Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-Мазох
Paß!«
Wir standen. Aber der Paß! – Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht. Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich ein Verschwörer sein. Sein unverschämt behagliches Gesicht forderte meine russischen Bauern heraus. Paß hatte er keinen, das war richtig; nun zuckten sie die Achseln, das war ebenso richtig.
»Ein Verschwörer,« hieß es.
»Aber Freunde bedenkt doch!« Alles umsonst.
»Ein Verschwörer!«
Mein Schwabe rückt verlegen auf seinem Brett und maltraitirt fruchtlos die russische Sprache. Alles umsonst. Die Bauernwache kennt ihre Pflichten. Wer wagt ihr eine Banknote anzubieten? Ich nicht. So werden wir denn zusammengepackt und einige hundert Schritte weit zu der nächsten Schenke geführt.
Von weitem schien es vor derselben von Zeit zu Zeit aufzublitzen. Es war die aufwärts genagelte Sense eines Bauers, der vor der Thüre Wache hielt, und gerade über dem Rauchfang der Schenke stand der Mond und blickte auf den Bauer und seine Sense. Er blickte durch das kleine Fenster der Schenke und warf seine Lichter wie Silbermünzen hinein, und füllte die Pfützen vor dem Hause mit Silber, um den geizigen Juden zu ärgern. Ich meine den Schenkwirth, der uns auf der Schwelle empfing und seine lebhafte Freude über die vornehmen Gäste dadurch ausdrückte, daß er eine Art monotones Jammergeschrei ausstieß.
Er wackelte mit dem Körper auf und ab wie eine Ente, küßte auf meinen rechten Aermel einen Schmutzfleck, und der Symmetrie wegen auch auf den linken, und schalt dabei die Bauern, daß sie »einen solchen Herren,« »einen solchen« – er wußte keine bezeichnendere Eigenschaft an mir zu finden – »einen solchen Herren arretirt, und einen solchen durch und durch schwarzgelben Herren, einen Herren, dessen Gesicht schon ganz schwarzgelb sei und dessen Seele ganz schwarzgelb sei, das möchte er auf die Thora beschwören«, und schalt und gebärdete sich, als hätten sie ihm das ärgste Unrecht zugefügt.
Ich ließ indeß meinen Schwaben bei den Pferden – die Bauern bewachten ihn – und rettete meine schwarzgelbe Seele in die Schenkstube, wo sie sich auf der hölzernen Bank ausstreckte, die um den großen Ofen lief.
Ich langweilte mich bald, denn Freund Moschu hatte vollauf zu thun, seinen Gästen Branntwein und Neuigkeiten auszuschenken, und hüpfte nur selten wie ein Floh über den breiten Schenktisch zu mir und saugte sich fest und versuchte ein gebildetes Gespräch von Politik und Literatur.
Auch ohne das. Ich langweilte mich und sah mich in der Schenke um.
Ihr Grundton war Grünspan.
Die spärlich genährte Erdöllampe erfüllte die Schenke mit grünlichem Lichte. Grüner Schimmel an den Wänden, der große viereckige Ofen wie mit Grünspan lackirt, grünes Moos wuchs aus den Feldstein-Parketen Israels. Grüner Bodensatz in den Schnapsgläsern, wirklicher Grünspan an den kleinen Blechmaßen, aus denen die Bauern tranken, wenn sie an den Schenktisch traten und ihre Kupfermünzen hinlegten. Eine grüne Vegetation bedeckte den Käse, den Moschku mir vorsetzte, und sein Weib saß im gelben Schlafrock mit großen Grünspanblumen hinter dem Ofen und schläferte ihr blaßgrünes Kind. Grünspan in dem abgehärmten Gesicht des Juden, Grünspan um seine kleinen unruhigen Augen, um seine dünnen, bewegungsvollen Nasenflügel, in seinen höhnisch verzogenen, sauren Mundwinkeln.
Es gibt Gesichter, die mit der Zeit Grünspan ansetzen, es gibt solche, und mein Jude hatte ein solches Gesicht.
Der Schenktisch stand zwischen mir und seinen Gästen. Sie saßen alle um einen schmalen langen Tisch, meist Bauern aus der Umgegend; sie unterhielten sich leise und steckten die zottigen, schwermüthigen grünen Köpfe zusammen. Einer schien mir ein Kirchensänger. Er führte das große Wort, hatte eine große Dose, aus der er aber allein schnupfte des nöthigen Respectes wegen, und las den Leuten aus einer halbvermoderten, grünen russischen Zeitung vor.
