Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
Und nach wie vor wird im Frühling der Wein blühen und im Herbste die Traube reifen, wird im Winter die Erde schlafen und im Lenz mit schamhaftem Lächeln den grünen Teppich breiten über ihre ewige Verwesung. Ich aber werde mich ruhig verhalten nach außen, und also wird es mir vergönnt sein, ruhig zu wohnen in meiner Studierstube wie auf einem Eilande, von Zeit zu Zeit über den Rand eines Buches meiner Wahl hinauszublicken auf den lächerlich kleinen Ausschnitt meiner nächsten Umgebung, Vaterland genannt, und mich zu freuen an der alten, immer neu zu entdeckenden Wahrheit – daß alles im Grunde so ist, wie es gewesen und wie es sein wird in alle Zeitlichkeit, Amen. – Weil ich aber den Geruch massenhaft versammelter Menschen verabscheue, gedenke ich den anmarschierenden Soldaten auszuweichen. Ausweichen ist ja doch des Lebens allerfeinster Weisheitsschluß. Weib und Kind habe ich nicht, Bücher sind kaum in Gefahr, wenn solche Feinde kommen. Also werde ich Geld in meinen Beutel tun und weit hinein in die Wälder marschieren.
Ich werde tun, was einst Charon wollte, ich werde von Bergeshöhe herab mit Lachen rufen auf Freund und Feind: Ihr Toren, was bemüht ihr euch also? Laßt ab, ihr werdet nicht ewiglich leben. Nichts von dem, was euch erhaben dünkt, ist von ewiger Dauer.
Meine Bedürfnisse sind gering, mühelos vermag ich sie zu stillen bei meinen Freunden, den Köhlern. Es gibt noch manche Flechte, die in meiner Sammlung fehlt. Ich fürchte zwar nicht, daß Flechten und Moose sich verändern werden in den heraufziehenden Zeiten der Republik. Aber augenblicklich habe ich Sehnsucht nach denen des Kaisertums deutscher Nation. Ergo eamus!«
Und er legte sich in Kleidern auf sein Bett und schlief noch zwei Stunden. Dann stand er auf, hing seine Tasche und seine Blechtrommel um, nahm Hut und Knotenstock und schloß seine beiden Zimmer ab.
Zufriedenen Herzens pilgerte er durch die stillen Gassen hinunter ans Bachtor. Der hochgräfliche Soldat kam verschlafen aus der Wachstube, kam und machte die Hand hohl, dienerte und öffnete das Pförtlein.
»Botanisieren, Herr Konrektor?«
»Botanisieren, mi care asine,« kam die Antwort von der Holzbrücke her.
4. Les citoyens
Tag war's, ein wundervoller, taufrischer Sommertag. Von fernher auf der Straße schien eine langgestreckte Staubwolke zu wandern. Sie wanderte, wie sie gestern gewandert war und ehegestern und manche Tage her, hügelauf, hügelab. Zwischen Stoppelfeldern und Wiesen, über Heideland und im Schatten der Bäume.
In dieser Wolke dröhnten Schritte, klirrten Waffen, rasselten und ächzten Wagen, klapperten Hufe. Und Menschen und Tiere waren gebannt in die Wolke, die mit ihnen zu wandern schien und sich doch unter jeder Stiefelsohle und jedem Huftritt immer wieder von neuem erhob.
Weit hinten, gegen Westen zu, hinter dem großen Walde, liegt das erste Dorf der Grafschaft im breiten, sonnigen Tale. Aber das Dorf ist öd und verlassen. Und hoch darüber am Saume des Waldes, unsichtbar von unten, sitzen und stehen Flüchtlinge und spähen hernieder auf die wandernde Wolke im Tale.
Ihr dummen Bauern, wißt ihr denn nicht, daß die da drunten die Freiheit bringen? Du steinalter Mann dort an der Eiche, hörst du denn nicht? – die Freiheit, die Erlösung aus der Knechtschaft, die Rettung aus der bösen Dreiheit Zehent, Gült und Fron!
Er hat's gar wohl gehört, seit Wochen schon, aber er preßt die schmalen Lippen aufeinander und schüttelt das kahle Haupt. Weit über Menschengedenken zieht die Straße durchs Tal, und er weiß es und hat's erzählen hören von den Alten seiner eigenen Jugend: Diese Straße sind schon viele gelaufen, geritten, gefahren – aber die Freiheit hat noch keiner gebracht. Warum sollte sie just heute kommen, am 12. August des Jahres nach Christi Geburt 1796?
Dumme Bauern – da habt ihr's nun. Die große Wolke wandert weiter; sie kann ja nicht verweilen, sie muß die Freiheit bringen. Aber dort mitten im Dorfe hat sie eine kleine, schwarzgraue Wolke zurückgelassen. Guck scharf hinunter, du Steinalter, steht sie nicht gerade über deinem Hof und wächst sie nicht von Minute zu Minute und ragt sie nicht jetzt wie eine Säule in die unbewegte, in die flimmernde Luft?
