Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Zu­kunfts­rei­chen be­rei­tet. Die Künst­le­rin, jetzt Frau Ha­nusch-Borck – nach dem letz­ten Zer­würf­nis mit den Sei­ni­gen hat­te der Dich­ter den bür­ger­li­chen Deck­na­men an­ge­nom­men, un­ter dem ich ihn ein­ge­führt habe – strahl­te von Glück und Lie­be. Üp­pig blü­hend, doch mit schlan­ken Hüf­ten, im blass­blau­en Som­mer­kleid und bau­schen­dem Reif­rock, denn die Mode stand da­mals noch im Zei­chen der Kai­se­rin Eu­ge­nie, so kam sie mir an der Dampf­schiff­län­de in Lu­zern ent­ge­gen. Ihr Haar war von dem Gelb des rei­fen Gers­ten­fel­des, und sie trug es wie einen Ähren­kranz um das Haupt ge­floch­ten, dazu die dun­kelblau­en Korn­blu­men auf dem Flo­ren­ti­ner Stroh­hut und der mohn­ro­te Son­nen­schirm, der mit sei­nem durch­fal­len­de Schein ihr Ge­sicht ver­klär­te; eine ju­gend­li­che Ce­res!

      Gu­stav sah noch männ­lich schö­ner aus als frü­her im Hoch­ge­fühl sei­nes auf­ge­hen­den Dich­ter­ruhms. Der Win­ter hat­te ihm die ers­te aus­ge­reif­te Frucht ge­tra­gen, ein bür­ger­li­ches Dra­ma, des­sen Haup­trol­le aber­mals sei­ner Gat­tin auf den Leib ge­schrie­ben war. Es hat­te dar­um bei der ers­ten Auf­füh­rung einen stür­mi­schen Er­folg ge­habt und sich den gan­zen Som­mer über auf dem Spiel­plan hal­ten kön­nen; nur es auf aus­wär­ti­ge Büh­nen zu brin­gen, miss­lang, weil eben die Dar­stel­le­rin fehl­te, die ihm erst das rech­te Le­ben gab. Dank­bar er­kann­te er an, was er sei­ner Frau schul­de­te, und schrieb ihr so­gar den Lö­wen­an­teil an sei­nem Er­fol­ge zu, denn das Glück mach­te ihn im­mer gut und be­schei­den. Mit mit­lei­di­gem Lä­cheln dach­te ich an Kuno Schüt­tes Un­glück­spro­phe­zei­un­gen. Konn­te man sich eine schö­ne­re Ehe­har­mo­nie und ein hö­he­res Künstl­er­glück den­ken? Der Mann dich­te­te, die Frau ver­kör­per­te sei­ne Träu­me, und die Hö­rer­schaft warf ih­nen Krän­ze zu, die je­des mehr dem an­dern als sich sel­ber gönn­te. Auch brauch­te er nicht mehr ängst­lich den Gro­schen zu spa­ren, denn Frau Sel­ma be­zog ein an­sehn­li­ches Ge­halt, er sel­ber nahm sei­ne Ge­winnan­tei­le ein. Das war der höchs­te Stand, den Gu­stav Borcks Glücks­stern äu­ßer­lich je­mals er­rei­chen soll­te.

      Nur nach der Tri­lo­gie woll­te er nicht ge­fragt sein. Als ich von dem un­ver­ge­ss­li­chen Ein­druck je­ner ers­ten Sze­nen sprach und ihn an die Er­fül­lung des großen Ver­spre­chens mahn­te, wur­de er un­ru­hig und ge­stand, dass er jetzt nicht zu so ho­hen Din­gen ge­stimmt sei.

      Sel­ma, die frau­lich sor­gend ab und zu ging, blieb ste­hen und sag­te vor­wurfs­voll:

      Wie? Eine Tra­gö­die, von der ich nichts weiß?

      Ich sag­te ihr, dass sie den ech­ten Gu­stav Borck noch gar nicht ken­ne, ehe sie sei­ne »Nor­ne« und den Ein­gang der»Va­rus­schlacht« ge­le­sen habe, und bat sie, da­für zu sor­gen, dass er das Haupt­werk sei­nes Le­bens nicht ver­säu­me.

      Aber Gu­stav wehr­te ab und sag­te ihr:

      Lass das. Ich kann jetzt nichts dich­ten, was sich nicht auf dich be­zieht. Du bist kei­ne Thus­nel­da.

      Die Schau­spie­le­rin strei­chel­te ihn zärt­lich ohne Ah­nung von der ge­fähr­li­chen Trag­wei­te die­ses Wor­tes. Eine Thus­nel­da war sie frei­lich nicht. Man konn­te sie sich in kei­ner Rol­le den­ken, de­ren In­halt über die Lie­be hin­aus­ging. Der Hauch der sinn­li­chen Lei­den­schaft er­füll­te ih­ren gan­zen Luft­kreis wie schwe­rer Duft der Oran­gen­blü­te, des­sen be­rau­schen­der Wir­kung man sich nicht ent­zie­hen konn­te. Man wäre am liebs­ten gleich hin­ge­gan­gen, um sel­ber zu hei­ra­ten, wenn man die­se glück­lich Lie­ben­den sah.

