Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
atmete tief auf – »und, Gott sei gelobt, zuletzt immer und auf allen Wegen in die ewige Ruhe.«
»Du bist nun wohl gesättigt?« fragte Portner.
»Weil ich von der ewigen Ruhe spreche? Könnte das nicht auch sehr über alle Maßen gottlos sein? Doch, Herr, es macht sich manch einer schlechter als er ist – die meisten allerdings machen sich besser, als sie sind – was ist Euch lieber?«
»Und mancher probiert erst, wie der andre beschaffen ist, stimmt seine Geige hoch und tief und je nach dem –«
»– heult er mit den Wölfen oder singt mit den Engeln,« vollendete der andre mit seinem leisen Lachen. »Das ist richtig, Herr. Und wie weit käme wohl ein Stelzfuß auf der Heerstraße ohne diese Kunst?«
»Wo hast du das Bein verloren?« fragte Portner.
»Es ist zugleich mit einer Königskrone und mit einem Kurhut auf die böhmische Erde gefallen, Herr. Die Königskrone und den Kurhut haben sie wieder aufgehoben, aber das Bein, das haben sie eilend verscharrt auf dem weißen Berge, und dort liegt der Knochen. Und wenn mir recht ist, kann der Winterkönig seine Krone und seinen Hut leichter entbehren als ich mein Bein. An solches Bein gewöhnt sich der Mensch, dürft's glauben. Des Morgens vor der Schlacht schnitt ich nur noch liebreich den Nagel an der großen Zehe fein sauber und rundlich, freute mich über das kräftige Bein; des Mittags drauf war der Nagel weg samt dem Beine. Das Nagelschneiden hätt' ich mir ersparen können. Darum ist's ganz richtig, vor der Schlacht soll man sich einmal die Nägel nicht beschneiden. Und, weiß Gott, was ich jetzt sein könnte, wenn ich das Bein noch hätte! Obristwachtmeister oder gar Obrist Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht. Und hätt' einen großen Beutel voll Dukaten und könnte fragen: Was kostet denn das halbe Dutzend Landsassengüter in der oberen Pfalz – oder geht's im Dutzend wohlfeiler?«
Hansjörg Portner sah finster vor sich hin.
»Wär' eigentlich gar keine üble Zeit, diese Räuberzeit,« fuhr der Strolch fort und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Aber was hat ein Strolch davon? – Alle sind Räuber,« flüsterte er; »der Kaiser zieht den Bauern das Fell über die Ohren, daß das Blut zum Himmel dampft, die Fürsten schlagen einander die Hüte vom Kopfe, daß die Federn fliegen, und die Pfaffen drücken einander aus den Kirchen, daß die Teufel Purzelbäume schlagen; Könige werden landflüchtige Bettler, und Soldaten leimen sich Grafschaften und Herzogtümer zusammen wie der Hafner den Kachelofen und der Biber die Wasserburg. Wie lang? Bis einer kommt, der stärker ist als alle und jedem den Raub abjagt. Und er wird kommen, Herr, könnt Euch darauf verlassen. Er kommt, ehe sich's einer versieht, wie ein Blitz vom Himmel und wie ein Dieb in der Nacht. – Aber trocken ist's mir in der Kehle, Herr. Euch nicht? Ei, hätt' ich einen Gulden in der Tasche, dann ließe ich Wein kommen. Wein her! Habt Ihr Sorgen? Sicherlich! Warum trinkt Ihr keinen Wein? Habt Ihr's noch nie verspürt, wie der Wein die Sorgen bricht? Hast dich getragen mit bitteren Sorgen – tagelang, hast dich wund gedacht mit schweren Gedanken – wochenlang, es liegt dir wie Blei im Magen, dein Kopf ist heiß, die Gurgel heraus drückt's dich, eng ist's, alles ist eng, alles, alles eng – Wein her!«
Die schwarzen Augen funkelten, er beugte sich weit über den Tisch herein und schnalzte leise mit der Zunge:
»Wein her! Wein her! Und einen Becher voll hinunter in die enge Gurgel und noch einen! Spürst du das Feuer in der Tiefe? Spürst du die Geister, wie sie steigen und steigen? Spürst du den Ringkampf in deinem Schädel? Heisa, lustig, wie sie sich drängen und wie sie raufen, die Weingeister mit den Sorgengeistern! Und sie gewinnen den Sieg, und sie fahren in alle Winkel und fegen in allen Winkeln, und alles Enge wird weit wie ein Tanzsaal, und sie tanzen und haschen sich und gucken aus den Fenstern und rufen lustige Gedanken herein. Heisa, Bruder, es sollen leben die lustigen Gedanken und die lustigen Geister, und das Vergessen lebe, das Vergessen! – Lethe, Herr, Lethe! Was ist denn Lethe? Wein ist's – was denn sonst? – Und Ihr sitzet da und habt sicher einen Gulden in der Tasche und könnt Euch alle lustigen Geister und alle lustigen Gedanken und könnt Euch Lethe kaufen –, und thut's nicht?«
»Narro!« klang es in Portners Ohre, und zweifelnd sah er auf den seltsamen Strolch. Nein, der hatte es nicht gesagt, der saß mit festgeschlossenen Lippen. Und »Narro, Narro!« klang es ihm abermals im Ohre. Doch seine Hand griff heimlich an ein hartes, rundes Ding im Futter seines Wamses.
