Seewölfe - Piraten der Weltmeere 58. John Curtis

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 58 - John  Curtis


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Stationen.

      Die „Isabella“ schwang herum. Haßerfüllt starrte Ray Bow ihr nach, wie sie in der Dunkelheit verschwand. Schon in diesem Augenblick spürte er die erbarmungslose Kälte, die nach ihm griff, an seinem Körper emporkroch und ihn zu lähmen drohte.

      Ben Brighton kannte sich an der Küste Cornwalls bestens aus. Er hatte die Führung der „Isabella“ übernommen, während Hasard sich in seine Kammer zurückgezogen hatte. Ihn beschäftigte die Bemerkung des Hageren, daß man zwei englische Kriegsschiffe auf sie gehetzt hätte.

      Der Seewolf befand sich in diesem Moment in einem schweren Konflikt. Einerseits konnte er sich nicht erklären, wieso Keymis oder Burton oder beide schon vor Tagen Schiffe auf sie gehetzt haben sollten. Wer gab ihnen dazu denn die Vollmachten? Besonders Burton, der sich doch auch in höfischen Kreisen bestimmt keines guten Rufes erfreute. Anderseits mußte Hasard aber auch an die Schlappe denken, die sie dem Lordkanzler, dem Lordadmiral und dem Schatzkanzler an der Themse zugefügt hatten. Vielleicht wehte von daher der Wind.

      Der Seewolf ging in seiner Kammer hin und her.

      Wenn die Drohung dieses Verbrechers stimmte, konnte er es dann überhaupt noch riskieren, zur Wembury Bay zu segeln und von dort aus zu Gwen und den Kindern zu fahren? Anderseits aber mußte er es tun, denn Gwen war in Gefahr. Er wollte und konnte die englischen Gewässer nicht verlassen, ohne für Gwen alles getan zu haben, was in seinen Kräften stand.

      Der Seewolf warf einen Blick auf die Karte, die vor ihm auf dem schweren Mahagonitisch ausgebreitet lag.

      Es war nicht weit. Die Wembury Bay bot hervorragende Verstecke für das Schiff. Außerdem – wer würde schon damit rechnen, daß die „Isabella“ dorthin segelte?

      Hasard entschloß sich rasch. Er verließ seine Kammer und stieg an Deck.

      „Ben“, sagte er zu seinem ersten Offizier. „es bleibt dabei. Wir segeln zur Wembury Bay in das Versteck, das du kennst. Aber für heute nacht erhöhte Wachsamkeit für alle. Ich durchschaue den schlimmen Plan, den sich Keymis und Burton wieder ausgeheckt haben. Sie wollen, daß ich englischen Schiffen in englischen Gewässern ein Gefecht liefere und die ‚Isabella‘ schließlich zusammengeschossen oder aufgebracht wird. Geschieht das, kann uns keine Macht der Erde mehr vor dem Galgen bewahren.“

      Ben Brighton nickte düster. Auch er hatte schon über diese Möglichkeit nachgedacht.

      „Du solltest Gwen und die Kinder an Bord holen und mitnehmen“, sagte er nach einer Weile. „Hier, bei uns, sind sie am sichersten. Du kannst ihnen dann irgendwo eine Bleibe verschaffen, wo du sie regelmäßig besuchst.“

      „Ich habe mit Gwen auch über diese Möglichkeit gesprochen. Aber sie lehnt das ab. Und ich verstehe auch, warum. Sie will, daß aus den Kindern etwas wird, daß sie unter normalen Verhältnissen aufwachsen. Außerdem, Ben“, er sah seinen ersten Offizier an, „dir brauche ich doch wohl über das monatelange Leben an Bord eines Schiffes wie der ‚Isabella‘ nichts zu sagen. Sie ist ein herrliches Schiff. Aber Hasard und Philip, meine beiden Söhne, sind noch Säuglinge. Denk an die Stürme, in die wir geraten werden, denk an die Kämpfe, an die Breitseiten, denen auch wir bestimmt nicht immer entgehen werden. Und denk daran, daß, wenn wir von der Krone zu Gesetzlosen, zu Piraten erklärt werden sollten, daß dann auch Gwen und die beiden Kinder darunter fallen würden, sofern sie sich bei uns an Bord befinden, weil sie sich damit ebenfalls gegen die Krone stellen!“

      Der Seewolf atmete schwer. Plötzlich legte er Ben Brighton die Rechte auf die Schulter.

      „Du zermarterst dir den Kopf nach einem Ausweg, Ben. Genau wie ich. Du hast genauso scharf erkannt, in welch eine üble Situation uns diese beiden Schurken hineinmanövriert haben. Der Plan war teuflisch, er hat nur bis jetzt noch nicht ganz so geklappt, wie diese beiden sauberen Herren sich das vorgestellt haben. Ich werde mit Gwen nochmals sprechen, ich werde ihr noch einmal vorschlagen, mit uns zu segeln. Aber zwingen werde ich sie nicht. Das könnte und das wollte ich nicht, weil ich sie und die Kinder liebe.“

      Ben Brighton nickte. Ihm war völlig klar, in was für einem Dilemma der Seewolf steckte.

