Der Bergpfarrer Paket 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
wollte, den Diebstahl bemerkt hatte. Gottlob sei es seinem Bruder und ihm gelungen, die Diebe zu überführen und die Mutter Gottes in den Schoß der Kirche zurückzuführen.
»Jetzt ist die Madonna allerdings durch eine Alarmanlage gesichert«, erklärte Sebastian. »Wenn man sie auch nur einen Millimeter bewegt, wird der Alarm ausgelöst.«
Sie setzten ihren Rundgang fort und nahmen anschließend auf einer der Bänke Platz.
»Und wie gefällt Ihnen unser Dorf?« erkundigte sich Sebastian. »Wie sind S’ eigentlich drauf gekommen, hierher zu fahren?«
Ulli Vogler holte tief Luft.
»Ich wollt’ unbedingt an einen Ort, wo nicht soviel Trubel herrscht«, erzählte er. »Es gibt da ein paar Dinge, über die ich mir klarwerden muß. Der Mann im Reisebüro, in dem ich gebucht habe, gab mir den Tip mit St. Johann, und ich muß sagen, er war goldrichtig. Ein wunderschönes Dorf, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Genau das Richtige, um in aller Ruhe die Gedanken ordnen und Entscheidungen treffen zu können.«
Sebastian Trenker war hellhörig geworden. Hatte ihn sein Eindruck gestern, als Ulli Vogler von der Firma seines Vaters berichtete, doch nicht getäuscht? Dem guten Hirten von St. Johann war der Gesichtsausdruck nicht entgangen, und seine jahrelange Menschenkenntnis sagte ihm, daß der junge Mann, der jetzt neben ihm saß, hergekommen war, um sich über etwas Klarheit zu verschaffen, das ihn sehr beschäftigte.
»Probleme?« fragte er.
Ulli nickte.
»Ja, und ich fürcht’, seit gestern sind sie noch größer geworden.«
»Möchten S’ darüber sprechen? Es gibt kein Problem, für das es net auch eine Lösung gibt.«
Der junge Bursche sah den Geistlichen an. Bisher hatte Ulli alles mit sich alleine abgemacht. Er war nicht der Mensch, der mit anderen über das sprechen konnte, was ihn bewegte. Aber dieser Pfarrer Trenker machte es ihm leicht, sein Herz zu öffnen. Die unaufdringliche Art des Geistlichen sprach Ulli an.
»Wissen Sie, unserer Firma geht es nicht sehr gut«, erzählte er. »Lebkuchen sind eher ein Saisonartikel, und die Konkurrenz durch Großbäckereien wird immer spürbarer. Hinzu kommt, daß mein Vater auf Bewahrung der Tradition besteht. Wogegen auch nichts zu sagen ist. Aber in diesem Fall widerspricht sie jeder kaufmännischen Vernunft. Vater hat wohl große Hoffnungen auf meinen Eintritt in den Betrieb gehegt. Ich bin jetzt zwar diplomierter Betriebswirt, aber Wunder kann ich deswegen noch lange nicht vollbringen.«
»Und es gibt keinen Ausweg aus dieser Krise?«
Ulli verzog die Lippen und nickte.
»Den gibt es sehr wohl. Aber zu welchem Preis?«
Er erzählte weiter, wie er Constanze kennengelernt hatte, die Tochter des bekannten Großbäckers, und von dem Arrangement, das die beiden Seniorchefs getroffen hatten. Sebastian ahnte, was das Problem dabei war.
»Aber Sie lieben das Madl net?«
Der junge Bursche zuckte die Schultern.
»Ich schätze sie«, sagte er. »Constanze ist eine patente Frau, man kann mit ihr, wie man so sagt, Pferde stehlen. Aber ich frage Sie, reicht das für ein ganzes Leben?«
»Wohl kaum«, mußte der Bergpfarrer zugeben. »Und dann sagten Sie vorhin, daß das Problem seit gestern nur noch größer geworden sei. Hat es etwas mit der Eva Jansen zu tun?«
Ulli sah den Geistlichen verblüfft an.
»Sie haben es bemerkt?«
Sebastian lächelte.
