Gesammelte Werke. Isolde Kurz
zu der seltsamen Annahme, dass ich eigentlich seine Neigung erwiderte und es nur nicht Wort haben wollte aus irgendeinem kindischen Eigensinn. Niemals war sie zu überzeugen, dass sie sich täuschte. Ich konnte keine Gründe für mein inneres Widerstreben anführen, und dass die Regungen des Herzens keine Gründe brauchen, wollte die leidenschaftliche Frau nicht einsehen. Daraus war ein peinvolles Ringen zwischen Mutter und Tochter hervorgegangen, das über fünf Jahre unter dem größten Herzeleid für beide Teile fortdauern sollte. Ich verargte es dem Manne, dass er diese Not mit ansah und sich doch auf die Mutter stützte, statt freiwillig zurückzutreten. Seine Entschuldigung war: er glaubte gleichfalls, ich liebte ihn und wüsste es nicht! So fest hatte meine Mutter, deren Suggestionskraft unwiderstehlich war, sich und ihm diese Absonderlichkeit eingeredet. Und ich hatte Augenblicke, wo ich in ihrem Banne nahe daran war, es selbst zu glauben. In seiner Abwesenheit, brieflich, war ich ihm auch durchaus gewogen, nur seine persönliche Gegenwart stellte mich jedes Mal vor die Unmöglichkeit einer Annäherung. In einer schwachen Stunde hatte sie mir aber das Versprechen entrungen, wenigstens kein endgültiges Nein zu sagen, sondern die Entscheidung in Anbetracht meiner allzugroßen Jugend der Zukunft zu überlassen. Das war ja für den Augenblick das Bequemere, da es mich vorübergehend der Bedrängnis enthob. Und auch er war es zufrieden, denn jeder Teil hoffte, der andere würde durch die Zeit zur Einsicht kommen. Aber die Unklarheit rächte sich schwer an beiden: für mich verlängerte sie den Kampf und verdarb mir die schönsten Jahre, für ihn hatte sie die Folge, dass er ein schönes, ihm von anderer Seite entgegengebrachtes Gefühl übersah und so sein wahres Lebensglück verfehlte. Dass er später gleichwohl ohne Bitterkeit mir zugetan blieb, war das beste Zeugnis, das er seinem inneren Wert ausstellen konnte.
Da Mama glaubte, dass der viele Verkehr mit männlicher Jugend mich seelisch zersplittere und mich verhindere eine Wahl zu treffen, erlaubte sie mir keine Ballbesuche mehr und hielt jetzt solche jungen Leute, die ihrem Schützling gefährlich werden konnten, vom Hause fern. Hartmut wollte und wollte nicht begreifen. Er tauchte auf, wo ich ihn nicht erwarten konnte, und wenn ich mich auf eine Festlichkeit freute, so fand ich ihn schon mir zum Ritter bestellt, dass das Vergnügen zum Zwang wurde. Beim Vater hätte ich ja sogleich Schutz gefunden, aber ihn durfte ich um seiner Ruhe willen nichts von diesen Kämpfen ahnen lassen. Es wurden beständig kleine Verschwörungen gegen mich angezettelt, an denen sich auch Dritte beteiligten. Um mich zu bekehren, schrieb mir der schweigsame Ludwig Pfau einmal einen Brief von sechzehn Seiten, voll der aufreizenden Derbheiten, die natürlich ihren Zweck erst recht verfehlten. Der revolutionäre Denker Pfau hielt es auf diesem Punkte mit dem rückständigen Männerschlag, für den das Weib nur als Geschlechtswesen vorhanden war und der ihr ein seelisches und geistiges Eigenleben aus tiefster Überzeugung absprach. Ich meine ihn noch zu hören, wie er mir einmal mit kopfschüttelnder Missbilligung in seinem breiten Dialekt sagte: Weiber, Weiber – ihr send net für de Geischt g’schaffe. Bei diesem Standpunkt erschien ihm das Zurückweichen vor einer so treuen Neigung als Versündigung am ganzen männlichen Geschlecht, die er nicht ungerügt lassen zu dürfen glaubte. Solche raueren Angriffe fanden mich stets gerüstet, aber der Schmerz meiner vulkanischen Mutter, die Sorge beider Eltern um meine Zukunft, die ich nicht erleichtern