Im grünen Tann. Arthur Achleitner
's Maidli nickt unter Thränen und ist bereit sich zu fügen, zu entsagen. Nur dem Ätti möchte sie noch danken, sich von ihm verabschieden. Aber der alte Biber ist seit einigen Tagen — Thrinele hat das gar nicht bemerkt — von Hause fort und nach Säckingen zu Amt gegangen. Heute wird er zurückerwartet; bis zu seiner Rückkehr solle Thrinele daher im Hause bleiben, und solle es dann zu spät zum Heimgehen auf den Bühl werden, so müsse 's Maidli eben noch eine Nacht bei Bibers verbringen. Und so wartet denn Thrinele, rückt die Kunkel ans Fenster und spinnt fleißig, daß das Rädli summt und surrt. Zartfühlend hat Muetti auf ein Weilchen die Stube verlassen und sich anderwärts zu schaffen gemacht, auf daß das Pärchen Abschied nehmen könne, wer weiß auf wie lange Zeit.
Michel kommt denn auch, noch etwas unsicher gehend, auf das emsig spinnende Maidli zugeschritten, legt liebkosend seine Hand auf Thrineles Köpfchen und flüstert: „Will d'Sunne wirkli von mir goh?“
Seufzend nickt's Maidli, und salziges Wasser füllet die Äuglein.
„Gohst licht von mir?“
Weinend bittet 's Maidli: „Mach' mir 's Herz nit schwer, Michel! Lueg: Wenn im Früehlig 's Schwälmli wieder singt: vielleicht das Glück uns zusamme bringt! Wir müsse warte und uf Gott vertraue!“
Schwere Schritte vor dem Haus unterbrechen das Gespräch der beiden; es ist Ätti, der von Säckingen zurückgekehrt ist und lärmend sich den Schnee von den schweren Schuhen abflößt. Schon im Flur begrüßt ihn Muetti, gleichzeitig fragend, wie es sei zu Amt und was Ätti ausgerichtet habe.
Lachend mahnt der Alte: „Zit lasse, Muetti, sust erstickst am viele
Frage!“
In die Stube eintretend, wird Biber herzlich begrüßt und willkommen geheißen vom Sohn und der Thrinele.
„Potz tausig! Isch der Bueb au wieder uf de Bine! Gottwilche ußerm
Bett!“
Damit hat nun das Reden beim Ätti vorerst ein Ende; er langt nach dem Pfifli, es muß erst ein Weilchen Tubak geraucht werden, dann kann's ans Verzählen gehen. Muetti bringt zur Stärkung ein Gläschen Chriesiwasser, das Ätti bedächtig leert und dann mit der Zunge schnalzt. Dann wird's still in der warmen Stube, und Thrineles Rädchen summt und brummt.
Das Pfifli ist zu Ende geraucht. Jetzt spricht Ätti: „Michel!“
„Was isch, Ätti?“
„Nüt isch!“
„Wie sagsch?“
Schmunzelnd vor innerem Vergnügen erzählt der Vater, daß der Amtmann erklärte, der Michel könne ruhig zu Hause bleiben. Die Geschichte von der Anmeldung des Kranken, seine Bereitwilligkeit nachzudienen, sobald er wieder gesund sei, in Verbindung mit der Salpetererschlacht bei Kuchelbach habe die Regierung veranlaßt, den Michel vom Militärdienst zu befreien. Es würden lediglich Salpetererbuben zwangsweise eingereiht, Halunkensöhne aber wieder losgegeben. Unter anderen werde auch Jobbeli, des Streitpeters Sohn, nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe unters Militär gebracht zum warnenden Beispiel für andere Salpeterer.
Wie Michel aufjubelt! Seine bleichen Wangen röten sich, er zittert vor Freude, drückt dem Ätti die Hand und bittet Thrinele, seine Freude zu teilen und zu bleiben in Vaters Haus.
Herzlich wünscht 's Maidli dem Michel Glück, erhebt sich aber dann, verabschiedet sich dankend für all das Genossene bei Ätti, Muetti und Michel, und hüllt sich in ihr Tuch. „Bhüet Gott mitsamme, bhüet Gott!“ Und fort ist 's Maidli. Michel ist vors Haus getreten; kaum erblickt er noch 's Thrinele, wie es hastig durchs Thälchen eilt, der Straße nach Hottingen zu. Und weit draußen, an der Biegung des Thalsträßleins dreht Thrinele um und winkt zurück, einen Augenblick nur, dann stapft es in abendlicher Dämmerung heim zum toten Bühl.
* * * * *
Von Leuten, die zu Freiburg waren und trotz Schnee und Wintersnot über Todtnau in den Wald heimgekehrt sind, ist die Kunde von Bühl zu Bühl getragen worden, daß das Gericht die erwischten Salpeterer abgeurteilt habe. Den alten Riedmatter wie seinen Sohn habe man ins Arbeitshaus gebracht, wo beide schimpflich das Rad drehen müßten. Andere seien zu öffentlichen Strafarbeiten verurteilt, und diejenigen, die glücklich in die Schweiz gelangten, dann aber nach einiger Zeit über die Grenze gingen, um zu Haus und Hof zurückzukehren, seien am Rhein abgefaßt und in den Amtsgefängnissen eingekerkert worden. Außerdem brachten die Leute die Kunde mit, daß nach der Schneeschmelze eine allgemeine Streife nach Salpeterern vorgenommen, jeder, ob an Kuchelbach beteiligt oder nicht, eingefangen und alle Jungens zum Militär gesteckt werden, die kleinen Kinder aber weggenommen würden. Mit Bangen sahen die eingeschüchterten Salpeterer daher der trüben Zukunft entgegen, und bei manchem stiegen Zweifel auf, ob denn wirklich die „heilige Sache“ recht behalten werde.
