Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Eröffnung des Theaters. So viel hatte er inzwischen doch für seine Absicht gewonnen, daß sie zu sehr mit ihrem Schmerze beschäftigt war, um eine andre Kur für ihren Zorn wider Amalien zu bedürfen, wodurch dem unglücklichen Radschläger eine große Demütigung erspart wurde, da er ohnehin durch diesen Unfall um alle seine Laune so sehr gekommen war, daß er den ganzen Abend wie ein Blödsinniger dasaß.

      Der Onkel hatte zu verschiedenen Malen, da die Wut seiner Schwester nicht mehr zurückzuhalten schien, den Vorsatz gefaßt, Amalien unter der Hand mit einem Mädchen fortzuschicken; allein da gute Leute selten hurtige Leute sind, so blieb es. Sogar den Morgen darauf wollte er es noch tun, und es blieb wieder. Indessen verlangte die Mutter schlechterdings, Amalien zu sehen, und da weder der Onkel noch die Tante zur Standhaftigkeit bestimmt waren, so mußte das arme Kind vor Gericht erscheinen. Der beschämte Lustigmacher war vor Verdruß und Kummer in aller Frühe fortgereist; folglich war keine menschliche Hülfe mehr da, die es hätte hintertreiben können.

      Amalie erschien mit der Miene der Unschuld, die wohl merkt, daß sie einen Fehler begangen hat, aber ohne daß sie ihn kennt. Sie eilte mit einer schüchternen Freundlichkeit auf ihre Mutter zu, um ihre Hand zu küssen, und bekam dafür einen Stoß, der sie drei Schritte weit von ihr entfernte. Sie stand todblaß und zitternd da, hörte und sah nicht, als die Mutter in den schmählichsten Ausdrücken auf sie losstürmte. Sie bekam Vorwürfe über ihre Unempfindlichkeit und wurde noch unempfindlicher; wie versteinert sank sie in einen Stuhl, und wie versteinert wurde sie fortgeführt.

      Nach ihrer Entfernung tat die Mutter den Ausspruch, daß man durch die empfindlichsten Kränkungen und Demütigungen sie für die Entehrung ihrer Familie bestrafen und fühlen lassen müsse, wie groß ihr Verbrechen sei. Die Schwester gab ihre Stimme dazu; nur der Bruder, der das Unmenschliche in diesem Vorschlage sehr wohl fühlte, machte Einwendungen dawider und versprach, einen bessern Weg ausfündig zu machen, wie man mit weniger Aufsehn die Familie rächen und Amalien zur Reue bringen könne. Die Mutter bestand auf ihrer Meinung, und er schwieg, welches so gut als eine stille Einwilligung war und auch bei ihm die nämlichen Wirkungen hatte. – Gute Leute können zu den grausamsten gemacht werden; eben die Geschmeidigkeit oder vielmehr der Mangel an Standhaftigkeit, der sie so nachgebend, so billig macht, hindert sie auch, unbilligen Maßregeln sich mutig zu widersetzen; und da diese Gattung von Charakter meistens seinen Grund in einem gewissen Anteile von Phlegma hat, so sind die Seelen, die ihn besitzen, gerade wie steife phlegmatische Körper, wo man sie hinwirft, bleiben sie liegen und sind lange und oft gar nicht imstande, sich auf eine andre Seite zu bewegen; ebenso bleiben Köpfe wie Amaliens Onkel auf dem Entschlüsse, er sei billig oder unbillig, zu welchem sie einmal hingezogen sind; das ganze Räderwerk in ihrem Kopfe geht zu langsam, um aus eigner Kraft in einer andern Richtung umzulaufen, als die ihm ein fremder Stoß gegeben hat.

      Nach dieser Anmerkung wird man sich erklären können, warum dieser sonst vernünftige Mann so geneigt war, sich mit seiner Schwester zur Ausführung ihres grausamen Plans zu vereinigen, so sehr er auch Amalien liebte, ohne ein einziges Mal zu bedenken, daß der ganze Glaube von ihrer Schwangerschaft sich auf die unzuverlässige Beurteilung ihrer Tante gründete und daß alle Anzeigen davon Symptome einer innerlich nagenden Liebe sein konnten, daß die Sichtbarkeit davon niemanden als der Tante so deutlich war und vor allen Dingen daß man völlige Gewißheit von dem Versehen und dem Grade ihrer Strafbarkeit haben mußte, ehe man eine so harte Bestrafung anfangen durfte. Nichts von allem dem ließ man sich einfallen, und Amalie mußte leiden, ohne selbst zu wissen, warum; denn man hatte sich nichts von der allgemeinen Vermutung gegen sie merken lassen, und sie kannte nur das Gefühl der Liebe und die körperliche Seite davon zu wenig, um selbst auf diese Vermutung zu kommen.

