Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Wuss­te ich doch von Lu­zern her, wes­sen die Frau in ih­rer Lei­den­schaft fä­hig war.

      Wie ich ste­he und gehe, war die Ant­wort. Ich muss wie­der ein­mal al­lein sein. Das ist’s, was mir bis­her ge­fehlt hat. Aber ich gehe nicht weit fort. Ich neh­me gar nichts mit als mei­ne Pa­pie­re (er klopf­te auf die Ta­sche sei­nes Rocks, die prall ge­füllt war). Von dei­ner Freund­schaft er­bit­te ich mir, dass du heu­te noch hier bleibst, wäh­rend ich mich heim­lich emp­feh­le, und dass du mein ar­mes Weib­chen be­ru­higst. Sie hat es, weiß Gott, nicht leicht mit mir. Aber sie ist so gut und ver­stän­dig. Sage ihr, sie sol­le nur fein flei­ßig ihre neue Rol­le üben. Vi­el­leicht reift sie mir doch noch ein­mal zur Thus­nel­da her­an. Je­den­falls wird sie einen bes­se­ren Gat­ten zu­rück­be­kom­men, als sie ihn heu­te ver­liert. Wenn ich wie­der ich sel­ber bin, so wer­de ich sie auch bes­ser scho­nen und he­gen. Sag’ ihr das.

      Aber warum sagst du es ihr nicht selbst?

      Nein, nein, es gäbe Sze­nen und Trä­nen, und dar­über ver­flö­gen mir die schöns­ten Ge­dan­ken. – Leb’ wohl, Har­ry, und Dank!

      Da­mit stürm­te er die Trep­pe hin­un­ter.

      Ich fand Sel­ma in großer Er­re­gung, wie ich ge­fürch­tet hat­te.

      Gu­stav ist krank, rief sie mir schon an der Schwel­le ent­ge­gen. Er hat die gan­ze Nacht sich nicht ge­legt, und heut ist er in al­ler Frü­he fort­ge­gan­gen, was er nie­mals tut.

      Nein, Sel­ma, sag­te ich. – Jetzt wird er erst ge­sund. Bis­her hat­ten Sie einen heim­li­chen Kran­ken im Haus, aber nun wird er ge­ne­sen.

      Ich rich­te­te ihr Gu­stavs Auf­trag aus, den sie ganz ent­geis­tert mit sto­cken­dem Atem an­hör­te. Ich be­schwor sie mit al­ler Be­red­sam­keit, die ich auf­brin­gen konn­te, ihn nicht zu su­chen noch zu­rück­zu­ru­fen, auch wenn er wo­chen­lang aus­blei­be, sich nicht zwi­schen ihn und sein Werk zu drän­gen.

      Die lei­den­schaft­li­che Frau brach in Trä­nen aus.

      Also ich bin schuld, wenn sein größ­tes Werk stock­te? rief sie bit­ter.

      Nicht Sie, er er­kennt es aus­drück­lich an. Nur das über­große Glück, das an die Erde ket­tet und die Lust zu ho­hen Flü­gen lähmt.

      Sie be­ru­hig­te sich all­mäh­lich.

      So­lang er nur kei­ne an­de­re Frau mir vor­zieht, will ich mich in al­les schi­cken, will mit al­lem zu­frie­den sein, sag­te sie, ihre Trä­nen trock­nend.

      Ich be­teu­er­te ihr mit gu­tem Ge­wis­sen, dass sie von an­de­ren Frau­en nichts zu fürch­ten habe, denn ich kann­te mei­nen Freund und wuss­te, dass es für ihn im Grun­de gar kei­ne Lie­be gab als die zur Kunst, was ich sie na­tür­lich nicht mer­ken ließ.

      Sie woll­te wis­sen, wie lan­ge die­ses Werk ihn in An­spruch neh­men wür­de, ob es in vier, in sechs Wo­chen fer­tig sein kön­ne. Ich setz­te ihr aus­ein­an­der, dass das Gan­ze eine Sa­che von Mo­na­ten, bei Gu­stavs un­be­re­chen­ba­rer Ar­beits­wei­se viel­leicht von Jah­ren sei, und dass es viel von ihr ab­hän­ge, wie rasch oder wie lang­sam er die Auf­ga­be löse, dass er aber ganz ge­wiss, so­bald er nur mit dem Gröbs­ten fer­tig sei, zu ihr zu­rück­keh­ren wer­de, um sein Werk im ein­zel­nen durch­zu­ar­bei­ten und aus­zufei­len.