Du Tor von einem Bauern, warum bist du mit deinen Kindern und Kindeskindern in die Wälder entwichen? Wärest du drunten geblieben, hättest du der großen Wolke entgegengeschaut, hättest du vor deine Haustüre getragen, was Keller und Rauchfang vermochten – dann hätten hundert braune Hände aus der großen Wolke gegriffen, und auf schwankenden Bajonetten schwebten jetzt Schinken und Würste – aber die dunkelgraue Rauchsäule, an deren Fuße die Flammen emporlodern, die stünde nicht über deiner Hütte.
Sie warten noch immer hoch droben im Wald und spähen angstvoll zwischen dem Unterholz hernieder, und die Weiber beginnen zu weinen; denn die Ernte ist unter Dach. Abseits an einer Fichte aber stehen die Jungfrauen, alle auf einem Häuflein, eng aneinander gedrängt. Auch sie starren hinunter auf den brennenden Hof, und keine von ihnen sagt ein Wort. Nur zuweilen schaut eine hinüber zu den Alten, scheu, als wären die Alten nur ihretwegen geflohen, als wären die Jungfern allein schuld an dem Jammer.
Ihr Bauern, was braucht ihr euch zu verstecken? Da sind doch die Städter gescheiter. Die wissen auch, daß die Wolke herankommt, die große, aus der die Schritte dröhnen, die Waffen klirren, die Gewehrläufe funkeln. Und sie können's gar nicht erwarten, bis sie aus den Wäldern herausquillt und links vom Grafenschlosse sich herabsenkt ins Tal.
»Auf, ihr Bürger!« So ruft der lange Koram mitten auf dem Markte und schwenkt seine rote Mütze. Und sie ziehen hinaus durchs Bergtor, Männer, Weiber, Buben, Mägdlein, und ihrer viele tragen frisch gewundene Kränze.
Auf der halben Höhe des Schloßberges meint freilich einer, die Weiber und die Kinder die sollten nicht dabei sein, man höre doch allerlei. Der Koram lacht ihn aus. Aber andere sind auch bedenklich geworden – man hört doch allerlei! Zuletzt rufen etliche halt, und der ganze Haufen steht im Staub der Straße. Und einer ruft aus dem Staube, man kennt ihn an der Stimme, der Seiler Christoph ist's: »Die Weibsbilder und die Kinder sollen machen, daß sie heimkommen!«
Es erhebt sich zwar ein Geschrei, in dem die hohen Töne vorherrschen. Alle möchten sie gerne dabei sein. Aber die Mannsleute bleiben auf ihrem Willen, und also wandern etwelche Kränze in andere Hände, eine kleine Wolke löst sich ab und kriecht zurück ins Tal. –
Jetzt waren die Weiberleute fort, jetzt ging's noch einmal so geschwind den Schloßberg hinan. Als die Schar an der aufgezogenen Brücke vorbeikam, trat manch einer zum Schloßgraben und blickte hinunter auf die Felsen des natürlichen Bergeinschnittes und hinüber auf das geschlossene Tor und die kurzen, dicken Flankentürme mit den grauschwarzen Buckelquadern. Doch weiter ging's, weiter hinein in den Wald. Da lag der Staub nicht mehr so dick wie draußen.
Allen voran lief Koram. Seinen Sonntagsrock hatte er angezogen, den grünen mit den langen Flügeln, und seine hageren Arme pendelten.
Durch den Wald ging's hinaus auf die mächtig große baumleere Fläche, wo sich der Hutwasen dehnte zur Rechten und Linken. – Und nun –! Koram blieb stehen und zog die rote Mütze ab. Drüben, weit drüben leuchtete es auf zwischen den hohen Fichtenstämmen, ein Lied in fremden Lauten klang herüber. Und jetzt wälzte es sich, in Staub gehüllt, heran.
Schneider Koram zitterte am ganzen Leibe. Und mit heiserer Stimme rief er: »Bürger, halt! Da bleiben wir, stellen uns zur Rechten und Linken und lassen die Straße frei. Und wenn sie kommen, dann schreit jeder, so laut er kann, vivat!«
Und so standen die Bürger. Ihre roten Mützen leuchteten. In schöner Klarheit standen sie, Alte und Junge, Grade und Krumme, und der Schneider lief zwischen den beiden Reihen hinauf und hinunter, seine Rockflügel flatterten, seine Stimme krähte. Die große Wolke aber kam näher und näher. Niemand konnte in ihre Tiefe blicken, nur das wilde Singen tönte herüber.
»Wie eine Wetterwolke!« sagte der alte Hutmacher Weinlein zu seinem Nachbarn, dem Strumpfwirker, und machte ein bedenkliches Gesicht.
»Wie damals, wo der Kaiser durchgefahren ist, so müßt ihr stehen und