konnte, zerrissen mir das Herz. Und so oft Mutter, Onkels, Tanten, Freunde und Freundinnen mich fragten: Warum kannst du denn nicht? hatte ich keine andere Antwort als: Ich kann nicht. Wie hätte ich mich anderen verständlich machen sollen, da ich mich selber nicht verstand. Hartmut galt für einen stattlichen Mann, und ich wusste manche, die stolz und glücklich an seiner Seite geschritten wäre. Mir aber ging seine ganze Art und Weise wider den Strich. Es waren nur Äußerlichkeiten, scheinbar ganz unwesentliche Dinge, die so allverhindernd auf mich wirkten; dass sie der treffende körperliche Ausdruck für eine der meinen gänzlich fremde Geistesrichtung waren, empfand ich nur dunkel, ohne es in Worte fassen zu können. Es war dies die einzige Form, wie mein guter Genius mich vor einem verhängnisvollen Irrtum zu warnen vermochte, denn ich lebte noch viel zu unbewusst, um mir selber klar zu sagen, dass die Welt Hartmuts nimmermehr die meine sein konnte, und dass meine Entwicklung andere, weitere Kreise zu durchlaufen hatte. Auch sein vieles Hofmeistern und dass er mir all die Besonderheiten, die er an mir zu lieben glaubte, so schnell wie möglich abgewöhnen wollte, um mich recht bürgerlich hausbacken zu haben, gab meinem Bewusstsein nicht die sichere Waffe, die ich gebraucht hätte. Und die Zusammenstöße mit der Mutter fürchtete ich mehr als alles auf der Welt. Ich war also immer mehr auf der Flucht vor ihm, als dass ich mich zu einer Entscheidung gestellt hätte, bei der alle gegen mich waren. Diese seelische Unreife verursachte die Verschleppung die ihm und mir so nachteilig wurde.
Einmal befand ich mich in Stuttgart als Gast bei nahen Verwandten und besuchte dort meine Freundin Anna Dulk, die sich in einer der meinigen gerade entgegengesetzten Lage befand, da sie soeben ihre Verlobung gegen den väterlichen Willen durchgesetzt hatte. Kaum war ich in ihrer Wohnung in der Olgastraße angekommen, so fuhr ein Wagen vor, und gleich darauf erscholl Hartmuts Stimme im Flur. Ich hatte gerade noch Zeit, mit einem Sprung in den Garderoberaum zu verschwinden, da stand er schon im Zimmer und teilte der verdutzten Anna mit, dass er nach abgelegtem letztem Examen einen festlichen Tag in der Residenz feiern wolle und dass er zu diesem Zweck einen Wagen gemietet habe, um mich mit Zustimmung meiner Mutter zu einer längeren Spazierfahrt abzuholen. Da er aber voraussehe, dass ich mich weigern würde, mit ihm allein zu fahren, bitte er um ihre Begleitung und Beihilfe zu seinem Plan. Er habe auch unterwegs meinen gleichfalls in Stuttgart befindlichen Bruder Alfred aufgetrieben und in den Wagen gesetzt, damit mir gar kein Vorwand bleibe, mich der Gesellschaft zu entziehen. – Was beginnen? Schlankweg heraustreten, ihm vor dieser Zeugin erklären, dass ich nicht den Schein einer Fessel tragen wollte, die ich in Wirklichkeit mir nicht anzulegen gesonnen war, dazu fehlte mir die nötige Schroffheit. Ich stand hinter der halboffenen Tür, von dem Besucher ungesehen, und hatte die erschrockene Anna im Gesicht, sodass ich sie durch Zeichen bedeuten konnte, den Ankömmling so lange wie möglich hier festzuhalten. Dann schlüpfte ich hinaus und im Flug die Treppe hinunter, an dem vorgefahrenen Wagen vorbei, aus dem Alfred mich laut begrüßen wollte. Ich legte den Finger auf den Mund und glitt wie ein Schatten die Straße hinab. Mich zu verstecken, wagte ich nicht, denn ich kannte Hartmuts Beharrlichkeit, der imstande war, sich vor der Haustür meiner Verwandten aufzupflanzen und meine Rückkehr abzuwarten, sollte es auch Stunden dauern. Ich fand also keinen besseren Rat als heimzustürzen – den weiten Weg