alles brauchst du zur Larve, dein häßliches Gesicht zu verdecken! – Kann man diese Zusammenkünfte ansehn, ohne vor Gram zu vergehn?«

      »O ja!« rief Emilie, die ihn in einem Winkel belauscht hatte. – »Lachen Sie wie ich! so ist der Schade geheilt.«

       SELM

      »Lachen? –Wie kann ein rechtschaffner Mann solche Torheiten an seinen Mitbrüdern sehn und lachen? – Hieße das nicht ein Mensch sein und kein menschliches Herz haben? – Weinen möchte ich darüber!«

       EM

      »Lieber Mann! Tränen und Gram um fremde Torheiten dünken mir ein verschwendrischer Aufwand. – Herr Philosoph! wir haben genug mit unsern eignen zu tun; meinen Sie nicht? – Auch über diese lache ich; wenn ich mich darüber grämte, wäre ich ja doppelt unglücklich!«

       SELM

      »Beste Emilie! wenn Sie mit meinen Augen sähen –«

       EMIL

      »Ja, bester Mann! da sitzt es eben! – Wenn ich mit Ihren Augen sähe – nein, dafür danke ich schön! Ich möchte nicht über die Torheiten der Welt weinen, wenn Sie mir gleich Ihre Augen dazu borgten.«

       SELM

      »Ihre jugendliche Munterkeit malt Ihnen alle Gegenstände mit Rosenfarbe; aber nehmen Sie diese blendende Glasur weg! So sehen Sie die grobe unlautere Masse, aus welcher die Welt gemacht ist.«

       EMIL

      »Und Sie tauchen sich jeden Gegenstand in das fürchterlichste Schwarz. – Wenn ich unmaßgeblich raten darf – borgen Sie mein Farbenkästchen! Rosenrot ist doch immer besser als schwarz. Bin ich nicht schöner in meinem rosenfarbnen Atlas als in dem pechschwarzen Moore? – nicht tausendmal schöner?«

       SELM

      »Sie sind allemal schön; die Welt niemals.«

       EMIL

      »Bravo, Herr Hypochondrist! – Hier haben Sie ein Knickschen für Ihre Schmeichelei. – Dächten Sie nicht, daß eine Welt voller rosenwangichter Mädchen, Nymphen und Grazien unendlich schöner wäre als eine voller Satyren, Faunen und andrer männlichen Ungeheuer? und – warten Sie nur! – Sie wären der einzige Bewohner eines solchen allgemeinen Serails!«

       SELM

      »Sie spotten.«

       EMIL

      »Gewiß nicht! – Aber alle diese Schönheiten müßten wie der Frühling gekleidet sein, in das schönste Rosenrot! müßten so munter, so scherzhaft sein als ein Zephir und dabei so witzig als ein französischer Poet. – Haben Sie nichts vom Paradiese des Mahomet gelesen? – Hören Sie nur: ›Die schönsten Mädchen aus dem Morgenlande sitzen an einem mit Blumen und niedrigem Gesträuche bekränzten Bache‹ – pfui! das Gesträuch müßte in meinem Paradiese etwas höher sein! – und Mädchen aus dem Morgenlande? – nein, europäische Mädchen! nach meinem Schlage, wenn ich so stolz reden darf! – ›ihr Geruch ist lieblicher als der Atem des Windes, der Blumendüfte aushaucht; und ihr Kuß‹ – merken Sie auf! –, ›ein Kuß auf ihre Wangen läßt in Ewigkeit ein Gefühl von unaussprechlicher Seligkeit zurück‹ – das nenn ich einen Kuß! – ›Sie singen unsterbliche Lieder, worinne jeder Ton das Herz vor Wollust und Liebe zerfließen läßt; ein Druck von ihren sanften Händen schwellt den Puls an, daß er hoch emporklopft; ihr Speichel riecht wie die köstlichste Salbe, wie alle Spezereigärten des Morgenlandes.‹ – Sehr standhafte Nerven müßt ihr armen Mannspersonen haben, wenn eine solche Transpiration auch nicht eine zersprengen soll. – Nun will ich das Blatt umwenden. Hören Sie einmal das Bild! – ›Eine sandichte dürre Wüste, von Löwen und Tigern bewohnt, die einander unaufhörlich zerfleischen, in welcher alles öde, alles traurig schmachtet, die Blume, die sich heute hervorwagt, morgen lechzend stirbt und kein Tropfen Wassers den trocknen Gaumen erquickte – oder – ›Ein Land voll ungeheurer Eisberge, auf welchen dumpfe düstre Nebel drückend liegen oder schneidende Schneewinde regieren, wo jedermann traurig umherschleicht und sich einsiedlerisch‹ – pfui! ich kann nicht weiter! Mich friert! Mir schauert! – Welche Welt wollen Sie nun? – Die erste nach Mahomets Modelle ist


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