Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


Скачать книгу
redten, sprachen itzt die verächtlichsten, nichtsbedeutenden Töne der Schwärmerei aus! – Ist das nicht eine Metamorphose, die ein ganzes Dutzend ovidischer Verwandlungen wert ist?

      Das ist viel! sollte man denken; aber nur Geduld! das ist noch nicht alles!

      Reiz und Schönheit haben bekanntermaßen eine magnetische Kraft, die alles, dessen sie nur habhaft werden kann, in ihren Wirbel hineinzieht. Wenn eine von den irdischen Grazien sich es einfallen ließe, die abenteuerlichen Selbstkreuzigungen der Bonzen durch ihr Beispiel zu empfehlen, wie viele gutherzige Söhne Adams würden wir die Kleider von sich werfen, die Rute ergreifen und sich unbarmherzig peitschen sehn! – Die Schönheit ist die kräftigste Lehrerin des Lasters und der Tugend, der Torheit und der Vernunft, und trotz dem Menschenherze, das ihr widerstehen will!

      Gesetzt, Euphem – dich frage ich! –, du hast alle Zugänge zu deiner Empfindung mit ernster Weisheit verpallisadiert – dein Gehirn verrichtet alle drei Wirkungen des Verstandes nach Aristoteles' Vorschrift so hurtig, so ohne Anstoß, als ein gelenker Tanzschüler seine Kapriolen – deine Vernunft ist mit allen schönen Raritäten der Gelehrsamkeit aus der Alten und Neuen Welt ausmeubliert – sie unterscheidet Wahrheit und Falschheit, Illusion und Wirklichkeit auf ein Haar – sie hält strenge Aufsicht über die Imagination und weist sie gleich mit ihren Blendwerken und schönen Schattenspielen ab – genug, du bist nach deinem Gefühle und jedermanns Geständnisse ein weiser, vernünftiger, gelehrter etc. etc. Mann – gesetzt nun, es stünde täglich eine Stunde lang eine Nymphe, so schön und reizend als die koische Venus, vor deinen Augen und läse dir mit allen Künsten der schwärmerischen Deklamation, mit allem Nachdrucke der Enthusiasterei Schwedenborgs Geistermärchen oder Böhmens sinnreiche Schriften vor – was würde aus dir werden? – Versuche es! Indessen will ich dir erzählen, wie es Selmannen ging.

      Emilie hatte durch die angenommene Gleichheit mit seinen finstern Grundsätzen und Empfindungen sein ganzes Herz gewonnen; er war in sie verliebt – wenigstens handelte er völlig wie ein Anbeter gegen sie. Alles, was sie tat, gefiel ihm; er dachte an nichts als an sie, sie war ihm allgegenwärtig; er suchte ihre Gegenwart und entbehrte, wenn er sie nicht genoß; aber wenn er bei ihr war, seufzte er nicht wie ein französischer Theatergalan, sang keine verliebte Stanzen – nein, er klagte über die Welt, und je heftiger und lauter sie mit ihm einstimmte, desto stärker wurde seine Zuneigung. Manche Wörterkrämer werden dies nicht Liebe, sondern Freundschaft nennen wollen – mögen sie! Die Empfindung ist doch bei beiden eins und nur dem Grade nach unterschieden. – Auch setzte ihn diese hypochondrische Liebe allen den Schwachheiten aus, denen der feurigste Anbeter unterliegen kann; Torheiten, Ungereimtheiten, die ihm an andern Sterblichen die Galle vom Grunde aufwiegelten, reizten ihn an ihr; Fehler schienen ihm Vollkommenheiten, und ohne Untersuchung nahm er alles dafür an, was er an ihr wahrnahm. – Was will man mehr?

      Emilie merkte ihren Sieg nicht.

      Während daß seine Empfindung die Vernunft so einschläferte, sah er sie nach und nach durch alle Stufen der Veränderung zu einer Schwärmerin werden; der Zauber ihrer Schönheit, ihres Reizes wirkte nunmehr ungehindert auf seine schon glimmende Zuneigung; diese Wirkung nahm zu, wie ihre frommen Grimassen sich mehrten; eine solche Verbindung machte, daß auch die Grimassen einen Anteil an jener Wirkung bekamen; wie gewisse Leute mechanischerweise, ohne Bewußtsein, gähnen, wenn sie es andre tun sehn, so wurde seine Einbildungskraft, seine geistigen und körperlichen Organen hingerissen, und – ihr Götter! was kann aus dem Menschen werden! – Selmann, der Philosoph – ward ein Schwärmer wie Emilie! – Vor acht Jahren, als er nach dem Abschiede des Hauptmann V. mit sich selbst räsonierte, hätte ich ihm das nicht zugetraut!

      Indessen er ist es, und seine Weisheit liegt wie eine erfrorne Schildwache da und tut nicht einen Laut, da sich der Fanatismus in seinen Kopf schleicht! – Zu verwundern ist es nur, wie sie sich beide, nachdem er einmal hinein war und die Sache nicht mehr zu andern stund, zusammen unter einem Hirnschädel vertragen konnten. – Die Sache ist: Die Phantasie spielt im Kopfe die gebietende Frau vom Hause; nach ihrem Takte muß alles tanzen oder in den Winkel kriechen, und diese Partie ergriff Selmanns Philosophie.