      Gleich be­gann sie nun zu über­le­gen, wie sie ihm bei der Ar­beit den größt­mög­li­chen Vor­schub leis­ten kön­ne. Zu­nächst, sag­te sie, müss­te nun schon der Haus­halt in der Stadt wei­ter­ge­hen, an die sie durch ihre Ver­pflich­tung ge­bun­den sei, Gu­stav sol­le aber, wenn er zu­rück­kom­me, ganz für sich sein, sie wol­le noch mehr als bis­her jede Stö­rung fern­hal­ten und gar kei­ne An­sprü­che mehr an ihn stel­len. Er sol­le sie nicht ein­mal se­hen, un­sicht­ba­re Hän­de soll­ten ihn be­die­nen, er sol­le bei Nacht ar­bei­ten und am Tage schla­fen, wenn ihm das lie­ber sei. Für den Hoch­som­mer aber, für die Zeit der Thea­ter­fe­ri­en, wis­se sie einen Platz wie ge­schaf­fen für ihn: hoch über dem Bo­den­see ein ein­sa­mes Ge­höft in ent­zückend schö­ner Ein­öde, das zu ver­mie­ten sei. Dor­thin fin­de kein Be­such, nicht ein­mal die Zei­tung den Weg. Brie­fe und Vor­rä­te müs­se man ein­mal die Wo­che aus Hei­den her­auf­ho­len las­sen. Ein Knecht sei dort, der die Bo­ten­gän­ge be­sor­ge und dem man auch die Be­die­nung über­tra­gen kön­ne. Sie wol­le nicht ein­mal ihr Mäd­chen mit­neh­men, wol­le sel­ber ko­chen, da­mit er durch kei­nen Laut ge­stört wer­de und glau­ben kön­ne, der ein­zi­ge Mensch auf ei­nem ganz un­be­wohn­ten Gestirn zu sein.

      In die­sen gu­ten Ab­sich­ten be­stärk­te ich sie, so sehr ich konn­te und schied voll Ver­trau­en in Gu­stav Borcks neu auf­ge­hen­den Stern. Sie nahm mir noch beim Ge­hen das fes­te Ver­spre­chen ab, dass ich ihr je­der­zeit, wenn ich mich in er­reich­ba­rer Nähe be­fän­de, auf den ers­ten Ruf zu Hil­fe ei­len wür­de, weil ich Gu­stavs ein­zig wahr­haft er­ge­be­ner und ver­ste­hen­der Freund sei. Dr. Ber­ka sei doch nur ein Schwamm, der sei­nen Geist aus­sau­ge, und Ruh­land kön­ne ge­gen Gu­stav nicht ge­recht sein, denn er habe von al­lem An­fang an nur sie ver­ehrt und sei ihr dar­um viel we­ni­ger lieb als ich, des­sen Freund­schaft schon im­mer ih­rem Gat­ten ge­hört habe. In die­sen Wor­ten der gu­ten, hin­ge­ben­den See­le lag für mich die gan­ze Sel­ma.

      Gu­stav war üb­ri­gens, wie ich gleich ver­mu­te­te, nur ei­ni­ge Bahn­stre­cken auf­wärts ge­fah­ren, um sich in sei­nem al­ten Turm­zim­mer über dem Flus­se, das zu­fäl­lig ge­ra­de frei war, nie­der­zu­las­sen. Nach kur­z­em aber trieb ihn der Man­gel sei­ner Bü­cher und an­de­rer Hilfs­mit­tel, die er ver­miss­te, nach Hau­se zu­rück. Ich er­fuhr es gleich durch Sel­ma, die mir einen ih­rer drol­li­gen klei­nen Zet­tel nach­flie­gen ließ, der mich noch vor Ab­gang des Schif­fes in Ham­burg er­reich­te:

      Pst! pst! Er dich­tet an der Va­rus­schlacht. Das Frau­chen geht auf St­rümp­fen durchs Haus und lernt ihre Rol­len in der Wasch­kü­che.

      Dar­über stand mit Gu­stavs großer küh­ner Hand­schrift:

      Sieg! Sieg! Das La­ger ist ge­stürmt, die Le­ga­ten fal­len. Wo­tan und die Siegs­göt­ter kämp­fen mit uns, die Ad­ler sind er­beu­tet. Ger­ma­nen und Rö­mer gleich groß in Va­ter­lands­lie­be und To­des­ver­ach­tung.

      Es klang fast wie eine De­pe­sche vom Kriegs­schau­platz. quer­durch war noch ge­schrie­ben:

      Wohl ist den Wahl­göt­tern, wisst ihr, was das be­deu­tet?

      *

      Mein Ge­schäft in Ame­ri­ka war schnell er­le­digt, doch trat dort ein Er­eig­nis ein, das für mein Le­ben fol­gen­reich wur­de. Bei ei­nem Gar­ten­fest in Phil­adel­phia hat­te ich ein rei­zen­des Prin­zeß­chen ken­nen­ge­lernt und mein Herz so un­be­dacht ver­lo­ren, dass ich durch einen Ring ge­bun­den war, be­vor wir Zeit ge­habt hat­ten, un­se­re Na­tu­ren an­ein­an­der zu prü­fen. Nun hieß es vor al­lem, eine fes­te und ein­träg­li­che Stel­lung schaf­fen un­ter Ver­zicht auf das hö­he­re Ziel, das mir vor­ge­schwebt hat­te, die aka­de­mi­sche Lauf­bahn. Ich stell­te mich auf der Schrift­lei­tung des »He­rald« vor, wo ein Freund von mir einen ein­fluss­rei­chen Pos­ten ein­nahm, und wo ich schon durch wie­der­hol­te Bei­trä­ge emp­foh­len war, be­son­ders nach­dem ich zum Bes­ten sei­ner Le­ser heim­lich im Münch­ner Thea­ter ei­ner je­ner Son­der­vor­stel­lun­gen an­zu­woh­nen ge­wagt hat­te, die kei­ne Zuschau­er ha­ben soll­ten als den ein­sa­men jun­gen Ro­man­ti­ker in der Kö­nigs­lo­ge. Als Be­richt­er­stat­ter


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