Gesammelte Werke. Isolde Kurz
beschäftigt, die letzte Hand an ein neues Schauspiel zu legen. Aber er sprach nicht davon mit der überschwenglichen Zuversicht wie einst im Hölderlinsturm von seinen Plänen, sondern es klang etwas Gepresstes, fast Kleinlautes in seinen Worten durch, als ob er mit sich selber nicht im Einklang sei. Ehe er es der Intendanz einreichte, wollte er seine Wirkung im engen Kreise erproben, deshalb wurde einer der letzten Abende meines Stuttgarter Aufenthalts für die Vorlesung bestimmt. Außer mir war auch der unvermeidliche Berka und ein anderer literarischer Hausfreund namens Ruhland geladen. Das Stück spielte zur Zeit der französischen Revolution auf einem Herrensitz in Südfrankreich; der wilde geschichtliche Hintergrund mit Sansculottenhaufen und brennenden Burgen gab ihm eine warme Tönung. Am Schlusse erschien unter Trommelwirbeln und den Klängen der Marseillaise ein junger Artillerieoffizier mit Namen Napoleon Bonaparte auf den Brettern als das menschgewordene Weltgeschick, was von starker, aber rein äußerlicher Wirkung war. Die Fabel des Ganzen wollte für mein Empfinden nicht so recht zusammenhalten. Der Schwerpunkt lag auf einer Frauengestalt, in der die völlige Selbstentäußerung der Liebe zum Ausdruck kommen sollte. Ruhland erhob Einwände, er fand das Liebesopfer der Heldin, einer Adligen, die sich einem Plebejer geschenkt hat und jetzt mit der alten feudalen Ordnung untergehen will, um dem Geliebten nicht im Wege zu sein, überspannt und unbegründet. Gustav verteidigte sich mit Feuer, von Berka unterstützt, und was er sagte, war bedeutender als alles was im Stücke stand. Selma hatte während der ganzen Vorlesung nach ihrer Gewohnheit auf einem Schemel am Boden gesessen und andächtig zugehört. Sie war augenscheinlich ganz mit dem Gedanken beschäftigt, wie sie die etwas blutleere Gestalt der Heldin zum vollen Leben bringen wolle. Als auch ich mich zu der Meinung Ruhlands bekannte, dass diese Gestalt keine innere Notwendigkeit habe, rief die Künstlerin: Sie hat! Sie hat!, sprang von ihrem Schemel auf, und dicht vor ihren Gatten tretend sprach sie mit hinreißendem Ausdruck die beanstandeten Worte: Geh’ deinen sicheren Weg zur Höhe. Wer bin ich, dass ich dich hemmen dürfte usw., bis der Verfasser sie entzückt in die Arme schloss, und wir anderen in lauten Beifall ausbrachen.
Aber als wir zusammen nach Hause gingen und ich meinem Gasthof zustrebte, fing Ruhland, sobald Dr. Berka in einer anderen Richtung abgeschwenkt war, über Gustav zu reden an.
Ich weiß, er trägt sich mit großen Plänen. Es ist Gefahr, dass er sich zu lange damit trägt und den rechten Augenblick versäumt. Drängen Sie ihn, ich tue es auch. Jetzt sucht er sich selbst herabzustimmen, sich anzupassen. Das soll er nicht, er soll seine Umwelt mit sich hinaufreißen. Dieses heutige Stück, ja das wäre ein ganz guter Wurf für einen Kleineren. Aber er denkt und fühlt eigentlich immer darüber hinaus. Wer weiß, ob nicht einer von den Dramenschreibern, die er nicht für voll nimmt, es besser gemacht hätte? Ein solcher hätte dem Stoff sein Bestes gegeben, und wenn das auch nicht viel wäre, so wäre es doch immer alles was er vermag, eine eingesetzte ganze Kraft. Dass Borck sich nicht völlig einsetzt für das, was er jetzt schreibt – mag es auch das Geschreibe der andren immer noch weit an Geist überragen –, das ist’s, was der Hörer fühlt und was ihn kalt lässt gegen den Dichter, der selber nicht mit der Seele dabei ist. Ihm liegt nun einmal die mittlere Gattung nicht. Auch tragische Einzelschicksale geben ihm noch nicht den genügenden inneren Auftrieb. Ihn reizen nur Völkergegensätze, ja mehr als das: zusammenprallende Zeitalter. Ich habe Bruchstücke von einem Alexander, einem Konstantin, einem Montezuma in seinen Papieren gesehen. Das ist die rechte Lust für ihn. Vor allem aber seine große Trilogie. Mahnen Sie ihn, dass er die zu Ende führt. Wenn man Gustav Borck ist, so soll man sich mit nichts Halbem begnügen.
