Gesammelte Werke. Isolde Kurz
will? Ich habe eine große Wohnung, wo für beide Raum ist, und ich werde ihn in nichts stören. Der Mann schreibt die Rollen, die Frau spielt sie. Und die Nähe des Theaters wird ihn viel rascher vorwärtsbringen, als die einsame Studierlampe im Türmchen über dem Neckar.
Es kam allerliebst mit leisem Wiener Anklang aus dem Munde des verwöhnten jungen Wesens, dieses verliebte Drängen, und überzeugend klang es auch; ich mochte mich aber doch nicht in so kitzliche Dinge mischen. Allein es war leicht zu sehen, dass Selma nicht ruhen würde, bis sie ihren Willen erzwungen hatte. Sie zeigte sich, wo sie nur konnte, an seiner Seite und setzte geflissentlich alle Zungen in Bewegung, um ihn zu einem rascheren Entschluss zu nötigen. Im ganzen Lande sprach man von der Wahl der gefeierten Künstlerin. Er brachte auch schon die meiste Zeit bei ihr in Stuttgart zu. Als er einmal ganze acht Tage zu Hause und bei der Arbeit blieb, kam sie selbst im Schlitten herübergefahren und versetzte mit der Pracht ihres Pelzwerks und dem reizenden Gesicht, das daraus hervorsah, das kleine Städtchen, das solchen Glanz noch nicht kannte, in wahren Aufruhr.
Grenzenlos war der Neid, den Gustavs Glück erregte.
Soll denn Einer alles habend sagte Heinrich Sommer voll Ingrimm, als er die Beiden am Gasthofstisch beisammen sitzen sah. Denn Gustav weigerte sich aus Ritterlichkeit, die schöne Braut auf sein Turmzimmerchen zu führen, wonach sie heftig verlangte.
Nur Kuno Schütte war aus entgegengesetzten Gründen außer sich über die Verlobung, die er Gustavs Abfall von seinem Genius nannte.
Diese Ehe wird sein Unglück werden, sie ist gegen seine Bestimmung, sagte er, und als ich erwiderte, dass sie vielmehr seiner Bestimmung entgegenkomme, weil sie für ihn der kürzeste Weg zur Bühne sei, erwiderte er düster:
Nein, nein, ich weiß es anders.
Fanatisch besorgt, wie er war für des Freundes Wohl, verlangte er von mir, ich sollte Gustav von der Verbindung mit Selma abraten, und da ich die Zumutung ablehnte, sagte er:
So bleibt mir nichts übrig, als selber mit ihm zu reden. Ich bin bestellt ihn zu warnen, aber es geschähe schonender durch dich.
Auf meine Frage, woher er denn das Recht ableite, sich gewaltsam in das Schicksal eines Freundes einzudrängen, antwortete er, es gebe besondere Fälle, die jede Unzartheit rechtfertigten, ja geböten.
Weißt du, was es ist, sagte er, das dich plötzlich mit unwiderstehlicher Gewalt zu einem Menschen zieht und dich für immer an ihn fesselt? Er hat dir vielleicht vor unvordenklichen Zeiten – sind’s Jahrtausende, sind’s Jahrmillionen? – einen ungeheuren Dienst geleistet, den du jetzt vergelten sollst, auch gegen seinen Willen. Du fühlst, dass du musst, und fragst nicht weiter. So diene ich Gustav Borck und kann nicht anders. – Auch Gustav Borck hat solche Erinnerungen, von denen er nichts weiß. Warum schlug er sich für Olaf Hansen? Warum hieß er ihn wiederkehren? Denkst du noch an dieses Wort »Wiederkehren«, und wie es mich durchrieselte? Es sprach aus ihm heraus, er selber wusste es nicht.
Der seltsame Mensch ließ sich auch wirklich nicht abhalten und bestürmte den Freund, seine Verlobung rückgängig zu machen.
Die Kleinen mögen eilen sich ein kleines Glück zu schmieden, sagte er. Aber wer Großes will, muss einsam sein. Nur wenn du allein bist, gehörst du dir selbst und der Gottheit, der du dienen sollst.