»Es gehört net viel dazu«, erwiderte er. »Ich kann eins und eins zusammenzählen.«
»Ja, es stimmt«, nickte Ulli, »ich habe mich bis über beide Ohren in sie verliebt. Dabei kann ich es mir gar nicht erklären. Ich kenne Eva überhaupt nicht, und doch habe ich das Gefühl, daß sie die Richtige für mich ist. Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«
»Haben Sie schon mit Constanze gesprochen?«
»Gestern abend. Sie hatte mittags im Hotel angerufen, aber da war ich ja noch unterwegs.«
»Aber über Ihre Gefühle für Eva haben S’ nix gesagt oder…?«
Ulli schüttelte den Kopf.
»Ich konnt’s net. Constanze hat mir überschwenglich erzählt, daß unsere Eltern die Verlobung nach meiner Rückkehr offiziell bekanntgeben wollen.«
»Das sind ja schon sehr konkrete Pläne. Was wollen S’ denn da jetzt machen?«
»Ich weiß es net«, antwortete der Bursche, und sein Gesichtsausdruck zeigte Verzweiflung. »Nur eines, daß ich Eva von Herzen gern habe und dieses Gefühl für Constanze schon lange nicht mehr empfinde.«
»Glauben S’ denn, daß Eva genauso in Sie verliebt ist?«
Ulli lächelte.
»Woher, Hochwürden, wir haben ja kaum ein paar Worte miteinander gesprochen. Aber wenn ich an ihre Blicke denke, dann bin ich guter Hoffnung.«
»Ja, das bin ich auch«, schmunzelte Sebastian.
Ulrich Vogler sah ihn überrascht an.
»Sie glauben…?«
»Sagen wir mal, ich könnt’ mir vorstell’n, daß Sie Evas Blicke richtig gedeutet haben. Allerdings werden S’ das schon alleine herausbekommen müssen. Sie wohnt übrigens in der Pension Stubler, ganz hier in der Nähe.«
Der junge Mann seufzte.
»Aber was mache ich mit Constanze?«
»Nun, was sich auch immer zwischen Ihnen und Eva entwickelt, Sie werden es Constanze sagen müssen. Denn ich gehe davon aus, daß Sie sie auch dann nicht heiraten wollen, wenn Eva Ihre Gefühle net erwidert.«
»Nein«, beteuerte Ulli, »das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
Der Bergpfarrer nickte.
»Ich hab’ keine and’re Antwort von Ihnen erwartet«, sagte er. »Wie auch immer, Ulli, ich kann Ihnen nur raten: Hören S’ auf die Stimme Ihres Herzens. Gewiß steht viel auf dem Spiel, die Rettung der Firma und vieler Arbeitsplätze. Aber es wäre höchst unmoralisch, eine Ehe auf dem Fundament einer Lüge aufzubauen. Vielleicht gibt’s noch and’re Wege, um die Firma vor dem Konkurs zu bewahren. Ihrer Liebe zu Eva Jansen sollte das aber net im Wege steh’n.«
Ulli Vogler atmete erleichtert auf.
»Vielen Dank, Hochwürden, Sie haben mir sehr geholfen.«
»Das ist meine Aufgabe, und ich erfülle sie mit Freude. Wann immer Sie net mehr weiter wissen, dürfen S’ sich an mich wenden. Bei Tag und Nacht.«
»Das werde ich, Hochwürden«, nickte Ulli und reichte dem Geistlichen die Hand. »Bestimmt war ich nicht zum letzten Male hier.«
Die beiden Männer waren aufgestanden und strebten dem Ausgang zu.
»Wissen S’ was«, schlug Sebastian vor, »am Samstag ist Tanz im Löwen. Kommen S’ doch vorher zum Essen ins Pfarrhaus. Mein Bruder und seine Freundin werden da sein, und meine Haushälterin freut sich immer, wenn viele Gäste kommen. Außerdem gibt’s da noch jemanden, den ich einladen werd’…«
Der letzte Satz wurde von einem Augenzwinkern begleitet. Ulli schmunzelte.
»So eine Einladung schlage ich gewiß nicht aus«, sagte er. »Vielen Dank noch mal.«
Während er den Kiesweg hinunterging, blieb Sebastian Trenker stehen und schaute ihm hinterher. Der gute Hirte von St. Johann ahnte, daß Ulli mit seiner Befürchtung, sein Problem würde noch größer werden, recht haben könnte. Aber er war gewillt, dem jungen Burschen und dem Madl, das er liebte, zu ihrem Glück zu verhelfen.
*
»Ach, ich habe wunderbar geschlafen«, sagte