* * * * *
Spät am Abend langte Thrinele am Heimatshause auf dem toten Bühl an und fand zu ihrer großen Verwunderung die Thür offen, den Eingang schneeverweht, das Haus menschenleer. Wo Jobbeli steckt, weiß Thrinele aus Bibers Munde; wo aber Ätti weilt, das kann sich das Mädchen nicht denken. Der jungfräuliche Schnee im Hausflur deutet darauf, das seit längerer Zeit das Haus unbetreten geblieben sein muß; es ist nirgends eine Spur, ein Menschentritt wahrnehmbar. Und kalt ist es in allen Stuben, erloschen jegliches Feuer. In der Gaststube liegen wirr verstreut Brotreste, Messer und Gabel, Wäsche durcheinandergeworfen, wie wenn jemand in großer Eile darnach gesucht hätte und verscheucht worden wäre. Sollten Hochschürer das verlassene Haus „heimgesucht“ haben? Mit dem flackernden Kienspahn sucht Thrinele den Keller ab und findet einen abgefüllten Krug neben dem Fasse stehen, der offenbar vergessen worden ist. In den übrigen Stuben fehlt nichts, es liegt und steht alles, wie es Thrinele vor ihrem Abgang zurückgelassen. Nur die Rauchkammer ist eines Teiles vom Inhalte beraubt. Also werden Schinkenfreunde aus Hochschür dagewesen sein, deren Vorliebe für Rauchfleisch und Schweinskeulen landbekannt ist. Thrinele fegt zunächst den Wehschnee aus dem Flur, schließt die Thür ab und macht im Ofen der unteren Stube Feuer an; ebenso sorgt sie für Erwärmung ihrer Schlafstube. Wie das wohlig prasselt! Geschäftig säubert Thrinele die Stuben und fegt sie rein, emsig und unverdrossen. Wo nur Ätti sein mag? Auf einen Rüffel wegen ihrer plötzlichen Flucht zur Pflege des Gestochenen macht sich Thrinele vorweg gefaßt: Ätti wird höchst wahrscheinlich heillos poltern und fluchen. Aber Thrineles Gewissen ist rein, sie hat so handeln müssen, ihr Herz hat sie dazu gedrängt. Dafür will 's Maidli jetzt um so treuer das Haus beschützen und bewahren. Wie Ätti den „Dürren Ast“ nur so leicht verlassen konnte, die Thüre offen, alles preisgegeben dem nächstbesten Stromer?! Das soll jetzt anders werden; ja Thrinele ist fest entschlossen, verdächtige Gäste überhaupt nicht einzulassen. Lieber nichts verdienen! Eben kommt Thrinele zum Nachschüren wieder ins Erdgeschoß, da schreckt ein Klopfen sie auf, es pocht jemand an der Thür. Mit verhaltenem Atem horcht Thrinele.
Eine dumpfe Stimme ruft außen: „Flieh', Peter! Im Namen der heiligen
Maria, bring' dich in Sicherheit! Alles isch verloren!“
Thrinele bebt an allen Gliedern. Was soll die Warnung bedeuten? Der Fremde entfernt sich wieder; deutlich vernimmt das Mädchen die Schritte im knirschenden, steif gefrorenen Schnee. Thrinele eilt die Treppe hinan, reißt im oberen Gelaß ein Fenster auf und beugt sich hinaus, um vielleicht noch sehen zu können, wer der Warner gewesen ist. Im Zwielicht des flimmernden Schnees und des schwachen Blinkens der wenigen Sterne am Himmel kann sie nur noch eine schwarze Gestalt wahrnehmen, die eilig den Bühl hinunterläuft. Eine eilige Warnung, offenbar eines Freundes, der selbst die Häscher fürchtet und sich gar nicht die Zeit genommen hat, auf das Öffnen der Hausthüre zu warten. Dem Ätti droht also Gefahr; Thrinele wird wach bleiben müssen. Wer weiß, ob nicht schon in dieser Nacht die Büttel oder Soldaten kommen werden. „Alles ist verloren!“ hat jener Mann gerufen; das kann doch nur die Salpeterersache angehen, für welche Thrinele sich noch nie hat begeistern können. Sie ist, seit sie die Ruhe und den Frieden bei Bibers, in der Halunkenfamilie, kennen gelernt, jetzt völlig für die Partei der „Ruhigen“, die über kurz oder lang wohl Oberhand im Wald wird gewinnen müssen. Was bei ständigem Streit, bei der Prozeßwut herauskommt, hat Thrinele im Vaterhause zur Genüge kennen gelernt;