      So be­saß nun Gu­stav, was er nie ge­sucht und wor­an er nicht ge­glaubt hat­te: die Frau, die nicht bloß den schö­nen Mann, son­dern eben­so den Dich­ter in ihm lieb­te. Frau Sel­ma war sei­ne Hö­rer­schaft, sei­ne an­be­ten­de Ge­mein­de; sie lag vor al­lem, was er schrieb, auf den Kni­en, und ich muss­te mich oft lei­se fra­gen, wie lan­ge wohl ein Sterb­li­cher sol­che Ver­göt­te­rung ohne Scha­den er­tra­gen kön­ne. Er hat­te zwar den gu­ten Ge­schmack, ihr die all­zu thea­ter­mä­ßi­ge Spra­che, wenn sie ihn etwa ins Ge­sicht ih­ren Dichter­fürs­ten nann­te, zu ver­wei­sen, er sag­te dann wohl auch, sein Fürs­ten­tum müs­se erst er­obert wer­den, aber schon war er un­duld­sa­mer ge­gen Wi­der­spruch ge­wor­den und be­han­del­te al­les, was sich nicht auf ihn selbst und sein Schaf­fen be­zog, mit noch grö­ße­rer Gleich­gül­tig­keit als frü­her.

      Hät­te die Frau ihn nur et­was we­ni­ger ge­liebt oder mehr Zu­rück­hal­tung be­ses­sen, es wäre für bei­de Tei­le bes­ser ge­we­sen. Wenn sie bei Ti­sche ein ernst­haf­tes Ge­spräch mit ih­rem stets wie­der­hol­ten: »Liebst du mich?« un­ter­brach, so hät­te ich ihre zu ihm hin­über­ge­streck­te Hand fas­sen und zu­rück­zie­hen mö­gen, weil er nur zer­streut da­mit tän­del­te oder sie mit flüch­ti­gem Dru­cke von sich schob.

      Des Mor­gens, wäh­rend Gu­stav ar­bei­te­te, ging ich mit Sel­ma am Seeu­fer spa­zie­ren, sie trug mir Stel­len aus sei­nem neu­en Dra­ma vor und ließ mich ver­spre­chen, dass ich nächs­tens ei­ner Vor­stel­lung in Stutt­gart bei­woh­nen und dar­über an ame­ri­ka­ni­sche Zei­tun­gen be­rich­ten wür­de. All ihr Den­ken und Wol­len dreh­te sich in ste­ter Be­we­gung um den einen An­gel­punkt: ih­ren Gu­stav.

      Ich lie­be ihn ja so gren­zen­los, so gren­zen­los, rief sie ein­mal übers an­de­re. Wenn ich fühl­te, dass ich ihm zur Last wür­de oder wenn ihm mein Tod et­was nüt­zen könn­te, au­gen­blick­lich stür­be ich.

      Wenn er von ihr re­de­te, so war der Ton auch ein zärt­li­cher, aber er klang doch völ­lig an­ders:

      Das gute Weib­chen, hieß es da. Je nä­her man sie kennt, de­sto mehr muss man sie schät­zen. Sie ist ja ein Thea­ter­kind und hat kei­ne an­de­re Bil­dung als die Rol­len ih­res Fachs, aber sie lässt sich so gern be­leh­ren.

      Er trieb es je­doch et­was weit mit dem Be­leh­ren und Hof­meis­tern, und es war nicht im­mer ganz zart­füh­lend, wie er sie in mei­ner Ge­gen­wart dar­auf auf­merk­sam mach­te, dass das be­ton­te Spre­chen und das be­wuss­te Ge­bär­den­spiel, das ihr von der Büh­ne her an­haf­te­te, im täg­li­chen Le­ben stö­rend wirk­te. Ich wun­der­te mich über die gute Lau­ne und Ge­duld, mit der sie die Zu­recht­wei­sun­gen ih­res ge­stren­gen Herrn und Lieb­ha­bers hin­nahm.

      Am letz­ten Abend fuh­ren wir zu­sam­men über den See. Der Mond war voll, der Him­mel hoch und ster­nen­los, ein ei­ge­ner Zau­ber spann über den Was­sern, die wir stil­le durch­g­lit­ten, denn das Mond­licht ver­wan­del­te See und Ufer in eine frem­de Feen­land­schaft, in die Axen­stein und Rot­stock ver­geis­tert her­ein­blick­ten. Ich ru­der­te und tausch­te halb­lau­te Re­den mit der jun­gen Frau, die mir an die­sem Abend von ei­ner wo­gen­den Un­ru­he be­herrscht schi­en, sei’s, dass zwi­schen ihr und Gu­stav et­was vor­ge­fal­len war, sei’s, dass sein Ver­hal­ten sie ängs­te­te. Denn er lag der Län­ge nach auf der Boots­bank aus­ge­streckt, die Au­gen em­por­ge­rich­tet, und be­weg­te die Lip­pen, ohne auf un­ser Ge­spräch im min­des­ten zu ach­ten. Re­de­te sie ihn an, so mach­te er eine ab­wei­sen­de Kopf­be­we­gung. Dann be­gann er vor sich hin­zu­spre­chen:

      Mu­sik und Rhyth­mus ist al­les. Form und Far­ben zer­flie­ßen. Die Erde ist nicht und war nicht. Das Le­ben löst sich in Klang.

      Wir schwam­men jetzt in dem brei­ten Flim­mer­strei­fen, den der Mond über das Was­ser zog. Ich leg­te die Ru­der bei und ließ das Boot schau­keln, ganz dem Zau­ber hin­ge­ge­ben, der von oben


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