      Die nächsten Stunden schwiegen die beiden Männer auf dem Achterkastell. Auf dem ganzen Schiff herrschte äußere Wachsamkeit.

      Zwei Stunden vor Mitternacht warf die „Isabella“ ihren Anker in einer kleinen Bucht unweit von Newton Ferrers. Die Männer bargen die Segel, alle Lichter auf dem Schiff wurden gelöscht. Felsen schirmten die Galeone gegen Sicht von See her ab.

      Eine Stunde später hatten sich Hasard und Dan Pferde besorgt. An einer Weggabelung zügelte der Seewolf sein Pferd.

      „Dan, sieh zu, daß du Doktor Freemont erwischst. Dann reitest du mit ihm sofort nach Bere Ferrers. Ich warte dort bei Gwen auf euch. Aber, Dan“, er sah das zum Mann herangewachsene einstige Bürschchen an, „keine Eigenmächtigkeiten, keine Händel, gleich welcher Art, solange du nicht direkt bedroht bist. Es hängt diesmal alles davon ab, daß wir nicht entdeckt werden!“

      „Ich weiß“, erwiderte Dan. Die Züge des Jüngsten der „Isabella“-Crew wirkten ungewöhnlich ernst. „Ich werde aufpassen, du kannst dich auf mich verlassen.“

      Damit wendete er sein Pferd und galoppierte davon. Niemand hätte diese beiden Reiter als Seeleute erkannt, denn der Seewolf hatte dafür gesorgt, daß sie unauffällige Kleidung trugen.

      Trotzdem nahmen die Dinge eine dramatische Wendung.

      In der zweiten Nachthälfte entdeckte der Ausguck einer von der französischen Küste nach England segelnden Schaluppe den halberfrorenen Ray Bow durch puren Zufall auf seinem Floß.

      Die Männer stürzten an Deck und die Schaluppe drehte bei. Erst nach mehreren Anläufen gelang es der Besatzung, den nahezu Bewußtlosen an Bord zu ziehen.

      Sie versorgten ihn, so gut es ging. Vor allem mit einer tüchtigen Portion Rum und trockenen Kleidern. Anschließend setzte die Schaluppe ihren Weg fort.

      Das war genau zu der Zeit, in der sich die „Isabella“ unter ständigem Loten und bei Dunkelheit in die Wembury Bay und später auch in den engen Wasserarm der Bucht hineinmogelte, hinter dessen zweiter Biegung jene Stelle lag, die Ben Brighton als Versteck außerkoren hatte.

      Ray Bow besaß eine äußerst kräftige Konstitution. Um jedoch unbequemen Fragen zu entgehen, deren Beantwortung ihm verdammt schwergefallen wäre, stellte er sich während der ganzen Fahrt auch weiterhin halbtot, obwohl er sich ziemlich rasch erholte.

      Die Schaluppe machte eine Stunde vor Mitternacht in der Wembury Bay unweit des kleinen Ortes Wembury fest. Und dort verschwand Ray Bow von Bord, ohne daß einer der Seeleute etwas davon bemerkte. Erst viel später, am nächsten Morgen, entdeckten die Männer, daß mit dem Geretteten auch ihre Geldschatulle verschwunden war.

      Ray Bow, der sich in dieser Gegend hervorragend auskannte, lief, so schnell ihn seine Beine trugen, nach Knighton, einem Ort, der nur aus ein paar Häusern bestand, in dem aber jemand wohnte, dem er vertrauen konnte. Nur nahm er nicht den kürzesten Weg, sondern er schlug einen Bogen an der Bay entlang, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. In Knighton würde er ein Pferd kriegen können, denn er wollte so rasch wie möglich nach Plymouth, wo er seinen Bruder wußte.

      Als er hinter einem Felsenvorsprung hervortrat, blieb er verblüfft stehen. Im schwachen Licht der Sterne erkannte er unten in der Bucht die Umrisse eines Seglers.

      Er sah genauer hin, denn es war äußerst ungewöhnlich, daß Schiffe dieser Größe sich soweit in den Wasserarm hineinwagten. Dazu mußte man sich schon verflixt gut auskennen.

      Und dann hielt er plötzlich vor Schreck die Luft an. Er erkannte das Schiff, dessen Formen so ungewöhnlich waren, daß es kein zweites von dieser Art geben konnte.

      „Die ‚Isabella‘!“ stieß er verblüfft hervor. „Diese verfluchten Bastarde haben uns alle getäuscht. Sie verstecken sich hier, während man sie irgendwo draußen auf See sucht!“

      Ray Bow knirschte vor Wut mit den Zähnen. Er überlegte fieberhaft. Nein, ein Täuschungsmanöver allein war das


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