Im grünen Tann. Arthur Achleitner
Brausen und Wirbeln fortgeführten und welken Laubes, das regenschwer tiefer fällt und sich in geschützteren Lagen völlig senkt, um weiter zu modern. Es dunstet der Tann, die vom Riesenpanzer befreite Erde strömt ihren scharfen erquickenden Duft aus, ein Atmen der Natur, eine Vorahnung des weit, weit in Ferne stehenden Wald- und Bergfrühlings. Und immer neue Regenschauer bringt der scharfe Föhn herein in den Hauensteiner Wald, Bäche schwellend, Wiesen überschwemmend. Schon zischen die Wässer die Wege entlang, und selbst das Sträßlein ist von den braunen Wellchen benagt, auf dem gleich schwarzen Gespenstern mehrere Männer in Uniformmänteln nach Herrischried schreiten, fluchend über das schandbare Unwetter und die früh hereingebrochene Nacht. Finster ist's, daß man die Hand vor Augen nicht sieht, und der Fuß sich weitertasten muß auf dem quitschigen Sträßlein. Allmählich wird indes der Regen dünner, er verliert sich zu einem feinen Wasserstaubrieseln und hört endlich ganz auf; nur der Föhn peitscht den Tann und rüttelt an den Dächern und Fensterläden in den Dörfern und Siedelungen.
Es ist die Militärassentkommission, die Rekruten ausheben und zwangsweise einreihen will, nachdem auf alle bisherigen Einberufungen sich kein Hauensteiner gestellt hat. Der Kommission folgt in größerer Entfernung ein Trupp Hartschiere zur Bedeckung für alle Fälle, da den Salpeterern nicht zu trauen ist und selbe wahrscheinlich ganz aus dem Häuschen geraten werden, wenn man ihnen die Söhne wegnimmt. Der Major und Führer der Kommission ist in dieser pechschwarzen Finsternis unsicher geworden über die Gegend, in der man sich befindet. Nach seiner Schätzung muß nun doch wohl bald das Seitenthälchen kommen, in welchem der Hauptort des Hotzenlandes liegt, und wo morgen geamtet werden solle mit Waffengewalt, so letztere notwendig werden sollte. Wo der Führer stecke, fragt der Major stehenbleibend.
„Der Führer vor!“ wird von Mund zu Mund gerufen, doch der Bursche, den man unterwegs gedungen, ist verschwunden. Der Kommandant flucht und wettert: das hat ihnen wahrlich noch gefehlt. Doch was ist das? Drüben auf einer Berghöhe flammt ein mächtiges Feuer auf, grell zum schwarzverhangenen Himmel lodernd. Und bald darauf wieder eins, von Bühl zu Bühl flammt es schaurig in rotem Scheine, und vom Föhn getrieben stieben die Funken auf, weithin den dunklen Tann und die Matten beleuchtend. „Wenn das nur nicht uns gilt!“ meint einer der Herren, der in den Bergfeuern Alarmzeichen vermutet. Auch der Major neigt dieser Anschauung zu und drängt nun zur Eile, auf daß Herrischried sobald als möglich erreicht werde. So wird denn die mühsame Wanderung fortgesetzt durch Nacht und Wind, bis endlich das Thälchen mündet, in das eingebogen wird.
Bis vor die ersten Häuschen stapfen die ermüdeten Herren, ohne die unmittelbare Nähe des Dorfes zu gewahren. Jegliches Licht ist erloschen, schwarz ragen die Mauern und Holzhütten in die gähnende Nacht auf. Endlich findet die Kommission das Wirtshaus zum „Ochsen“, gleichfalls finster, lichtlos. Man klopft den Wirt heraus nach langem Bemühen, und nun beginnt ein Parlamentieren. Der Kommandant fordert Quartier für die Kommission, auch müsse der Bürgermeister geholt und Unterkunft für den Trupp Hartschiere geschaffen werden.
Vom Fenster des oberen Stockwerkes erklärt der „Ochsen“wirt es für unmöglich, die Herren aufzunehmen.
„Tod und Teufel! Warum nicht?“ wettert der Kommandant.
„Hent ihr nit die Flammenziche bemerkt?“
„Was kümmert das uns! Aufgemacht, oder ich lasse Euch die Thür mit
Kolben einschlagen!“
„Ich kann nit, Herr!“ ruft der Wirt und schlägt klirrend das Fenster zu.
Ratlos stehen die Herren. Wenn doch nur die Hartschiere da wären! Ihre Bajonette würden gleich Wandel schaffen. Was huschen denn da um das Dorf so seltsame Gestalten? Bald nahe, bald sich entfernend, wie wenn etwas ausspekuliert werden sollte. Und plötzlich flammt eine Heuhütte auf, grausigen Schein über das Dorf werfend.
