Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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wie mit einer Hand,

       halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,

       und wirfst du in mein Hirn den Brand,

       so werd ich dich auf meinem Blute tragen.

      Und meine Seele ist ein Weib vor dir.

       Und ist wie der Naëmi Schnur, wie Ruth.

       Sie geht bei Tag um deiner Garben Hauf

       wie eine Magd, die tiefe Dienste tut.

       Aber am Abend steigt sie in die Flut

       und badet sich und kleidet sich sehr gut

       und kommt zu dir, wenn alles um dich ruht,

       und kommt und deckt zu deinen Füßen auf.

      Und fragst du sie um Mitternacht, sie sagt

       mit tiefer Einfalt: Ich bin Ruth, die Magd.

       Spann deine Flügel über deine Magd.

       Du bist der Erbe …

      Und meine Seele schläft dann bis es tagt

       bei deinen Füßen, warm von deinem Blut.

       Und ist ein Weib vor dir. Und ist wie Ruth.

      Du bist der Erbe.

       Söhne sind die Erben,

       denn Väter sterben.

       Söhne stehn und blühn.

       Du bist der Erbe:

      Und du erbst das Grün

       vergangner Gärten und das stille Blau

       zerfallner Himmel.

       Tau aus tausend Tagen,

       die vielen Sommer, die die Sonnen sagen,

       und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen

       wie viele Briefe einer jungen Frau.

       Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder

       in der Erinnerung von Dichtern liegen,

       und alle Winter, wie verwaiste Länder,

       scheinen sich leise an dich anzuschmiegen.

       Du erbst Venedig und Kasan und Rom,

       Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom,

       die Troïtzka Lawra und das Monastir,

       das unter Kiews Gärten ein Gewirr

       von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, –

       Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, –

       und Klang wird dein sein: Geigen, Hörner, Zungen,

       und jedes Lied, das tief genug erklungen,

       wird an dir glänzen wie ein Edelstein.

      Für dich nur schließen sich die Dichter ein

       und sammeln Bilder, rauschende und reiche,

       und gehn hinaus und reifen durch Vergleiche

       und sind ihr ganzes Leben so allein …

       Und Maler malen ihre Bilder nur,

       damit du unvergänglich die Natur,

       die du vergänglich schufst, zurückempfängst:

       alles wird ewig. Sieh, das Weib ist längst

       in der Madonna Lisa reif wie Wein;

       es müßte nie ein Weib mehr sein,

       denn Neues bringt kein neues Weib hinzu.

       Die, welche bilden, sind wie du.

       Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein,

       sei ewig. Und das heißt: sei dein!

      Und auch, die lieben, sammeln für dich ein:

       Sie sind die Dichter einer kurzen Stunde,

       sie küssen einem ausdruckslosen Munde

       ein Lächeln auf, als formten sie ihn schöner,

       und bringen Lust und sind die Angewöhner

       zu Schmerzen, welche erst erwachsen machen.

       Sie bringen Leiden mit in ihrem Lachen,

       Sehnsüchte, welche schlafen, und erwachen,

       um aufzuweinen in der fremden Brust.

       Sie häufen Rätselhaftes an und sterben,

       wie Tiere sterben, ohne zu begreifen, –

       aber sie werden vielleicht Enkel haben,

       in denen ihre grünen Leben reifen;

       durch diese wirst du jene Liebe erben,

       die sie sich blind und wie im Schlafe gaben.

      So fließt der Dinge Überfluß dir zu.

       Und wie die obern Becken von Fontänen

       beständig überströmen, wie von Strähnen

       gelösten Haares, in die tiefste Schale, so

       fällt die Fülle dir in deine Tale,

       wenn Dinge und Gedanken übergehn.

      Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,

       der in das Leben aus der Zelle sieht

       und der, den Menschen ferner als den Dingen,

       nicht wagt zu wägen, was geschieht.

       Doch willst du mich vor deinem Angesicht,

       aus dem sich dunkel deine Augen heben,

       dann halte es für meine Hoffahrt nicht,

       wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben.

       Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,

       Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,

       verkleidet schon als Kinder, eingemummt,

       als Masken mündig, als Gesicht – verstummt.

      Ich denke oft: Schatzhäuser müssen sein,

       wo alle diese vielen Leben liegen

       wie Panzer oder Sänften oder Wiegen,

       in welche nie ein Wirklicher gestiegen,

       und wie Gewänder, welche ganz allein

       nicht stehen können und sich sinkend schmiegen

       an starke Wände aus gewölbtem Stein.

      Und wenn ich abends immer weiterginge

       aus meinem Garten, drin ich müde bin, –

       ich weiß: dann führen alle Wege hin

       zum Arsenal der ungelebten Dinge.

       Dort ist kein Baum, als legte sich das Land,

       und wie um ein Gefängnis hängt die Wand

       ganz fensterlos in siebenfachem Ringe.

       Und ihre Tore mit den Eisenspangen,

       die denen wehren, welche hin verlangen,

       und ihre Gitter sind von Menschenhand.

      Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt

       wie aus dem Kerker, der ihn haßt und hält, es

       ist ein großes Wunder in der Welt:

       ich fühle: alles Leben wird gelebt.

      Wer lebt es denn? Sind das die Dinge, die

       wie eine ungespielte Melodie

       im Abend wie in einer Harfe stehn?

       Sind das die Winde, die von Wassern wehn,

       sind das die Zweige, die sich Zeichen geben,

       sind das die Blumen, die die Düfte weben,

       sind das die langen alternden Alleen?

       Sind das die warmen Tiere, welche gehn,

      


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