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Training wie spätere Forschungsreisende (Fridtjof Nansen, Alfred Wegener, Heinrich Harrer) hat Humboldt nicht gekannt. Kam es darauf an, so holte er die notwendige Kraft ohne Weiteres aus sich heraus und wurde ähnlich wie später Sven Hedin mit allen Strapazen fertig; er hätte ebenso wie der große Schwede von sich sagen können, er habe sich nie überanstrengt. Noch 1829 ist dem 60-jährigen Humboldt in Russland und Sibirien körperliche Gewandtheit bescheinigt worden (siehe: Alexander von Humboldts Reise durchs Baltikum, nach Rußland und Sibirien 1829, 6. Aufl. 2009, S. 162). Seine erstaunliche Tropenfestigkeit erlaubte ihm volle Messprogramme, Pflanzenbestimmungen, Zeichnungen und Tagebucheintragungen in oft zeitlich dichter Folge. Andererseits bin ich mit vielen einig, dass er eine Glückshaut trug: Eine Chimborazo-Besteigung im Alltagsanzug mit Straßenstiefeln, ohne kundigen Führer und ohne jede Bergausrüstung ist nur einmal einem Humboldt gelungen, der, von einem kaum in Worte zu kleidenden geistigen Schwung beflügelt, nur wissenschaftliche Forschung im Sinne seines Leitmotivs betreiben wollte. Es ging ihm zunächst nur um Messungen in großer Höhe – und doch erlag auch er der »geheimen Ziehkraft« des 6310 m hohen Tropenbergs. Als der Nebel zerriss, erblickte er den Dom des Gipfels. Er sagte zwar nicht mit Johann Joachim Winckelmann »edle Einfalt und stille Größe«, sondern stellte in Übereinstimmung mit ihm fest: »Es war ein ernster und großartiger Anblick.« Und: »Am 25. Junius erschien uns in Riobamba Nuevo der Chimborazo in seiner ganzen Pracht, ich möchte sagen in der stillen Größe und Hoheit, die der Naturcharakter der tropischen Landschaft ist.«

      Als erster Geograph hat Humboldt das Problem der Schwarz- und Weißwasserflüsse erkannt, wie wir noch im Text sehen werden. Der gebildete deutsche Facharzt und bekannte Sportler Dr. Max Stern wurde 1938 von Hitler zur Emigration gezwungen. Er hat von 1939 bis 1945 als Land- und Wanderarzt das Forschungsgebiet Humboldts in Venezuela intensiv bereist und ab 1942 27-mal den Casiquiare befahren. 1943 bis 1945 begleitete er die Ingenieur-Mission des Colonels der US-Armee, H. G. Gerdes, und konnte dabei weitere Einsichten gewinnen.

      Vor den grundlegenden Beobachtungen internationaler Gelehrter (unter ihnen Harald Sioli) hat er bei der Lösung des Problems der Schwarz- und Weißwasserflüsse, der – wie er richtig meinte – mit Pflanzensaft eingetieften Felszeichnungen und der Casiquiare-Entstehung sehr Erhebliches geleistet. Dr. Stern hat mich vor seinem Tod um Wahrung seiner Interessen gebeten. Daher ist die erstmalige Publikation seiner vor Ort gezeichneten Landschaftsskizzen eine Verpflichtung, der sich Verlag und Autor nicht entziehen wollen. Gerade der skizzenartige Charakter dieser schwierig zu reproduzierenden Bilder gewährt einen wahren Einblick in tropische Landschaft.

      Natürlich war Humboldt oft vom Kenntnisstand seiner Informanten abhängig. So hat er keine der Guano-Inseln betreten, die damals noch bis 50 m hoch von den Exkrementen der Vögel überzogen waren! Das anschaulichste ökologische Bilderbuch zur Lehre von »Zusammenhängen« konnte er nicht aufblättern. Er sah auch das Herzland der Inka-Kultur zwischen Cuzco und dem Titicacasee nicht, und der vorzügliche Landes- und Humboldt-Kenner Prof. Georg Petersen hatte wohl recht, als er mir gegenüber den mangelnden Informationswillen einheimischer Gelehrter der Humboldt-Zeit bedauerte. Andererseits konnte Humboldt kaum mehr bewältigen, als er tatsächlich erreichte. Er wusste von Cuzco und hat auch das Guano-Problem richtig gesehen.

      Der Leser sollte sich darüber im Klaren sein, dass die gesamte Wiederholung der Humboldtschen Route in Amerika heute gar nicht mehr möglich ist. Einige Wegstrecken sind von Bergstürzen verschüttet worden. Prof. Georg Petersen hat für den Nachvollzug der Route allein in Peru viele Jahre benötigt, und doch waren die inneren Schwierigkeiten schließlich zu groß; es blieben Lücken. Loren Alexander McIntyre hat die Route vor wenigen Jahren weitgehend nachvollzogen; eine vollständige Abdeckung erschien ihm unmöglich.

      Um den vollen reisegeschichtlichen Dreiklang abzurunden, wird am Schluss dieses Buches die Auswertung der Reise kurz umrissen.