       Inhaltsverzeichnis

      Nicht lange dauerte es, als die fromme Gesellschaft eine neue Wendung bekam.

      Die Freiheit, mit welcher sich täglich Personen beiderlei Geschlechts unter dem heiligsten Vorwande sahen, ohne den geringsten Zwang sahen – Personen, bei denen Einbildung und Empfindung in völliger Gärung stunden – worunter eine Emilie war, deren Phantasie mit verliebten Bildern sich genährt hatte und gleich zu ihnen überging, sobald ihre Empfindung bis auf einen gewissen Grad erwärmt wurde – bei solchen Personen mußte jene Freiheit die natürliche Folge haben, daß ihr überspanntes Gefühl den Nerven die nämliche Stimmung gab als die sinnlichste Wollust; und – wer weiß das nicht? – Seele und Körper sind ein paar gleichgestimmte Saiteninstrumente: Gebt auf dem einen den Ton einer leeren Saite an, und derselbe Ton hallt in der andern wieder.

      Himmel! widerfuhr das auch Selmannen? – Darauf kann ich itzt nicht antworten.

      Niemand erfuhr jene Folgen so sehr als Emilie und die Gemahlin des weisen Sophronius. Man weiß schon, weil man mich es hat erzählen hören, daß Tobias das Glück hatte, eine Warze auf seiner Nase zu tragen, die ihm die Gunst der letztern gleich bei seiner ersten Erscheinung vor ihrem Angesichte zulenkte, und diese Gunst war bisher zwischen Wachstum und Abnahme mitteninne stehen geblieben. Itzt gelangte ihre Neigung für ihn schnell zu ihrer Reife, als wenn sie in einem Treibhause beschleunigt wäre. Venus kann ihren Adonis nicht inbrünstiger geliebt haben, und gleichwohl war Tobias kein Adonis. – Weil er itzt völlig ausgewachsen und seitdem kein Haarbreit größer noch breiter geworden ist, so werde hier sein Bild der Nachwelt aufgestellt. – Wohlan!

      Der ganze Tobias ist eine Säule, vier Fuß drei Zoll hoch, in der Gestalt eines Pagoden. Das Fußgestelle ist gleich einem Paar Menschenbeinen gestaltet, worunter jedes einen auswärtslaufenden Halbzirkel macht, die oben an den Knien und unten an den Knöcheln zusammenschließen. Der Schaft stellt einen dicken breiten Menschenleib vor, der die sämtlichen Cordilleras im Modelle auf dem Rücken trägt, aus welchem an beiden Seiten Armen herabhängen, die sich mit den Krallen eines Habichtes endigen; – wirklich hatten seine Finger mit diesen eine so starke Ähnlichkeit, daß seine Mutter alle mögliche Ursachen aufsuchte, um sich dies Phänomen zu erklären, und alle Mittel anwandte, ihm diese Verunstaltung zu benehmen; nichts half! – Endlich das Kapital! Dies war ein spitzer Kopf – nur sparsam mit Haaren bestreuet – das Ebenbild des Thersites – und itzt nach der unglücklichen Feuersbrunst ganz kahl wie ein gesengtes Stoppelfeld! eine platte, zween Finger breite Stirn, eine keilförmige Nase, worauf die beliebte Warze prangte, aufgeworfne blasse Lippen, eine Farbe, die aus gelb und schwarz zusammengesetzt sein mußte, große eisgraue Augen, die aus einer beständig aufgesperrten Eröffnung das füchterlichste Weiße hervorgaffen ließen und von hochgezerrten Augenbraunen wie von einem Wetterdache beschützt wurden. – Dies sind ohngefähr die hervorstechendsten Partien des Kopfs.

      Sehe mir doch eine meiner schönen Leserinnen dies Porträt an und verliebe sich nicht! – und wenn es ja einem oder dem andern schwerfiele oder man sich überhaupt verwundern sollte, wie eine solche Figur ein Gegenstand der Liebe habe werden können, so erinnere man sich nur, daß eine aufgebrachte, an Mißgestalten gewöhnte Phantasie – und was sind die Ideen der Schwärmerei anders als Mißgestalten? – dem Geschmacke eine vorzügliche Richtung zum Wunderbaren, zum Ungeheuren, zum Außerordentlichen gibt; nicht allein die Zusammensetzungen des Gehirns haben alsdann diesen Charakter, sondern auch jeder Gegenstand, der gefallen soll, muß ihn haben. Welche menschliche Figur trug so sehr das Gepräge der Monstrosität an sich, und welche war also geschickter, jenen Geschmack zu befriedigen, als die Person meines Helden? – Mich befremdet es deswegen nicht im mindesten, daß Madam Sophronia so unsterblich in ihn verliebt wurde, als Rosaura in jeden wohlgemachten Offizier, der vor ihrem Fenster auf die Wache zieht; daß sie vor Freuden glühte, wenn sie ihn erblickte, und sich nicht enthalten konnte, ihm einstmals heimlich einen herzhaften Kuß beizubringen, daß er von einem Ohre bis zum


Скачать книгу