Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Ge­sicht. Ein gel­bes Pa­pier.

      Der Ge­stel­lungs­be­fehl? frag­te ich.

      Sie nick­te. Er weiß es nicht, sag­te sie lei­se.

      Sel­ma, Sel­ma, was ha­ben Sie ge­tan!

      Wir wis­sen nichts von der Welt hier oben, wir ha­ben seit ei­nem Mo­nat kei­ne Zei­tung ge­se­hen. Der Knecht sagt, es gebe Krieg. Aber es ist nicht wahr, es darf nicht wahr sein! Sa­gen Sie, Har­ry, dass es nicht wahr ist!

      Aber sie ließ mir gar kei­ne Zeit zu ant­wor­ten und von der Welt­la­ge zu re­den, son­dern un­ter­brach mich gleich mit Lei­den­schaft:

      Gu­stav darf nichts er­fah­ren! Er darf nicht ge­stört wer­den! Er ist in al­len Him­meln, ihn jetzt aus der Ar­beit rei­ßen, wäre ein Ver­bre­chen an ihm, an sei­nem Ge­ni­us, an der gan­zen deut­schen Dicht­kunst.

      Da rief es vom Hau­se her­über: Sel­ma!

      Gleich, gleich, Liebs­ter! rief sie zu­rück und fass­te mich da­bei fle­hend an bei­den Ar­men, mir jede Be­we­gung hin­dernd.

      Mit wem sprichst du, Sel­ma?

      Sie woll­te mir die Hand auf den Mund le­gen. Ich mach­te mich sanft von ihr los und rief zu­rück:

      Ich bin’s: Ewers, der Mo­hi­ka­ner!

      Ein Freu­den­ruf, dann klirr­te das Fens­ter, er kam her­ab­ge­eilt.

      Ich stür­ze mich von die­sem Fel­sen her­ab, wenn Sie re­den. Sie wis­sen, ich hal­te Wort! raun­te mir Sel­ma zu. Er darf es nicht wis­sen, er muss sein Werk vollen­den!

      Sel­ma, sag­te ich, Sie wis­sen nicht, was Sie tun, das ist eine Verant­wor­tung, die wir bei­de nicht tra­gen kön­nen.

      Ich wer­de sie tra­gen – ich ganz al­lein, flüs­ter­te sie lei­den­schaft­lich.

      Da stand er schon vor uns, im leich­ten Haus­rock, mit bloßem Kopf, an Haar und Bart ein we­nig ver­wil­dert, aber mit ei­nem Aus­druck über­ir­di­schen Glücks.

      Mein schö­ner Gu­stav ist ein Bä­ren­häu­ter ge­wor­den, scherz­te Sel­ma er­zwun­gen mit angst­ver­zerr­tem Ge­sicht, das er nicht be­merk­te.

       Die Hand nicht wäscht er,

       Das Haar nicht kämmt er,

       Bis zum Holz­stoß er brach­te

       Bal­ders Mör­der,

      re­zi­tier­te er nach sei­ner Ge­wohn­heit.

      Das war wie­der der gan­ze Gu­stav Borck. Er wun­der­te sich nicht, wo­her ich kam, da er mich doch in Ame­ri­ka ver­mu­ten muss­te, er frag­te nicht, was mich in die­se Ein­öde führ­te. Der äu­ße­re Zu­sam­men­hang war wie­der ein­mal nicht für ihn vor­han­den. Ich war zur Stel­le, ich muss­te zur Stel­le sein, weil mei­ne An­we­sen­heit ge­ra­de jetzt ihm er­wünscht war, weil der Au­gen­blick ge­kom­men war, wo sei­ne über­vol­le See­le ei­ner Auss­pra­che be­durf­te. Die schöp­fe­ri­sche Ra­se­rei be­saß ihn ganz.

      Wir hat­ten uns im Haus auf ei­ner Holz­ve­ran­da mit Glas­fens­tern nie­der­ge­las­sen, ge­gen­über ei­ner Grup­pe ho­her Bäu­me. Mir war ent­setz­lich zu­mu­te, lie­ber wäre ich wie­der auf ho­her See ge­we­sen, von den Ozean­wel­len im Un­ge­wis­sen her­um­ge­wor­fen, als hier auf der fried­li­chen son­ni­gen Alm, dem Freun­de ge­gen­über, dem ich sein Schick­sal zu ver­kün­den hat­te. Er schwamm auf der höchs­ten Woge sei­nes Glücks. Die Stil­le in der Na­tur und Sel­mas völ­li­ge Selbst­ver­leug­nung hat­ten ihm den Ge­ni­us zu­rück­ge­führt, sei­nen Herrn und De­spo­ten.

      Jetzt erst ver­ste­he ich, wie elend ich ge­we­sen bin, wie ich mich quä­len muss­te ohne Ihn. Aber wir wis­sen nicht, wie gut wir ge­führt wer­den. Es war mein Glück, dass ich da­mals durch Ju­rispru­denz und Hei­rat un­ter­bro­chen wur­de, mein gu­ter Geist leg­te mir die Hand auf den Mund, weil ich noch nicht reif war. Jetzt ist Er erst ganz da­bei, und jetzt geht es wie im Traum.

