Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
Er wandte sich murmelnd und stapfte zur Pritsche in die Ecke; er sank darauf und lag im Schlafe.
Eine Weile war's totenstille im raucherfüllten Gemache. Dann aber begann der Strolch auf der Pritsche rasselnd zu schnarchen, und Portner hob das Haupt und seufzte tief.
›Ja, was hilft dir die Lethe, wenn du alles vergißt? – Du armer Tropf.‹
Er stand auf und reckte sich.
›Ist mir nicht zu Mute, als wäre alles versunken? Bin ich nicht zum erstenmal wieder glücklich?
›Glücklich? Was soll's, was ist Glück? Was nennen die Menschen Glück?
›Stinkende Ruhe!
›Und was ist mir dieses Glück?
›Thor, betrüge dich nicht! Wer will denn nicht das Glück der Ruhe? Jeder. Das Wild im Walde, der Vogel in der Luft.
›Dann wäre es falsch, zu sagen – Glück? Dann müßt' es heißen – Friede? So wäre Glück – Friede?‹
Er starrte mit großen Augen in die Ferne und murmelte: ›Friede, Portner, wäre das Glück? Friede?
›Ich lechze nach dem Glück, ja, ich lechze. Und es wäre ein schlechter Trost, sich belügen und sagen: Was ist mir das Glück?
›Eine Hand voll Schwarzbeeren ist geringer als ein Glas feurigen Weins. Leben!
›Was ist denn Leben?
›In dem Augenblicke, wo einer von allen die Frage gelöst hat, liegt das Leben hinter dem ganzen Menschengeschlechte wie ein Traum.
›Leben! Nur Hohlköpfe und Schurken gehen leicht durch die Welt. Die andern –? Ach, was sollte ihnen helfen? Der Verstand? Der bläst ihnen täglich den Staub ins Angesicht, aus dem sie geboren sind. Die Ehrlichkeit? Herrgott, Ehrlichkeit ist doch keine Kindsmagd, die da sagt und singt eiapopaia und schläfert uns ein! Der – Glaube? Ja – der Glaube könnte wohl –
›Wer verbietet mir, in alle Sternenfernen zu schweifen, die Gedanken zu jagen durch das unendliche All? Wer kann's verbieten? Niemand. Aber dann kehre ich zurück und habe größeren Hunger als zuvor und werde daran erinnert, daß ich – des – Brotes bedarf –
›Er will der Natur ins Herz dringen und will das Murmeln der tiefsten Quellen belauschen – Thor! Will auf den Urgrund aller Dinge kommen und verirrt sich in Klüften. Kann nicht einmal ungestraft in die Sonne schauen; wo er sehend werden wollte, wird er blind –
›O, daß ich mich flüchten könnte aus dem furchtbaren Denken! Denken heißt leiden, forschen heißt sich verzehren. Erkennen heißt verzweifeln.
›Bin ich dazu geboren, daß ich mir die Augen trübe weine über all dem Elende? Nicht mitzuweinen, mitzuhandeln bin ich da!‹
Hansjörg Portner trat mit schwankenden Schritten an das Lager des Landstreichers.
›Du jammerst mich – da – die Decke – warte, ich will dich dreinhüllen, wie dich einst deine Mutter zudeckte. Da, lege dein Haupt – auf diesen Mantel – träume, deine Mutter habe dich wieder einmal gebettet!
›Was ist der Unterschied zwischen mir und dir? Vielleicht nur Vater und Mutter. – Freilich viel, sehr viel. Ja, wenn ich's recht bedenke, alles.
›Und doch so ganz das gleiche: Gekommen, ohne daß wir's wollten – Portner, du wankst, du bist voll Weines!
›Portner, kämst du freiwillig wieder? Ja, denn ich will sehen, wohin es treibt.
›Von Hunger zu Hunger getrieben, von Durst zu Durst, und sinkend von Schlaf zu Schlaf, das bist du. Geschoben und gestoßen, wohin du niemals wolltest, und doch nur dahin, wo dich die unbekannte Macht von Anfang haben wollte – das bist du.