Es scheint auch, dass seine Worte an eine zugängliche Stelle in Gustavs Gemüt rührten. Aber er war zu verliebt, und Selma zog zu stark, um ihn schwankend werden zu lassen.
Olafs Tod und Gustavs Verlobung hatten unsern schönen Kreis zersprengt. Es gab keine Sitzungen mehr bei Molfetta. Wenn ich ab und zu noch einmal aus alter Gewohnheit abends im Anrichtstübchen eintrat, fand ich nur Heinrich Sommer, der jetzt an Olafs Stelle Adele mit sehnsüchtigen Blicken ansah, was sich zu seinem groben blatternarbigen Gesicht recht komisch ausnahm. Adele aber achtete so wenig auf ihn, wie sie einst auf Olaf geachtet hatte. Sie ging jetzt immer ganz schwarz und hatte tiefumränderte Augen, in deren Blick etwas seltsam Starres lag. An ihren freien Tagen machte sie lange einsame Spaziergänge; man sah sie oft auf dem oberen Neckarsteg stehen und mit verschränkten Armen unverwandt ins Wasser blicken. Ich glaubte, dass sie so tief um Olaf traure, denn sie trug sein Bild in einer goldenen Kapsel um den Hals und trieb einen reuigen Kult mit seinem Andenken. Nach Gustav schien sie nicht mehr zu fragen, er setzte auch niemals wieder den Fuß ins Haus.
Als das Eis ging und die Frühjahrsgewitter kamen, trat plötzlich der Neckar aus seinen Ufern und überschwemmte weithin die flache Gegend zu seiner Rechten mit gelbbraunen Wassermassen, denen die sonst beinahe trockene Steinlach gewaltigen Zuwachs aus dem Gebirge brachte. Die dreifache Reihe der Baumstraßen ragte nur mit den kahlen Spitzen aus der Überschwemmung, auch der ferner gelegene Bahnhof stand tief im Wasser. Der hölzerne Steg war über Nacht eingebrochen, und die ehrwürdige Neckarbrücke wurde der Sicherheit wegen für den Verkehr abgesperrt, denn der tollgewordene Fluss brachte mächtige Tannenstämme mit, die er unterwegs einem unglücklichen Floß entrissen hatte, und berannte mit diesen die Brückenpfeiler. Während zweier Tage konnte man gar nicht zum Bahnhof gelangen, das Wasser hielt uns eingeschlossen wie ein Belagerungsheer. Aber es war ein großartiger Anblick, besonders von Gustavs vorgeschobenem Türmchen aus, gegen das die Wellen Sturm liefen.
Mit einemmal stand Kuno Schütte im Zimmer.
Wisst ihr, dass Adele verschwunden ist?
Gustav erblasste auffallend.
Sie soll sich gestern Abend spät entfernt haben, um dem Steigen des Wassers zuzusehen, und ist nicht mehr nach Hause gekommen. Die Ihren fürchten, dass sie mit dem Steg eingebrochen sei.
Die ganze Einwohnerschaft geriet in Bewegung, die Studenten voran, und man suchte mehrere Tage lang vergeblich die Ufer des schon wieder gefallenen Neckars ab. Erst, als die Wasser sich ganz verlaufen hatten, zog man sie bei Wannweil aus dem Rechen einer Mühle. Wir bestatteten sie zur Ruhe, nur wenige Schritte von Olafs Grab. Ihr Tod, der mit dem Einsturz des Steges in Verbindung gebracht wurde, galt für einen Unglücksfall. Gustav aber schien etwas anderes zu denken, es trieb ihn um wie ein böses Gewissen, dass er sein Stübchen kündigte und die Stadt verließ.
Später erfuhr ich durch Selma, die ihr eine herzliche Teilnahme widmete, das unglückliche Mädchen habe sich nach dem Duell in fesselloser Leidenschaft in Gustavs Arme stürzen wollen und sei von ihm, der keine Bindung wollte, herb zurückgewiesen worden. Sie fürchteten beide, dass sie durch Scham und Kummer in den Tod getrieben worden sei. Andere meinten, eine verspätete Liebe zu Olaf Hansen sei der Grund ihres