Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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der gestern noch ein Knabe war; von Frauen

       sind seine Hände noch zusammgefügt

       zu einem Falten, welches halb schon lügt.

       Denn seine Rechte will schon von der Linken,

       um sich zu wehren oder um zu winken

       und um am Arm allein zu sein.

      Noch gestern war die Stirne wie ein Stein

       im Bach, geründet von den Tagen,

       die nichts bedeuten als ein Wellenschlagen

       und nichts verlangen, als ein Bild zu tragen

       von Himmeln, die der Zufall drüber hängt;

       heut drängt

       auf ihr sich eine Weltgeschichte

       vor einem unerbittlichen Gerichte,

       und sie versinkt in seinem Urteilsspruch.

      Raum wird auf einem neuen Angesichte.

       Es war kein Licht vor diesem Lichte,

       und, wie noch nie, beginnt dein Buch.

      Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,

       an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;

       du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,

       du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,

       du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,

       du dunkles Netz,

       darin sich flüchtend die Gefühle fangen.

      Du hast dich so unendlich groß begonnen

       an jenem Tage, da du uns begannst, –

       und wir sind so gereift in deinen Sonnen,

       so breit geworden und so tief gepflanzt,

       daß du in Menschen, Engeln und Madonnen

       dich ruhend jetzt vollenden kannst.

      Laß deine Hand am Hang der Himmel ruhn

       und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.

      Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,

       und bauen dich, du hohes Mittelschiff.

       Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,

       geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister

       und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

      Wir steigen in die wiegenden Gerüste,

       in unsern Händen hängt der Hammer schwer,

       bis eine Stunde uns die Stirnen küßte,

       die strahlend und als ob sie Alles wüßte

       von dir kommt, wie der Wind vom Meer.

      Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern

       und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.

       Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los:

       Und deine kommenden Konturen dämmern.

      Gott, du bist groß.

      Du bist so groß, daß ich schon nicht mehr bin,

       wenn ich mich nur in deine Nähe stelle.

       Du bist so dunkel; meine kleine Helle

       an deinem Saum hat keinen Sinn.

       Dein Wille geht wie eine Welle

       und jeder Tag ertrinkt darin.

      Nur meine Sehnsucht ragt dir bis ans Kinn

       und steht vor dir wie aller Engel größter:

       ein fremder, bleicher und noch unerlöster,

       und hält dir seine Flügel hin.

      Er will nicht mehr den uferlosen Flug,

       an dem die Monde blaß vorüberschwammen,

       und von den Welten weiß er längst genug.

       Mit seinen Flügeln will er wie mit Flammen

       vor deinem schattigen Gesichte stehn

       und will bei ihrem weißen Scheine sehn,

       ob deine grauen Brauen ihn verdammen.

      So viele Engel suchen dich im Lichte

       und stoßen mit den Stirnen nach den Sternen

       und wollen dich aus jedem Glanze lernen.

       Mir aber ist, sooft ich von dir dichte,

       daß sie mit abgewendetem Gesichte

       von deines Mantels Falten sich entfernen.

      Denn du warst selber nur ein Gast des Golds.

       Nur einer Zeit zuliebe, die dich flehte

       in ihre klaren marmornen Gebete,

       erschienst du wie der König der Komete,

       auf deiner Stirne Strahlenströme stolz.

      Du kehrtest heim, da jene Zeit zerschmolz.

      Ganz dunkel ist dein Mund, von dem ich wehte,

       und deine Hände sind von Ebenholz.

      Das waren Tage Michelangelo’s,

       von denen ich in fremden Büchern las.

       Das war der Mann, der über einem Maß,

       gigantengroß,

       die Unermeßlichkeit vergaß.

      Das war der Mann, der immer wiederkehrt,

       wenn eine Zeit noch einmal ihren Wert,

       da sie sich enden will, zusammenfaßt.

       Da hebt noch einer ihre ganze Last

       und wirft sie in den Abgrund seiner Brust.

      Die vor ihm hatten Leid und Lust;

       er aber fühlt nur noch des Lebens Masse

       und daß er Alles wie ein Ding umfasse, –

       nur Gott bleibt über seinem Willen weit:

       da liebt er ihn mit seinem hohen Hasse

       für diese Unerreichbarkeit.

      Der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht,

       hat schon geblüht.

       Er hätte vielleicht

       sich schon gerne, mit Früchten gefüllt, verfrüht,

       doch er wurde mitten im Blühen müd,

       und er wird keine Früchte haben.

      Nur der Frühling Gottes war dort,

       nur sein Sohn, das Wort,

       vollendete sich.

       Es wendete sich

       alle Kraft zu dem strahlenden Knaben.

       Alle kamen mit Gaben

       zu ihm;

       alle sangen wie Cherubim

       seinen Preis.

      Und er duftete leis

       als Rose der Rosen.

       Er war ein Kreis

       um die Heimatlosen.

       Er ging in Mänteln und Metamorphosen

       durch alle steigenden Stimmen der Zeit.

      Da ward auch die zur Frucht Erweckte,

       die schüchterne und schönerschreckte,

       die heimgesuchte Magd geliebt.

       Die Blühende, die Unentdeckte,

       in der es hundert Wege gibt.

      Da ließen sie sie gehn und schweben

       und treiben mit dem jungen Jahr;

      


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