›Nein, Portner, das ist Lüge. Der Weg war frei zur Rechten und zur Linken, und da bist du zur Rechten gegangen.
›Zur Rechten, Portner? Wirklich zur Rechten? Portner, ducke dich vor deinen Gedanken! Deine Emigration ist ein Staats- und Ehrenkleid, du müßtest erst hinein wachsen. Um des – Glaubens willen?‹
Der Strolch wälzte sich stöhnend auf die Seite und lag wieder stille.
›Du da, du jammerst mich. Vielleicht, weil ich in dir sehe, was aus mir werden könnte. Könnte? Könnte! Auch ich trage den Stoff zu allem Argen zwischen Erde und Hölle in mir. – Ich – elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes?‹
Portner wandte sich und rief in den leeren Raum: ›War das ich – oder wer war's?‹
Ein Schauer durchschüttelte ihn. Es war totenstill.
›Salze doch das Fleisch ein, daß es nicht stinkend werde! Und hege das heilige Denken, daß du nicht – verwesest bei lebendigem Leibe!
›Jawohl, uns frißt der Gedanke täglich an der Leber, bis wir in Schlaf sinken, und mit schwimmenden Augen schauen wir wieder in die aufsteigende Sonne, und sie bringt uns ja doch nur wieder den fressenden Adler.
›Qualverzerrter, möchtest du tauschen – mit dem Ackerer da drunten – der so grau ist wie seine Scholle?
›Du hast ja doch einst das Feuer vom Himmel geraubt. Laß dir genügen!
›Genügen –?‹
*
Vor der Thüre standen zwei, lauschten und flüsterten.
»Wie lange hat er getrunken?«
»Drei gute Stunden, Herr Sekretär.«
»Und wie hast du ihn dazu gebracht?«
»Ei, ganz unverdächtig durch den andern. Der hat's ihm vorgesagt, und hat nit lang gedauert, dann ist er mit dem Geld herausgerückt, Herr Sekretär.«
»Und er hat gehörig getrunken?«
»Drei Maß, Herr, und das Tränkel hab' ich auch heimlich hineingeschüttet.«
»Ich glaub's wohl,« flüsterte Kriemhofen; »er schwätzt wie eine Elster, der Fant. Kannst du hören, was er sagt?«
»Wenn der andre nit so schnarchen wollte, Herr.«
»Hast du das Schreibzeug?«
»Ja, Herr!«
»Dann vorwärts!« befahl Kriemhofen und winkte dem Einspännig, der im Hintergrunde stand. Das Schloß kreischte, und die drei betraten die düstere Stube.
Zurück nach Hause.
In der Abenddämmerung des nächsten Tages wurde der Gefangene entlassen aus seiner Haft.
Wie ein Schwerkranker wankte er durch das Thor hinaus auf die durchweichte Heerstraße, das Thal entlang, am Flusse hin – der Heimat zu.
Die Nacht kam – eine blinkende Mondnacht.
Stille war's, nur zuweilen bellte ein Hund in weiter Ferne. Und wenn der verstörte Mensch ein wenig stehen blieb, dann war's ihm, als brauste ein Strom im Thale. Aber es war nur das heiße Blut, das in seinen Ohren brauste.
›Ihrer auf ewig zu entsagen!‹ Er lachte hell auf und schwankte weiter. ›Ja, warum denn?‹ murmelte er und blieb stehen. ›Warum denn?‹ Es brauste in seinen Ohren. ›Weil's da geschrieben ist, schwarz auf weiß,‹ murmelte er und schlug auf die Brusttasche des Wamses.
Dann blieb er wieder stehen und sagte trotzig: ›Weiter leben? Ja, warum denn?‹ Und mit ganz lauter Stimme gab er sich die Antwort: ›Ich weiß es wirklich nicht!‹
Wer hatte das gesagt?
Er blickte scheu hinter sich – es war niemand vorhanden, niemand. Er selbst war's gewesen – er.
›Und