Nach einigem Schweigen setzte er hinzu:
Es ist auch für das Glück dieser Ehe besser, wenn er sich zu einem großen Schlag zusammenrafft. Unser Freund Borck, wie ich ihn kenne, wird sich nicht lange bequemen, den Triumphwagen seiner Frau zu ziehen. Leistet er nicht bald etwas, wodurch er ihren Ruhm überstrahlt, wie der Jupiter da oben seine Nachbargestirne, so dürfen Sie sicher sein, dass er sich für all die Liebe und Anbetung, in die sie ihn einwickelt, noch grausam rächen wird.
Rächen für Liebe und Anbetung! sagte ich entsetzt.
Ach, bester Herr Ewers, war die Antwort, glauben Sie mir, es gibt kein Verbrechen, worauf eine härtere Strafe steht als auf diesen beiden.
Solche Reden, die mich an Kuno Schüttes böse Ahnungen erinnerten, gaben mir in der Stille zu denken.
Gustav war augenscheinlich sehr verliebt in seine Frau, noch mehr als in den ersten Zeiten ihrer Ehe. Man sah es an den trunkenen Mienen, mit denen er jeder Bewegung ihrer biegsamen Gestalt folgte, an den Blicken, die sie heimlich tauschten. Es herrschte eine tropische Lust um dieses glücklich genießende Paar, die den Eintretenden bis auf die Knochen sengte. Wenn ich des Abends aufbrach, schien es, als warteten sie nur den Augenblick des Alleinseins ab, um sich mit bacchantischem Jubel in die Arme zu stürzen. So war es in Luzern noch nicht gewesen, von seiner Seite nicht. Seitdem hatte die Leidenschaft ihn mächtiger hingerissen. Zugleich aber hatte sich auch der Zwiespalt in seiner Natur, der schon damals vorhanden war, vertieft. Eine verhaltene Unruhe ließ ihn des gefundenen Glücks nicht innerlich froh werden. Es war, als ob er es nur mit schlechtem Gewissen genösse.
Er ist so reizbar, klagte mir Selma.
Ich kannte das ja von früher her, aber jetzt war es ein dauernder Zustand geworden. Oft ging es durch seine Reden wie ein Ton der Erbitterung gegen die Frau, die ihm diente, und man konnte sich sagen, dass dieser Ton unter vier Augen mitunter noch schärfer klingen mochte. Selma suchte sich auf heitere Weise damit abzufinden.
Ich möchte eine Preisfrage ausschreiben, sagte sie einmal. Warum sind Liebende so gehässig? Sagen Sie mir’s, Unkas, wenn Sie es verstehen.
Ich fürchte, ich weiß zuwenig von der Liebe um mitzureden, antwortete ich. Als Siebzehnjähriger habe ich eine um sieben Jahre ältere Verwandte in ehrfürchtiger Anbetung geliebt und wurde von ihr ausgelacht. Dann verliebte ich mich in ihre zehn Jahre jüngere Schwester mit derselben ehrfürchtigen Anbetung und mit demselben Erfolg, und das gleiche Gefühl hatte ich jedes Mal, wenn ich mich wieder verliebte. Ich begreife nicht, wie Liebe gehässig sein kann.
Lass ihn, er versteht nichts von der Liebe, sagte Gustav. Die amerikanischen Männer haben Fischblut. Die Liebe ist grausam und muss es sein. Quälen, Qualen erleiden, das ist ihre Wollust. Warum versengt Eros Psyches Flügel mit der Fackel? Warum verfolgt der wilde Jäger im Pinienwald von Ravenna ohne Rast die nackte Jungfrau und reißt ihr das Herz aus der Brust? Das ist Liebe.