„Füür!“ tönen wilde Rufe, Gewehre knattern, in dichten Scharen drängen unheimliche Männer, vermummt, geschwärzt im Gesicht, heran und eine mächtige Stimme gebietet: „Sie sind's! Im Namen der heiligen Jungfrau, nehm' jeder seinen Mann, und fort mit ihnen! Druf!“
Schreiend werfen sich die Salpeterer auf die Kommissionsherren, die wohl mit gezückten Degen sich wehren, aber doch rasch überwältigt, gebunden und fortgeschleppt werden. Und ein anderer Trupp der fanatischen Menge zieht beim Scheine des gierig aufzüngelnden Feuers vor die Häuser der „Halunken“, deren Inwohner vor das Strafgericht fordernd. Bald flammt es wieder auf, ein Halunkenhaus ist in Brand gesteckt worden, jammernd und heulend flüchten die Gepeinigten heraus, die wilde Bande raubt, was zu erwischen ist, johlend und gröhlend. Und jetzt zieht die tolle Schar vor das Biberhaus, des Erzhalunken, der niemals mitgethan und stets auf Seite der „Ruhigen“ gestanden.
„Bibermärte rus!“ heult die Menge, wirst mit Steinen die Fenster ein und stößt mit Dreschflegeln nach der Thür. Schon schlagen einige mit Stein, Messer und Schwamm Funken, um auch diesem Haus den roten Hahn aufs Dach zu setzen; da taucht an einem Fenster des oberen Stockwerkes ein Mädchenkopf auf, grell vom Feuerschein beleuchtet, und scharf ruft Thrinele: „Haltet in, im Namen der heiligen Mutter Gottes!“
Überrascht, verblüfft schauen die Salpeterer empor; einzelne Bühler erkennen in dem mutigen Mädchen die Tochter ihres Vertrauensmannes Peter Gottstein und rufen: „'s isch by Gott s' Thrinele, e Salpetererchind!“ Wie das Maidli vom toten Bühl in das Halunkenhaus kommt, das fährt den Leuten wohl durch den Kopf, aber es ist jetzt keine Zeit zu langen Fragen. Auch lenkt der Ruf eines Wachpostens: „D' Hartschiere chomen!“ die Aufmerksamkeit von Thrinele ab, und aller Augen richten sich zur Thalmündung. Manche Burschen und Bauern zeigen Lust, sich zu drücken; sie wollen es doch lieber nicht auf einen regelrechten Kampf ankommen lassen. Doch da stürmt ein Weib heran, grell beleuchtet von den gierig zum nächtlichen Himmel schlagenden Flammen, die Vroni ist es, die ihren Mann hinter sich herzerrend zur Salpetererschar stößt, um in ihrer fanatischen Begeisterung mitzukämpfen gegen die Unterdrücker und Tyrannen. Mit gellender Stimme ruft das exaltierte Weib: „Druf, druf, schlagt sie tot, die Soldatenknechte! Lengt mer her e Füsi un für'n Sepli au öbbes ze schlage! Druf! Druf!“
Und da sind sie schon, die Hartschiere als Bedeckungsmannschaft der gebunden in den Gassen liegenden Kommission. Der Trupp rückt bei Feuerschein im Laufschritt an, und unheimlich blitzen ihre Bajonette. Einige Salpeterer schießen, doch gehen die Kugeln pfeifend über die Köpfe weg. Nun wird's Ernst, die Hartschiere verstehen keinen Spaß, ein Kommando ertönt: „Feuer!“ Weherufe werden laut, einige Salpeterer stürzen zu Boden, wimmernd und stöhnend, der große Haufen aber stiebt hinweg in rasender Flucht und verschwindet im Dunkel der Nacht. Die Soldaten aber durchsuchen nun die Gassen des Dorfes, binden die Offiziere los und pochen den „Ochsen“wirt heraus, der jetzt bereitwillig sein Haus öffnet und mit seinem rasch zur Stelle geschafften Gesinde die militärischen Gäste bedient. Dem Bürgermeister werden die Verwundeten übergeben und die „ruhigen“ Dörfler müssen Hilfe leisten. Das Dorf wird von Wachen umstellt wie im Kriege und für den Rest der Nacht die Ronde abgehalten.
Scharf geht der Kommandant mit dem „Ochsen“wirt ins Gericht, dem sein feiges Verhalten vorgehalten wird. Demütig sucht dieser sich zu entschuldigen; er habe nicht anders gekonnt, wenn er in Kenntnis von dem beabsichtigten Überfall der Salpeterer sein Hab und Gut schützen wollte. Hätte er die Herren eingelassen, so wäre ihm sicher das Haus überm Kopf angezündet worden. Doch der erboste Kommandeur läßt dies nicht gelten, grimmig belegt er den Wirt mit kriegsgemäßer Kontribution: Verpflegung und Beherbergung von Stab und Mannschaft ohne Entgelt, für die Dauer der Rekrutierung.
Wie der „Ochsen“wirt sich windet, wie er jammert und winselt! Aber es nützt nichts. Auf Befehl muß Wein in Fässern aus dem Keller heraufgeschafft und auf den Dorfplatz getragen werden, wo die Hartschiere biwackieren und vergnügt die süffige Kontribution in Empfang nehmen. Und die Rauchkammer wird ihres Inhaltes entleert, Rauchfleisch und Schinken verschwindet geschwind für immer. Und all das Fluchen nützt dem Wirt gar nichts. Er hat sich bös verrechnet mit seinem Kalkül. Hol' der Satan die Salpeterei!
Im Hause des Bibermärte ist's nach der Flucht der Salpeterer ruhig geworden; die Gefahr ist vorüber. Die Alten fürchten zwar noch, daß sich auch die Soldaten bemerkbar machen werden und bleiben daher auf der „Kunst“