Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
Papa…«, wollte Stefan widersprechen, doch sein Vater ließ ihm keine Gelegenheit dazu. Er kontrollierte das Fieberthermometer.
»38,8«, meinte er, dann nickte er. »Das ist gut, denn es ist ein Zeichen, daß sich dein Körper gegen die Erkrankung wehrt.«
Argwöhnisch sah Stefan seinen Vater an. »Soll das heißen, du gibst mir kein fiebersenkendes Medikament?«
»Richtig, mein Sohn.« Dr. Daniel stand auf, trat an den Schrank und holte einen Schlafanzug heraus. »Hier, Stefan, den ziehst du an, und dann legst du dich schön ins Bett. Gegen deine Halsschmerzen mache ich dir gleich einen Quarkwickel. Der wird dir sehr guttun.«
Völlig fassungslos starrte Stefan seinen Vater an. »Wie bitte? Meine Güte, Papa, du bist doch ein moderner Arzt! Du wirst mich doch nicht mit Hausmittelchen kurieren wollen!« Er schüttelte den Kopf. »Mit einer angemessenen Dosis Antibiotika wäre ich morgen wieder auf den Beinen.«
»Kommt gar nicht in Frage, Stefan«, wehrte Dr. Daniel entschieden ab. »Bei vielen Ärzten hat sich diese Unart eingeschlichen, jeden kleinsten Infekt mit Antibiotika zu behandeln. Du hast eine ganz normale Erkältung, da wirst du es nicht erleben, daß du von mir auch nur eine einzige Tablette bekommst – ein Antibiotikum schon gar nicht. Also, mein Junge, ich bringe dir jetzt einen Quarkwickel für deinen Hals, und anschließend trinkst du eine Tasse Spitzwegerichtee. Der wird deinen Husten lockern. Und nur wenn deine Kopfschmerzen unerträglich werden, kannst du ein Paracetamol-Zäpfchen bekommen.«
»Sie sind bereits unerträglich!« begehrte Stefan auf. »Mein ganzer Zustand ist unerträglich! Ich habe Fieber und Halsschmerzen, aber du…« Er stockte, als sein Vater sich einfach umdrehte und zum Fenster trat, um die Rolläden zu schließen.
»Was machst du denn da?« fragte er verblüfft.
»Die Dunkelheit wird deinen Augen und auch deinem Kopf guttun«, meinte Dr. Daniel. »Deine Kopfschmerzen werden bald besser werden.« Dann ging er zur Tür. »Ich bin gleich wieder zurück.«
Unter der Bettdecke ballte Stefan die Fäuste.
»Na warte, Schwesterherz«, knurrte er. »Für das, was du mir da eingebrockt hast, wirst du büßen.«
Quarkwickel. Spitzwegerichtee. Stefan schüttelte den Kopf. Das war doch wirklich nicht zu fassen! Im Zeitalter des Antibiotikums kam sein Vater plötzlich mit antiquierten Hausmitteln daher! Und dabei wäre doch alles so einach.
Ein paar Tabletten, und ich wäre gesund, dachte Stefan. Wozu studiere ich Medizin, wenn ich mich dann mit Hausmitteln herumschlagen muß?
Doch er wußte, daß es keinen Zweck hatte, seinen Vater noch mal darauf anzusprechen. Wenn Dr. Daniel eine Entscheidung gefällt hatte, dann war das meistens endgültig.
Aber ich wette, er hat das passende Medikament im Haus, überlegte Stefan weiter. Und noch heute nacht werde ich mich selbst bedienen.
*
Die ganze Woche über hatte Rainer Bergmann vergeblich versucht, eine Wohnung zu finden, und allmählich wurde er nervös. Ankes Entlassung stand unmittelbar bevor. Dr. Sommer hatte gesagt, daß sie am Montag die Klinik verlassen könnte. Und schließlich konnte Rainer seine Frau mit dem Neugeborenen nicht in den Goldenen Löwen bringen.
In seiner Not suchte er schließlich Dr. Daniel auf.
»Es tut mir leid, daß ich Sie an einem Samstagnachmittag stören muß«, entschuldigte er sich. »Aber ich weiß mir keinen Rat mehr.«
»Sie wissen doch, daß ich mich um jedes Problem kümmere, soweit es in meiner Macht steht«, erklärte Dr. Daniel. »Kommen Sie erst mal herein, Rainer, und dann sprechen wir über alles.«
Dr. Daniel ging ihm voran ins Wohnzimmer und bot ihm Platz an, dann entschuldigte er sich für einen Augenblick.
