Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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auf ihn und sich zu machen. So habe sich allmählich ihre gegenseitige Zuneigung entzündet bis – Hier hielt sie inne, und der Onkel, der die Unterhaltung ganz von dieser Materie ablenken wollte, nötigte sie nicht, weiter fortzufahren, sondern fing ein neues Gespräch an.

       Inhaltsverzeichnis

      Unterdessen hatte die gnädige Mama mehr als einen Grund bei sich gefunden, warum sie sich für die Beleidigung, die Siegmund ihrer Meinung nach der ganzen Familie angetan hatte, nicht gerochen genug glaubte. Sie gab also während der Abwesenheit ihres Bruders und ihrer Tochter einem ihrer Haustrabanten, dem einäugigen Christoph, den Auftrag, Siegmunden aufzupassen und ihm im Angesichte des Publikums in den ehrenrührigsten Ausdrücken zu sagen, daß er ein schlechter Kerl wäre. Christoph entledigte sich seines Auftrages so gut, daß er sogar ungeheißen Siegmunden die Anwartschaft auf einen vollen Buckel Schläge gab, mit der Versichrung, daß er auf der Stelle zum Genusse gelangen könnte, wenn er ein Wort zu sagen wagte.

      Siegmund, ein Mann von Ehre und äußerst empfindlich bei allem, was sie nur von fernher schmälerte, kam sogleich auf den Argwohn, daß dieser Niederträchtige ihm solche Beleidigungen nicht aus eigner Macht angetan habe, sondern daß es Wirkungen eines Zorns wären, den er sich schon längst durch eine höchst unverantwortliche Kaltsinnigkeit gegen die Reize derjenigen Dame zugezogen hatte, die ihn itzt so empfindlich züchtigen ließ und sich freute, unter dem Vorwande, die Ehre ihrer Tochter zu retten, ihn für die Verschmähung ihrer deutlichen Anerbietungen zu züchtigen. Dieser Ursache schrieb es Siegmund zu, und er mochte sich nicht irren; wenigstens war es gewiß, daß er nebst seiner Keuschheit bei verschiedenen ohne sein Wissen veranstalteten Unterredungen mit Amaliens Mutter dem Schiffbruche nicht weniger nahe gewesen war als Joseph.

      Er sahe kein andres Mittel vor sich, als daß er geradesweges zu dem Onkel seiner Amalie reiste und auf das nachdrücklichste Genugtuung für eine solche Beschimpfung verlangte. Dieser gute Mann bezeugte die größte Unzufriedenheit über die unüberlegte Handlung seiner Schwester und tat ihm den Vorschlag, sich gleichfalls, wie er mit Amalien getan hätte, auf einige Zeit von der Stadt zu entfernen, um die ganze Sache indessen verrauchen zu lassen. Ein solcher Vorschlag, so gut gemeint er auch war, mußte ihn aufbringen; er verlangte noch einmal sein Recht und begab sich mit der Versichrung weg, daß er nach seiner Rückkunft in die Stadt, um seine Ehre zu rechtfertigen, den ganzen Vorfall öffentlich bekanntmachen werde; das hieß so viel als, er wolle die ganze skandalöse Geschichte von den Liebesanträgen seiner Schwester mündlich und schriftlich ausbreiten und erwarten, bis ihn jemand vor Gerichte widerlegen würde. Amaliens Onkel, der seine Versichrung zwar eigentlich nicht so verstand, aber doch verschiedene Ungelegenheiten besorgte, bat ihn, bis zu seiner Rückkunft sich zu gedulden und alsdann sich seiner Vermittelung zu getrösten.

      Ohne hierauf zu antworten, verließ ihn Siegmund und erfüllte seine Drohung; jedermann, der zwei Ohren und Geduld genug hatte, mußte seinen ganzen geheimen Roman anhören, und er hatte kaum nötig, es dreien oder vieren zu sagen, als man sich schon bemühte, die Erzählung in ihrer völligen Richtigkeit aus seinem eignen Munde zu vernehmen, und sie schon einer dem andern, unbekümmert um Richtigkeit, anvertraute. Dieser Schritt, ob er gleich mißlich war, gelang ihm insofern, daß er doch von jedermann als ein Unrechtleidender angesehn wurde, wodurch er seine Ehre für gerettet hielt, weil niemand das Herz hatte, ihm öffentlich zu widersprechen.

      Amalie bekam einige Zeit nach ihrer Ankunft auf dem Lande Zufälle, worüber die Tante erstlich die Augen weit aufsperrte und endlich gar dem Onkel so lange in die Ohren brummte, bis er die seinigen ebenso weit auftat. Sie geriet außerdem in eine Schwachheit und einen Tiefsinn, die beide einem zärtlichen, vor Liebe kranken Herzen nach einer Trennung unvermeidlich sind. Sie schien sich selbst Siegmunden vergessen zu haben, wenigstens dachte sie nicht mehr und nicht anders an ihn als an einen ehmaligen Bekannten; aber im Herze! – vulnus alit venis – im Herze eiterte die Wunde! Der Tiefsinn nahm zu, die Zufälle wurden der Tante immer bedenklicher; gnug, es fand sich aus sichern Anzeigen, daß das gute Kind – schwanger war, und – die unselige Fama! – ehe man sich es versah, posaunte sie es so weit aus, daß es bis zu Siegmunds Ohren kam.