Alles leise, ernsthaft, würdevoll, und draußen sang die Bauernwache ein melancholisches Lied, dessen Töne schienen aus weiter Ferne zu kommen. Wie Geister schwebten sie um die Schenke und klagten und schienen sich nicht hinein zu wagen unter die lebenden, flüsternden Menschen. Die Melancholie floß zu allen Ritzen herein als Moder, Mondlicht und Lied.
Auch meine Langeweile wurde zur Melancholie, zu jener Melancholie, welche uns Kleinrussen so eigenthümlich ist, zu einer männlichen Ergebung in das Gefühl der Nothwendigkeit. Und meine Langeweile war so nothwendig, wie Schlaf und Tod.
Der Kirchensänger war in seiner grünen Zeitung eben bei den Verstorbenen, Angekommenen, dem Courszettel, der Eisenbahn-Fahrordnung angelangt, als draußen plötzlich Peitschenknallen, Pferdegetrappel, Menschenstimmen wirr durcheinander klangen.
Dann war es stille.
Dann hörte man eine fremde Stimme, welche sich mit jenen der Bauernwachen mischte. Es war eine lachende männliche Stimme, es war Musik in ihr, aber eine fröhliche, kecke, übermüthige Musik, die vor den Menschen in der Schenke nicht zurückschreckte. Sie tönte immer näher, bis ein fremder Mann über die Schwelle trat.
Ich richtete mich auf, aber ich sah nur seine hohe, schlanke Gestalt, denn er trat nach rückwärts in die Schenke, indem er noch immer lustig zu den Bauern sprach.
»Aber Freunde, thut mir doch nur den Gefallen und erkennt mich? Bin ich denn ein Emissär? Seht mich an? Fährt die Nationalregierung mit vier Pferden auf der Kaiserstraße ohne Paß? Geht die Nationalregierung mit einer Pfeife im Munde wie ich? Brüder! thut mir den Gefallen und seid gescheidt!«
Jetzt kamen ein paar Bauernköpfe zum Vorschein und eben so viel Hände, welche diese Bauernköpfe unter dem Kinn rieben, was so viel zu bedeuten hatte, als: »Den Gefallen thun wir dir nicht, Bruder.«
»Also wirklich nicht? Aber thut mir doch die Gnade und seid vernünftig –«
»Es geht nicht.«
»Bin ich denn ein Pole? Wollt ihr, daß meine Eltern sich auf dem russischen Kirchhofe zu Czernelica im Grabe umdrehen? Waren meine Ahnen nicht mit Bogdan Chmielnicki, dem Kosaken, gegen Polen? In wie viel Schlachten? Bei Pilawce, bei Korsun, bei Batow, bei den gelben Wässern; haben mit ihm Zbaraz belagert, worin auch die Polen lagen, standen oder saßen nach Belieben – aber thut mir nur den Gefallen und laßt mich fahren.«
»Es geht nicht.«
»Auch nicht wenn mein Großahn mit Hetman Dorozenko Lemberg belagert hat? Damals, sag’ ich euch, waren die Köpfe der polnischen Edelleute billiger als Birnen, aber – bleibt gesund und laßt mich fahren.«
»Es geht nicht.«
»Es geht nicht! – Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht.«
»Nun gut, dann bleibt gesund.« Der Fremde ergab sich männlich der Nothwendigkeit, ohne Klage. Er trat ein, immer noch das Gesicht von mir abgewendet, nickte zu den neuen Entenstößen des Juden und setzte sich vor den Schenktisch, den Rücken gegen mich.
Die Jüdin horchte, sah auf ihn, legte das schlafende Kind auf den Ofen und trat an den Schenktisch. Sie war schön, als Moschku sie heimführte, ich wette darauf. Jetzt ist alles so befremdend scharf in ihrem Gesichte. Schmerzen, Schande, Fußtritte, Peitschenhiebe haben lange in dem Antlitz ihres Volkes gewühlt, bis es diesen glühend welken, wehmüthig höhnischen, demüthig rachelustigen Ausdruck bekam. Sie krümmte ihren hohen Rücken, ihre feinen durchsichtigen Hände spielten mit dem Branntweinmaß, ihre Augen hefteten sich auf den Fremden. Eine glühende, verlangende Seele stieg aus diesen großen schwarzen, wollüstigen Augen, ein Vampyr aus dem Grabe einer verfaulten Menschennatur, und saugte sich in das schöne Antlitz des Fremden.
Es war wirklich ein schönes Antlitz, es neigte sich über den Schenktisch zu ihr herüber wie der Mond, aber warf wirkliche Silbermünzen auf den Tisch und verlangte eine Flasche Wein.
»Geh hinaus!« sagte der Jude zu seinem Weib.
Sie krümmte sich noch tiefer und ging mit geschlossenen Augen, wie eine die im Schlafe wandelt;