»Ich muß meinem Sohn rasch eine Tasse Tee nach oben bringen. Er hat sich eine leichte Erkältung eingefangen«, fügte er erklärend hinzu. »Ich bin aber gleich wieder zurück, und dann habe ich Zeit für Sie, Rainer.«
Es dauerte wirklich nur ein paar Minuten, bis Dr. Daniel das Wohnzimmer betrat und sich seinem Gast gegenübersetzte.
»Als erstes muß ich Sie um Verzeihung bitten«, begann Rainer ein wenig verlegen. »Ich habe Sie der Lüge bezichtigt, dabei…«
Abwehrend hob Dr. Daniel eine Hand. »Das war völlig natürlich, Rainer. Wer würde seinen Vater nicht gegen eine solche Behauptung in Schutz nehmen wollen.« Er zögerte. »Inzwischen wissen Sie aber wohl, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«
Rainer nickte. Die Haltung seines Vaters und vor allem seine verschrobenen Ansichten schockierten ihn noch immer.
»Ich habe dann auch die Konsequenzen gezogen und bin noch am selben Abend ausgezogen«, erklärte er. »Im Augenblick wohne ich im ›Goldenen Löwen‹, aber auf Dauer ist das kein Zustand – vor allem nicht, wenn Anke und Claudia aus der Klinik entlassen werden.«
Nachdenklich rieb sich Dr. Daniel das Kinn. »Sie können Ihre Frau und Ihr Kind unmöglich im ›Löwen‹ einquartieren. Was die Entlassung aus der Klinik betrifft, so könnte ich da vielleicht etwas arrangieren. Dr. Sommer und ich sind seit langem befreundet. Wenn ich ihn bitten würde, Ihre Frau noch ein paar Tage in der Klinik zu behalten, dann würde er das sicher tun, und Sie hätten damit ein wenig Zeit gewonnen.«
Rainer nickte etwas halbherzig. Er sehnte sich so sehr nach Anke und Claudia, und die Aussicht, sie noch länger in München lassen zu müssen, war für ihn nicht gerade verlockend.
Dr. Daniel spürte, was in ihm vorging.
»Ich weiß schon, die beste Lösung ist das nicht«, gab er zu.
»Aber wohl die einzige, die es im Augenblick für mich gibt«, meinte Rainer niedergeschlagen. Er seufzte. »Natürlich hätte ich mich auch in der Kreisstadt oder in München nach einer Wohnung umschauen können, aber noch weiß ich nicht, wie es mit der CHEMCO weitergehen wird.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, Rainer? Haben Sie Ihrem Vater etwa die Firma vor die Füße geschmissen, wenn ich das so bildhaft ausdrücken darf?«
Rainer mußte lächeln. »Ganz so ist es nicht, Herr Dr. Daniel. Aber ich habe meinen Vater vor die Wahl gestellt. Entweder er übergibt mir die Firma wirklich und zwar mit allem, was dazugehört, oder er kann sich einen Geschäftsführer suchen. Es geht nicht länger an, daß mein Vater in der Lage ist, mir die Konten zu sperren, wenn ich die Firma so leite, wie ich es für richtig halte, und er damit nicht einverstanden ist. Ich bin erwachsen und habe meinen Beruf von der Pike auf gelernt. Ich weiß also, was ich tue, und mein Vater soll das endlich akzeptieren oder ganz auf mich verzichten.«
Dr. Daniel nickte. »Ich verstehe Ihren Standpunkt, und ich finde ihn auch vollkommen in Ordnung. Für Ihren Vater wird es allerdings eine schwierige Entscheidung sein. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, daß er die endgültige Kontrolle nur ungern aus der Hand gibt.«
»Es wird ihm wohl nichts anderes übrigbleiben«, meinte Rainer. »Allerdings ist die CHEMCO im Augenblick noch mein geringstes Problem. Ich brauche für Anke, Claudia und mich eine passable Unterkunft, denn in die Bergmann-Villa werde ich nicht zurückkehren.«
Das verstand Dr. Daniel nur zu gut. Nach allem, was sich Martin Bergmann geleistet hatte, war ein weiteres Zusammenleben von Vater und Sohn einfach nicht möglich.
»Ich würde Ihnen natürlich gern helfen, Rainer, aber…« In diesem Moment fiel bei Dr. Daniel der sprichwörtliche Groschen. »Augenblick mal, da fällt mir etwas ein. Kennen Sie Frau Deichmann? Anna Deichmann?«
Rainer überlegte kurz, dann nickte er. »Das ist doch die ältere Dame, die so lange allein in einem kleinen Häuschen außerhalb Steinhausens gelebt hat.«
»Richtig«, stimmte Dr. Daniel zu. »Nach dem Tod ihres Mannes war sie sehr einsam, aber seit fast einem Jahr lebt sie nun bei der Familie Burgner. Sie hat damals ein bißchen ausgeholfen, als sich Richard Burgner gerade selbständig gemacht hatte