      Nun kann auch der Leser geistig die maßgebende Forschungsreise der Neuzeit antreten. Doch sei er herzlich eingeladen, sich zunächst mit Humboldt vorzubereiten. Er benötigt dazu nicht sechs Jahre, sondern nur einige Stunden der Lektüre. Mit Hilfe dieser besonderen und allgemeinen Präparation wird er die Reise viel besser verstehen. Deren Ausführung und Auswertung runden dann den harmonischen reisegeschichtlichen Dreiklang ab, dem in der Historie der Entdeckungs- und Forschungsreisen leider auch viele Missklänge und Unmenschlichkeiten vorangegangen und gefolgt sind. Die humanitäre Größe dieser Reise, die selbst Goethe verehrte und der alte Kant noch verfolgte, ließ manche späteren Gräuel umso schmerzlicher werden.

      Diesem einführenden Text wurden Sätze aus Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften vorangestellt. Welcher Leser wäre nicht neugierig, jetzt den Zusammenhang des Textes zu kennen? Denn Zitate können verfälschen, und tatsächlich könnte hier ein solches Beispiel vorliegen, wenn man weiterliest:

      »Ein Naturalienkabinett kann uns vorkommen wie eine ägyptische Grabstätte, wo die verschiedenen Tier- und Pflanzengötzen balsamiert umherstehen. Einer Priesterkaste geziemt es wohl, sich damit in geheimnisvollem Halbdunkel abzugeben; aber in den allgemeinen Unterricht sollte dergleichen nicht einfließen, um so weniger, als etwas Näheres und Würdigeres sich dadurch leicht verdrängt sieht.

      Ein Lehrer, der das Gefühl an einer einzigen guten Tat, an einem einzigen guten Gedicht erwecken kann, leistet mehr als einer, der uns ganze Reihen untergeordneter Naturbildungen der Gestalt und dem Namen nach überliefert; denn das ganze Resultat davon ist, was wir ohnedies wissen können, dass das Menschengebild am vorzüglichsten und einzigsten das Gleichnis der Gottheit an sich trägt.

      Dem Einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht; aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch!«

      Wir scheinen tatsächlich vor einer großen Schwierigkeit zu stehen. Galt die Physikalische Geographie, die »physique du monde«, als Leitwissenschaft Humboldts nicht allein der Natur?

      Humboldt hat den Wert der Reiseliteratur wie wenige gekannt und z. B. immer wieder auf die bezaubernden Berichte seines »Lehrers und Freundes« Georg Forster hingewiesen. Waren diese Schilderungen noch Bücher über den Menschen, so zog Humboldt erstmals die Natur selbst breiter und zugleich wissenschaftlich begründet in die geographische Perspektive, ohne indessen den Menschen, seine Wirtschaft, seinen Wohlstand, seine Not, seine Sklaverei, seine Unterdrückung und seine Befreiung zu übersehen. Wenn Herder, Johann Reinhold Forster und Kant von »Physischer« oder »Physikalischer Geographie« sprachen, so fehlte in ihrer »Naturgeographie« (wörtliche Übersetzung von Physikalische Geographie) der Mensch ebenso wenig wie bei ihrem geistigen Schüler Alexander v. Humboldt. Das von Goethe zitierte Wort Alexander Popes findet sich auch beim älteren Forster und war allen hier Genannten wesentlich. Natur und Mensch waren damals noch nicht getrennt wie im Weltbild der meisten heute führenden jüngeren Geographen.

      Bonn und Eschwege, im Dezember 2008 Prof. Dr. Hanno Beck

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      Anmerkung: Die historische Orthographie und Zahlenschreibweise der Humboldt-Zitate wurde bewusst so belassen, um den Charakter der Originaltexte nicht zu verändern. Eine Ausnahme bilden die Textstellen, die vom Autor aus dem Französischen übersetzt werden mussten.

      Eine Tabelle der von A. v. Humboldt gebrauchten Maße findet sich auf S. 318, Anmerkung 28. – Hilfreich bei der Lektüre ist allgemein die »Karte der Jahreszeiten-Klimate der Erde« von Carl Troll und Karlheinz Paffen. In: Erdkunde (Bonn) 18. 1964, S. 5–28 (Erläuterungstext); die Karte findet sich auch im Atlas »Unsere Welt« (Velhagen & Klasing u. Hermann Schroedel), Berlin 1970, S. 128. – Im vorliegendem Werk werden die Zitate aus der überholten Übertragung Hermann Hauffs (siehe oben S.11) vergleichsweise mit denselben Passagen der Darmstädter Ausgabe (= DA) A. v. Humboldt zusammengestellt. So wird der Leser auf deren einzige vollständige deutsche Übersetzung des eigentlichen Reisetextes hingewiesen.

       »Ich hatte mir bei der Reise, deren Beschreibung ich nun folgen lasse, ein doppeltes Ziel gesetzt. Ich wollte die besuchten Länder kennenlernen, und ich wollte Tatsachen zur Erweiterung einer Wissenschaft sammeln, die noch kaum skizziert ist und ziemlich unbestimmt Physik der Erde, Theorie


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