      Dieser ehrliche Liebesritter hatte inzwischen manchen vergeblichen und oft gefährlichen Marsch in die Gegend getan, wo sich seine Amalie aufhielt, hatte in manchem Busche gelaurt, um sie einmal auf einem einsamen Spaziergange anzutreffen – und wenn er sie ja hörte, so war allezeit Tante oder Onkel zugegen. Endlich vernahm er die Nachricht von ihrer Schwangerschaft, wobei Ehre und Gewissen einen so lauten Ruf in ihm taten, daß er beschloß, das äußerste zu wagen, um sie der Schande zu entziehen. Er hatte bisher nichts weniger geglaubt, als daß bei Amaliens zartem Alter ein übereiltes Vergnügen, zu welchem er in dem Taumel der Leidenschaft hingerissen worden war, so ernsthafte Folgen haben würde; doch itzt machte das Bewußtsein seiner Übereilung und die Liebe für Amalien, daß er es auf das erste leichte Gerüchte glaubte.

      Er nahm seinen Weg zu Amaliens Aufenthalte in der Absicht, ihren Onkel zu besuchen und bei der Gelegenheit vielleicht sie selbst zu sehn. Siegmund wurde vor ihm gelassen und entdeckte mit der unerschrockensten Herzhaftigkeit das ausgestreute Gerüchte, wie sehr er Ursache habe, es zu glauben, und fragte stolz, ob das Gerüchte die Wahrheit gesagt habe. Der Onkel wurde durch diese stolze Anfrage beleidigt und befahl ihm mit verächtlichem Tone, von dem Augenblicke an nicht wieder in der dasigen Gegend zu erscheinen, oder man würde Maßregeln ergreifen, um sich in Zukunft dergleichen entehrende Nachfragen zu ersparen; so ließ er ihn stehn und ging fort.

      Die Ungewißheit, in welcher er in Absicht auf Amaliens Umstände blieb, seine Liebe zu ihr, sein Ehrgeiz, die Besorgnis, in den Augen der Welt ein niedriger Verführer zu scheinen, wie ihn der Onkel bei dieser Unterredung wirklich genannt hatte, die Verächtlichkeit, mit welcher er von diesem behandelt worden war – alles dieses waren ebenso viele Sporn, die seine Verwegenheit von allen Seiten zu antrieben. Allein der Tumult in seinem Herze war zu groß, um auf der Stelle eine Entschließung zu fassen; er reiste also unter einer beständigen Abwechslung von Wut, Überlegung, Verzweiflung und Unentschlossenheit nach Hause.

      So viele Mühe man sich auch gegeben hatte, Amaliens Schwangerschaft, deren Gewißheit nach der Tante Meinung immer sichtbarer wurde, vor ihrer Mutter zu verbergen, so war doch der Ruf so boshaft gewesen, alle diese Anstalten zu vernichten. Der Onkel ging mit einem Plane um, heimlich mit ihr zu einer entfernten Anverwandtin zu reisen und sie nach ihrer Niederkunft an einem dritten Orte – welches auf Antrieb seiner Tante zu seinem Anschlage hinzugekommen war – bei dieser Anverwandtin zeitlebens zu lassen, um für ihre Beschimpfung der Familie täglich gequält zu werden, wozu nach jedermanns Geständnis kein tauglicheres Werkzeug als diese Megäre hätte gewählt werden können. Da sich die Ausführung dieses Entwurfs, ich weiß nicht, aus welchen Ursachen, verzog, so hatte Amaliens Mutter Zeit genug, die Sache zu hören, und kam daher in der äußersten Wut eines Abends zu ihrer Schwester gefahren. Sie war kaum aus dem Wagen gesprungen, als sie schon schäumend zur Tür nach ihrer Tochter Zimmer zulief, um sie – was weiß ich? – zu erwürgen, zu erstechen; – genug, ihr Bruder hatte alle Mühe und beinahe Gewalt nötig, um sie in eine andre Stube zu bringen. Man bemühte sich anfangs, weil der Überlegenheit ihrer Hitze über die Vernunft niemals zu trauen war, sie zu überreden, daß das Gerüchte ungegründet sei; man ließ sogleich eine gutherzige Seele, einen Bekannten aus der Nachbarschaft holen, einen Spaßmacher, der durch seine lustigen Schwanke sonst der gnädigen Frau Kummer, Zorn und alle Leidenschaften aus dem Herze herausgegaukelt hatte. Der edle Mann wurde im voraus benachrichtigt, was für mächtige Wirkungen man diesmal von seiner Kunst erwartete. Er erschien und hatte schon unterwegs seine ganze Erfindungskraft angespannt, um einen recht meisterhaften Operationsplan hervorzubringen; auch war sein Nachsinnen nicht vergeblich gewesen, denn er führte sich gleich auf eine Art in die Gesellschaft ein, die nichts als Meisterstreiche vermuten ließ. Er ließ sich plötzlich alle zween Flügel der Türe auf einmal öffnen und schlug ein doppeltes Rad zur Stube hinein; allein da die Stube für das zweite Rad um eine gute Viertelelle zu klein war und er in der Begeistrung zum Augenmaße keine Zeit hatte, so fiel unglücklicherweise der rechte Fuß auf den Hirnschädel der erzürnten Mutter, die, weil sie der Spaß zu schnell überraschte, nicht Zeit hatte, auszuweichen, sondern


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