Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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wie Skelette,

       wie ein Kalender, dessen Jahr verrann, –

       und doch: wenn deine Erde Nöte hätte:

       sie reihte sie an eine Rosenkette

       und trüge sie wie einen Talisman.

      Denn sie sind reiner als die reinen Steine

       und wie das blinde Tier, das erst beginnt,

       und voller Einfalt und unendlich Deine

       und wollen nichts und brauchen nur das Eine:

      so arm sein dürfen, wie sie wirklich sind.

      Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen …

      Du bist der Arme, du der Mittellose,

       du bist der Stein, der keine Stätte hat,

       du bist der fortgeworfene Leprose,

       der mit der Klapper umgeht vor der Stadt.

      Denn dein ist nichts, so wenig wie des Windes,

       und deine Blöße kaum bedeckt der Ruhm;

       das Alltagskleidchen eines Waisenkindes

       ist herrlicher und wie ein Eigentum.

      Du bist so arm wie eines Keimes Kraft

       in einem Mädchen, das es gern verbürge

       und sich die Lenden preßt, daß sie erwürge

       das erste Atmen ihrer Schwangerschaft.

      Und du bist arm: so wie der Frühlingsregen,

       der selig auf der Städte Dächer fällt,

       und wie ein Wunsch, wenn Sträflinge ihn hegen

       in einer Zelle, ewig ohne Welt.

       Und wie die Kranken, die sich anders legen

       und glücklich sind; wie Blumen in Geleisen

       so traurig arm im irren Wind der Reisen;

       und wie die Hand, in die man weint, so arm …

      Und was sind Vögel gegen dich, die frieren,

       was ist ein Hund, der tagelang nicht fraß,

       und was ist gegen dich das Sichverlieren,

       das stille lange Traurigsein von Tieren,

       die man als Eingefangene vergaß?

      Und alle Armen in den Nachtasylen,

       was sind sie gegen dich und deine Not?

       Sie sind nur kleine Steine, keine Mühlen,

       aber sie mahlen doch ein wenig Brot.

      Du aber bist der tiefste Mittellose,

       der Bettler mit verborgenem Gesicht;

       du bist der Armut große Rose,

       die ewige Metamorphose

       des Goldes in das Sonnenlicht.

      Du bist der leise Heimatlose,

       der nichtmehr einging in die Welt:

       zu groß und schwer zu jeglichem Bedarfe.

       Du heulst im Sturm. Du bist wie eine Harfe,

       an welcher jeder Spielende zerschellt.

      Du, der du weißt, und dessen weites Wissen

       aus Armut ist und Armutsüberfluß:

       Mach, daß die Armen nichtmehr fortgeschmissen

       und eingetreten werden in Verdruß.

       Die andern Menschen sind wie ausgerissen;

       sie aber stehn wie eine Blumen-Art

       aus Wurzeln auf und duften wie Melissen

       und ihre Blätter sind gezackt und zart.

      Betrachte sie und sieh, was ihnen gliche:

       sie rühren sich wie in den Wind gestellt

       und ruhen aus wie etwas, was man hält.

       In ihren Augen ist das feierliche

       Verdunkeltwerden lichter Wiesenstriche,

       auf die ein rascher Sommerregen fällt.

      Sie sind so still; fast gleichen sie den Dingen.

       Und wenn man sich sie in die Stube lädt,

       sind sie wie Freunde, die sich wiederbringen,

       und gehn verloren unter dem Geringen

       und dunkeln wie ein ruhiges Gerät.

      Sie sind wie Wächter bei verhängten Schätzen,

       die sie bewahren, aber selbst nicht sahn, –

       getragen von den Tiefen wie ein Kahn,

       und wie das Leinen auf den Bleicheplätzen

       so ausgebreitet und so aufgetan.

      Und sieh, wie ihrer Füße Leben geht:

       wie das der Tiere, hundertfach verschlungen

       mit jedem Wege; voll Erinnerungen

       an Stein und Schnee und an die leichten, jungen

       gekühlten Wiesen, über die es weht.

      Sie haben Leid von jenem großen Leide,

       aus dem der Mensch zu kleinem Kummer fiel;

       des Grases Balsam und der Steine Schneide

       ist ihnen Schicksal, – und sie lieben beide

       und gehen wie auf deiner Augen Weide

       und so wie Hände gehn im Saitenspiel.

      Und ihre Hände sind wie die von Frauen,

       und irgendeiner Mutterschaft gemäß;

       so heiter wie die Vögel wenn sie bauen, –

       im Fassen warm und ruhig im Vertrauen,

       und anzufühlen wie ein Trinkgefäß.

      Ihr Mund ist wie der Mund an einer Büste,

       der nie erklang und atmete und küßte

       und doch aus einem Leben das verging

       das alles, weise eingeformt, empfing

       und sich nun wölbt, als ob er alles wüßte –

       und doch nur Gleichnis ist und Stein und Ding …

      Und ihre Stimme kommt von ferneher

       und ist vor Sonnenaufgang aufgebrochen,

       und war in großen Wäldern, geht seit Wochen,

       und hat im Schlaf mit Daniel gesprochen

       und hat das Meer gesehn, und sagt vom Meer.

      Und wenn sie schlafen, sind sie wie an alles

       zurückgegeben was sie leise leiht,

       und weit verteilt wie Brot in Hungersnöten

       an Mitternächte und an Morgenröten,

       und sind wie Regen voll des Niederfalles

       in eines Dunkels junge Fruchtbarkeit.

      Dann bleibt nicht eine Narbe ihres Namens

       auf ihrem Leib zurück, der keimbereit

       sich bettet wie der Samen jenes Samens,

       aus dem du stammen wirst von Ewigkeit.

      Und sieh: ihr Leib ist wie ein Bräutigam

       und fließt im Liegen hin gleich einem Bache,

       und lebt so schön wie eine schöne Sache,

       so leidenschaftlich und so wundersam.

       In seiner Schlankheit sammelt sich das Schwache,

       das Bange, das aus vielen Frauen kam;

       doch sein Geschlecht ist


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