Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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und wartet schlafend in dem Tal der Scham.

      Denn sieh: sie werden leben und sich mehren

       und nicht bezwungen werden von der Zeit,

       und werden wachsen wie des Waldes Beeren

       den Boden bergend unter Süßigkeit.

      Denn selig sind, die niemals sich entfernten

       und still im Regen standen ohne Dach;

       zu ihnen werden kommen alle Ernten,

       und ihre Frucht wird voll sein tausendfach.

      Sie werden dauern über jedes Ende

       und über Reiche, deren Sinn verrinnt,

       und werden sich wie ausgeruhte Hände

       erheben, wenn die Hände aller Stände

       und aller Völker müde sind.

      Nur nimm sie wieder aus der Städte Schuld,

       wo ihnen alles Zorn ist und verworren

       und wo sie in den Tagen aus Tumult

       verdorren mit verwundeter Geduld.

      Hat denn für sie die Erde keinen Raum?

       Wen sucht der Wind? Wer trinkt des Baches Helle?

       Ist in der Teiche tiefem Ufertraum

       kein Spiegelbild mehr frei für Tür und Schwelle?

       Sie brauchen ja nur eine kleine Stelle,

       auf der sie alles haben wie ein Baum.

      Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein.

       Drin wandelt sich das Ewige zur Speise,

       und wenn der Abend kommt, so kehrt es leise

       zu sich zurück in einem weiten Kreise

       und geht voll Nachklang langsam in sich ein.

      Des Armen Haus ist wie ein Altarschrein.

      Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand.

       Sie nimmt nicht, was Erwachsene verlangen;

       nur einen Käfer mit verzierten Zangen,

       den runden Stein, der durch den Bach gegangen,

       den Sand, der rann, und Muscheln, welche klangen;

       sie ist wie eine Waage aufgehangen

       und sagt das allerleiseste Empfangen

       langschwankend an mit ihrer Schalen Stand.

      Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand.

      Und wie die Erde ist des Armen Haus:

       Der Splitter eines künftigen Kristalles,

       bald licht, bald dunkel in der Flucht des Falles;

       arm wie die warme Armut eines Stalles, –

       und doch sind Abende: da ist sie alles,

       und alle Sterne gehen von ihr aus.

      Die Städte aber wollen nur das Ihre

       und reißen alles mit in ihren Lauf.

       Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere

       und brauchen viele Völker brennend auf.

      Und ihre Menschen dienen in Kulturen

       und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,

       und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren

       und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,

       und fühlen sich und funkeln wie die Huren

       und lärmen lauter mit Metall und Glas.

      Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,

       sie können gar nicht mehr sie selber sein;

       das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte

       und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein

       und ausgeholt und warten, daß der Wein

       und alles Gift der Tier-und Menschensäfte

       sie reize zu vergänglichem Geschäfte.

      Und deine Armen leiden unter diesen

       und sind von allem, was sie schauen, schwer

       und glühen frierend wie in Fieberkrisen

       und gehn, aus jeder Wohnung ausgewiesen,

       wie fremde Tote in der Nacht umher;

       und sind beladen mit dem ganzen Schmutze,

       und wie in Sonne Faulendes bespien, –

       von jedem Zufall, von der Dirnen Putze,

       von Wagen und Laternen angeschrien.

      Und gibt es einen Mund zu ihrem Schutze,

       so mach ihn mündig und bewege ihn.

      O wo ist der, der aus Besitz und Zeit

       zu seiner großen Armut so erstarkte,

       daß er die Kleider abtat auf dem Markte

       und bar einherging vor des Bischofs Kleid.

       Der Innigste und Liebendste von allen,

       der kam und lebte wie ein junges Jahr;

       der braune Bruder deiner Nachtigallen,

       in dem ein Wundern und ein Wohlgefallen

       und ein Entzücken an der Erde war.

      Denn er war keiner von den immer Müdern,

       die freudeloser werden nach und nach,

       mit kleinen Blumen wie mit kleinen Brüdern

       ging er den Wiesenrand entlang und sprach.

       Und sprach von sich und wie er sich verwende

       so daß es allem eine Freude sei;

       und seines hellen Herzens war kein Ende,

       und kein Geringes ging daran vorbei.

      Er kam aus Licht zu immer tieferm Lichte,

       und seine Zelle stand in Heiterkeit.

       Das Lächeln wuchs auf seinem Angesichte

       und hatte seine Kindheit und Geschichte

       und wurde reif wie eine Mädchenzeit.

      Und wenn er sang, so kehrte selbst das Gestern

       und das Vergessene zurück und kam;

       und eine Stille wurde in den Nestern,

       und nur die Herzen schrieen in den Schwestern,

       die er berührte wie ein Bräutigam.

      Dann aber lösten seines Liedes Pollen

       sich leise los aus seinem roten Mund

       und trieben träumend zu den Liebevollen

       und fielen in die offenen Corollen

       und sanken langsam auf den Blütengrund.

      Und sie empfingen ihn, den Makellosen,

       in ihrem Leib, der ihre Seele war.

       Und ihre Augen schlossen sich wie Rosen,

       und voller Liebesnächte war ihr Haar.

      Und ihn empfing das Große und Geringe.

       Zu vielen Tieren kamen Cherubim

       zu sagen, daß ihr Weibchen Früchte bringe, –

       und waren wunderschöne Schmetterlinge:

       denn ihn erkannten alle Dinge

       und hatten Fruchtbarkeit aus ihm.

      Und als er starb, so leicht wie ohne Namen,

       da war er ausgeteilt: sein Samen rann

       in Bächen, in den Bäumen sang sein Samen

      


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