»Du bist Student gewesen!« fuhr er auf.
Der Strolch lehnte sich zurück auf seinem Stuhle und zwinkerte mit den Augenlidern und trommelte leise auf dem Tische; aber seine Lippen blieben fest geschlossen.
»Lethe!« murmelte Portner und riß am mürben Futter.
Da war's ihm plötzlich, als spräche eine klare Stimme aus weiter Ferne:
»Hansjörg!«
Er ließ die Hand aufs Knie sinken, aber da rollte schon das große Geldstück mit hartem Klingklang unter den Tisch auf die Dielen. Behende bückte sich der Strolch und warf den Thaler auf die Platte. »Hab' ich's nicht gesagt? Kauft Euch die lustigen Geister und kauft Euch Lethe!«
Und Hansjörg hörte wieder dieselbe klare Stimme, aber noch weiter entfernt, und dazwischen hinein: »Narro, Narro!«
*
Vom Turme des heiligen Martin erklangen zwölf Schläge in die stille, finstere Nacht, und hinter den feierlichen Schlägen liefen die zwölf andern, geschwinden Schläge von des Wächters Hand.
Die Malefikantenstube des Rathauses war erfüllt von dickem Tabaksrauche, und trübe brannte das Talglicht. Vor seinem vollen Kruge saß Portner, blies dann und wann eine Wolke aus der Thonpfeife und stierte vor sich hin.
»Ei, so trinkt doch, trinkt – es ist Euch vergönnt!« sagte der Stelzfuß lachend mit schwerer Zunge. »So können die Weingeister nicht aufsteigen und können nicht tanzen und können nicht Herr werden über die Sorgengeister. – Sorgengeister und Weingeister friedlich beisammen in einem Schädel – ich danke! – Trinkt doch! Ist ja nicht der Rede wert, was Ihr getrunken habt – kaum drei Maß! – Junker, so trinket doch!«
Portner schwieg und rauchte und stierte vor sich hin.
Da lehnte sich der Strolch zurück und begann mit rauher Stimme zu singen:
Ich wollt', es bräche jeder Quell
Blutrot aus Goldgestein,
Ich wollt', es ginge jeder Strom
Bis an den Rand voll Wein.
Ich wollt', es drehte Rad an Rad
Sich in der stolzen Flut
Und gösse weithin auf das Land
In Bächen all die Glut.
Ich aber läg' im kleinen Kahn
Und hätte meine Ruh,
Tränk' fort und fort aus hohler Hand
Und triebe immerzu.
Und käm' ich dann im Abendschein
Wohl an die weite See,
So spräch' ich nur mit Lallen noch:
Ei, schau den roten Klee!
Und ließ' mich schaukeln hin und her
Und hätte gute Ruh
Und schlürfte aus der hohlen Hand
Und triebe immer zu.
Und wär' ich endlich toll und voll
Auf hoher, hoher See,
Dann stieg' ich leise über Bord
Und sänke in den Klee.
Und läg' als in der Mutter Schoß
Vor langer, langer Zeit,
So friedlich wie ein kleine Kind,
Und schlief' in Ewigkeit.
O bräche doch ein jeder Quell
Blutrot aus Goldgestein,
O ginge doch ein jeder Strom
Bis an