      Sie wurde also von dem Tische und aus der Gesellschaft ihrer Anverwandten auf so lange verwiesen, als man für gut befinden würde; sie mußte Tag und Nacht in einem engen finstern Behältnisse unter dem Dache zubringen, wo ihr das schlechteste Essen und noch dazu kümmerlich durch eine außerdem verschloßne Öffnung gereicht wurde; die Nacht mußte sie auf einer Handvoll Stroh schlafen, das ihr bei der Einführung in ihr Gefängnis eingestreut worden war; ihre Kleidung war ein dünnes Nachtkleid, das kaum mehr als die Stelle eines Hemdes vertreten konnte; in diesem Zustande wurde sie mit bloßen Füßen zu einer schon ziemlich rauhen Jahreszeit in ihrem Kerker der Kälte, dem Hunger und allen daher entstehenden Übeln ausgesetzt, ohne daß jemand wegen der strengen Aufsicht der Mutter es wagen durfte, ein Wort mit ihr zu sprechen. Fast sollte man glauben, daß alles dieses Anstalten waren, unter dem Vorwande der Bestrafung eine Tochter umzubringen, die man nach den strengen Begriffen der Ehre als einen Schandfleck der Familie betrachtete und doch nicht ohne Sünde oder Verantwortung mit Gift oder Degen fortzuschaffen sich getraute.

      Die unglückliche Gefangne trug ihren traurigen Zustand mit einer anscheinenden Gelassenheit, die man von ihrem Alter nicht hätte erwarten sollen; allein es war die Unempfindlichkeit, in welche ein zartes Gemüt versetzt wird, wenn ein heftiger Schmerz alle Kräfte ihrer Empfindung auf einmal und gleich stark erschöpft; – eine feine Saite, die bis zum Zerspringen gespannt ist, gibt nur einen schwachen unvernehmlichen Ton, und Amaliens Herz war zu dieser Unempfindlichkeit schon durch ihre vorhergehende Schwermut und den für sie unergründlichen Haß ihrer nächsten Anverwandten vorbereitet worden. Sie blieb unbeweglich auf einem Flecke sitzen, seufzte bisweilen, niemand sprach mit ihr, wenn ihr das Essen gereicht wurde, und sie begehrte auch nicht zu sprechen. Sie ließ ihre elende Kost zuweilen stehen und genoß sie zuweilen, in beiden Fällen ohne Verachtung und ohne Begierde.

      Die Wut der Mutter verwandelte sich allmählich in Unwillen, der mütterliche Liebe und Mitleiden zum Teil wieder aufleben ließ, wiewohl beides nur auf eine kurze Frist, so lange, bis der Paroxismus der Ehre sich wieder einstellte. Der Onkel bat zwar etlichemal für Amalien, allein es war eine schwache Bitte, die durch ein Wort von seiner Schwester niedergedrückt wurde, und endlich ward er ein ganz ruhiger Zuschauer.

       Inhaltsverzeichnis

      Siegmund war indessen Tag und Nacht auf der Folter gewesen; Ehre, Liebe und auch eine kleine Rachsucht waren seine beständigen Peiniger. Er hatte Projekte gemacht und verworfen und nie eins ausgeführt. Zween Versuche, Amalien aus ihrem Gefängnisse zu entführen, waren mißlungen, und als er eben zum dritten sich mit der äußersten Verwegenheit rüstete, bekam die ganze Sache eine andre Wendung.

      Seit dem ersten Argwohne von Amaliens Schwangerschaft war nunmehr ein völliges Jahr verstrichen; sie war auch bei dem Eintritt der Winterkälte auf Vermittelung ihrer Tante in ihr ehmaliges Zimmer, doch immer als eine Gefangne, gebracht worden; und da man also den Ungrund und die Ungerechtigkeit seines grausamen Verfahrens gegen sie deutlich einsah, so ärgerte man sich, daß man Unrecht hatte. Nichts ist für ehrgeizige Seelen unerträglicher als ein Mensch, der Unrecht von ihnen gelitten hat; man sann daher auf Mittel, Amalien auf immer von sich und aus der Familie zu entfernen. Wie viele Demütigungen suchte sich ihr Stolz hierdurch zu ersparen!

      Nach langem Nachdenken glaubte man ein solches Mittel entdeckt zu haben. Der Onkel bekam den Auftrag, es ins Werk zu setzen. Er reiste in die Stadt und ließ Siegmunden zu sich kommen.

      Sein Vortrag war, daß man, weil Amaliens Liebe zu ihm zu sichtbar und unheilbar sei, sich zu einer Herablassung entschlossen habe, die für seinen Vorteil und seine Ehre ungemeine Folgen haben müßte. Man wolle nämlich Amalien den ihr gebührenden Teil der väterlichen Verlassenschaft ausliefern und sie ihm unter der Bedingung zur Ehe geben, daß er zuvor sich adeln ließe und gleich nach der Verheiratung mit ihr in ein kleines entlegenes Landstädtchen begäbe, ohne jemals in der Gegend zu erscheinen, wo die Familie residierte, oder sich überhaupt als einen Teil derselben zu betragen, weswegen ihr auch auf immer untersagt sein sollte, das Familienwappen zu führen. Dieser Antrag war mit einer Menge sehr schöner Gründe verbrämt, warum er für Siegmunden höchst annehmlich sein müßte und die ganz deutlich sagten, daß er durch eine solche Verbindung erst anfangen würde, ein Mensch von einiger Beträchtlichkeit zu werden, und ohne dieselbe ein verächtliches Geschöpf sei.

      Siegmund fing schon in der Mitte dieser Deklamation an zu glühen und ließ ihm nicht Zeit, sie völlig zu endigen,


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