      Mein be­klom­me­nes Schwei­gen sag­te ihm nichts, er re­de­te im­mer wei­ter:

      Das Werk ist weit über sei­ne ers­te An­la­ge hin­aus­ge­wach­sen. Du wirst über den zwei­ten Teil stau­nen, wie an­ders das al­les ge­wor­den ist, wie stark, wie reif. Aber der drit­te Teil, der drit­te Teil wird die Kro­ne von al­lem. Noch ein paar Wo­chen Stil­le und Ber­g­luft und sol­ches Wet­ter wie heu­te, so ha­ben wir wie­der eine deut­sche Tra­gö­die.

      Man konn­te, wenn man sein be­geis­ter­tes Auge sah, für Stun­den ver­ges­sen, dass drü­ben überm See der Bo­den vom Tritt aus­rücken­der Trup­pen beb­te, und sich in un­sern stil­len An­richt­win­kel bei Mol­fetta zu­rück­ver­setzt glau­ben, wo es kei­ne Er­eig­nis­se gab als die der Kunst. Noch ein paar Wo­chen für sein Werk. Ich hät­te mein Blut ge­ge­ben, sie ihm zu schaf­fen. Aber was war zu tun? Jede Stun­de, die ver­rann, stem­pel­te ihn mehr zum Fah­nen­flüch­ti­gen. Vol­le zehn Tage war der Ge­stel­lungs­be­fehl auf dem Post­amt lie­gen­ge­blie­ben. Durch Zu­fall glaub­te ich zu­erst, al­lein Sel­ma hat­te die­sem Zu­fall nach­ge­hol­fen. Das war nicht schwer ge­we­sen, sie brauch­te bloß nicht mehr zur Post hin­un­ter­zu­schi­cken, seit­dem sie das ers­te Gerücht vom Krieg ver­nom­men hat­te, das sie ihm ver­schwieg. Da­mit hat­te sie nicht nur ihn, son­dern auch sich selbst in künst­li­cher Un­wis­sen­heit er­hal­ten bis zum gest­ri­gen Abend, wo Gu­stav einen Brief auf­ge­ben ließ und der Knecht einen gan­zen Stoß lie­gen­ge­blie­be­ner Post­sen­dun­gen her­auf­brach­te, dar­un­ter auch das ver­häng­nis­vol­le Blatt; die hat­te sie gleich alle mit­ein­an­der un­ter­schla­gen. Dem Knecht war strengs­tens ein­ge­schärft, dem Herrn kein Wort zu sa­gen von dem, was in die­sem Au­gen­blick die hal­be Erde er­schüt­ter­te. Auch das konn­te sie durch­set­zen, denn die bei­den spra­chen kaum je mit­ein­an­der; alle Be­feh­le Gu­stavs gin­gen durch sie. So bil­de­te die Ärms­te sich wirk­lich ein, ihm auf die Län­ge die Wel­ter­eig­nis­se ver­heim­li­chen zu kön­nen. Und in die­sem Au­gen­blick muss­te das Schick­sal mich da­her füh­ren! Sie moch­te wohl zu­erst ge­hofft ha­ben, an mir, ih­rem al­ten Trös­ter und Be­ra­ter, auch jetzt einen Bei­stand in ih­rem Sin­ne zu fin­den, aber seit wir die ers­ten Wor­te ge­wech­selt hat­ten, be­trach­te­te sie mich als ih­ren schlimms­ten Feind und Wi­der­sa­cher. Ich mach­te nicht min­der schreck­li­che Au­gen­bli­cke durch als sie, da ich mich vor die Not­wen­dig­keit ge­stellt sah, sein wie­der­ge­fun­de­nes Schöp­fer­glück zu zer­rei­ßen und sie in Verzweif­lung zu stür­zen.

      Sie stand hin­ter sei­nem Stuhl, dass er ihr Ge­sicht nicht se­hen konn­te, und ihre Au­gen droh­ten mir – ich wuss­te aus Er­fah­rung, dass sie auch im­stan­de war, ihre Dro­hung wahr zu ma­chen, so schwieg ich noch ver­wor­ren. Gu­stav hat­te sie schon wie­der­holt ge­be­ten, eine Fla­sche Wein und ein paar Glä­ser zu brin­gen, aber Sel­ma sag­te nur: »Gleich, gleich!« und blieb wie an­ge­ket­tet ste­hen, mich mit ih­ren Bli­cken im Ban­ne hal­tend. Wir re­de­ten kein Wort mit­ein­an­der, nur un­se­re Au­gen führ­ten einen heim­li­chen Krieg.

      Mir ist al­les gleich, ich fra­ge nur nach Gu­stav, sag­ten die ih­ri­gen.– Ich auch, Sel­ma, ge­ra­de des­halb! ant­wor­te­ten die mei­ni­gen. Wäh­rend die­ser stum­me Zwei­kampf noch dau­er­te, sprang Gu­stav in die Höhe und sag­te wohl­ge­launt:

      Wenn du dich gar nicht von sei­nem An­blick los­rei­ßen kannst, so wer­de ich sel­ber nach ei­ner Er­fri­schung ge­hen.

      Kaum hat­te er sich ent­fernt, so


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