Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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of­fe­nen Fens­ter und schau­ten in die Früh­lings­nacht hin­aus; der Neckar rausch­te lei­se am Fuß des Tur­mes vor­bei, und die noch un­be­laub­ten Pla­ta­nen überm Flus­se drü­ben neig­ten sich im Wind. Gu­stavs Stim­me, die er dämpf­te, um von den Nach­bar­fens­tern nicht ver­nom­men zu wer­den, war wie ein ma­gi­sches Rau­nen um mich her. Un­ten glitt ein Boot mit un­kennt­li­chen Ge­stal­ten, von de­nen eine die Mund­har­mo­ni­ka blies, auf dem dunklen Was­ser hin; mir war’s als zö­gen Hel­den und Bar­den der Vor­welt, von ihm be­schwo­ren, leib­haft vor­über. – –

      In den Flug­schrif­ten sei­nes Ver­wand­ten, die er mir auf mei­ne Bit­te mit nach Hau­se gab, lern­te ich gleich­falls einen merk­wür­di­gen Men­schen ken­nen, der mich in vie­lem an den Nef­fen er­in­ner­te. Es war die­sel­be rück­sichts­lo­se, fa­na­ti­sche Hin­ga­be an die Sa­che beim einen wie beim an­dern. Be­son­ders zog mich sei­ne letz­te Schrift über die Gni­ta­hai­de an. Sie trug das Mot­to: Wohl ist den Wahl­göt­tern, wisst ihr, was das be­deu­tet? Die­ses dunkle Ed­da­wort be­deu­te­te nach ihm den Ju­bel der Ger­ma­nen­stäm­me über den Un­ter­gang der Le­gio­nen. All­mäh­li­che Ver­dun­ke­lung und Ver­wir­rung der münd­li­chen Über­lie­fe­run­gen und die Furcht vor dem Fa­na­tis­mus der christ­li­chen Pries­ter, in de­nen die Rö­mer­macht sich ver­kappt aufs neue ein­ge­schli­chen habe, um alle al­tei­li­gen Erin­ne­run­gen des Vol­kes aus­zu­til­gen, sei­en für die spä­ten Samm­ler auf Is­land der An­lass ge­we­sen, die ge­ret­te­ten Res­te der al­ten Hel­den­lie­der in so ge­heim­nis­vol­le Hül­len zu ver­ste­cken. Aber ein Merk­mal hät­ten sie doch dem Sieg­fried an­ge­hef­tet, das ihn als Ar­min ver­ra­te: das strah­len­de Auge, das Sieg­fried­s­au­ge, dem nie­mand stand­hält, ma­che den Re­cken der Nif­lun­ge als den ge­schicht­li­chen Stam­mes­hel­den kennt­lich, dem nach dem Zeug­nis des Tod­feinds das un­ge­wöhn­li­che Feu­er der See­le aus Au­gen und Ant­litz strahl­te. Die Schrift war fes­selnd ge­schrie­ben, und so­lan­ge man las, stand man im Ban­ne des Ver­fas­sers. Aber am Schlus­se war man doch froh, wenn man sich schüt­teln konn­te und Ar­mi­ni­us wie­der Ar­mi­ni­us, Sieg­fried Sieg­fried war. Au­gen­schein­lich war ein geist­rei­cher Ein­fall, der den gan­zen Un­ter­su­chun­gen zum Aus­gangs­punkt ge­dient hat­te, in der Schrift so dar­ge­stellt, als ob er viel­mehr de­ren En­d­er­geb­nis wäre, und die Früch­te ei­ner sel­te­nen Be­le­sen­heit wa­ren will­kür­lich an­ein­an­der­ge­reiht, um ge­walt­sam die­sen Ein­fall zu stüt­zen. Das muss­te von vorn­her­ein den schroffs­ten Wi­der­spruch der Fach­leu­te her­aus­for­dern. Auch ließ der über­reiz­te Ton das Ver­häng­nis ah­nen, dem der un­glück­li­che For­scher ent­ge­gen­ging.

      *

      Dann kam der Abend, wo Gu­stav in sei­nem Stüb­chen mir, Olaf Han­sen und Kuno Schüt­te bei ver­schlos­se­ner Tür den fer­ti­gen Teil sei­ner Dich­tung vor­las. Ar­mer Sha­ke­s­pea­re, noch är­me­rer Kleist, was wart ihr an je­nem Abend ge­gen Gu­stav Borck! Un­ser Dich­ter war ja ein Jüng­ling und Jüng­lin­ge wa­ren die Hö­rer; wo aber Ju­gend gibt und nimmt, da geht es über­schweng­lich her. Und wie viel wun­der­ba­rer in die Esse zu bli­cken, wo die rot­durch­glüh­ten Ge­stal­ten der Dich­tung sich zu for­men be­gin­nen, als das schöns­te Werk fer­tig vor sich zu se­hen. Denn das Fer­ti­ge steht da, als wäre es von je ge­we­sen, im ent­ste­hen­den Wer­ke glaubt man den hei­ßen Hauch der Gott­heit sel­ber zu spü­ren. Mag aber auch zu un­se­rem Rausch die ei­ge­ne Ju­gend und der Glau­be an den Ver­fas­ser das meis­te ge­tan ha­ben, doch füh­le ich noch heu­te in der Erin­ne­rung et­was von dem Zau­ber je­nes Abends, wo ich glaub­te, dem Auf­gang ei­nes neu­en Zeit­al­ters in der Dich­tung an­zu­woh­nen.

      Wir lern­ten einen glän­zen­den, rö­misch ge­bil­de­ten Ar­mi­ni­us ken­nen, der den Rö­mern un­ver­däch­tig ist, weil ihn nicht nur die hohe Aus­zeich­nung des rö­mi­schen Bür­ger­rechts und der rö­mi­schen Rit­ter­wür­de, die ihm al­lein vor al­len Bar­ba­ren­fürs­ten ver­lie­hen ist, son­dern mehr noch die ei­ge­ne An­la­ge über sein Volk hin­aus­ge­ho­ben und den Über­win­dern zu­ge­sellt hat. Aber als lang­jäh­ri­ger La­ger­ge­nos­se des Ti­be­ri­us hat er von den Rö­mern nicht nur die Kriegs­kunst ge­lernt, son­dern auch die Kunst des Beo­b­ach­tens und Ab­war­tens, des lei­sen Auf­tre­tens und des har­ten An­pa­ckens. Und das Rö­mer­tum klebt ihm nicht auf der Haut wie sei­nem Bru­der Fla­vi­us, der den Dienst bei den frem­den Herrn als Ehre emp­fin­det, es ist nur ein Man­tel, der auch ab­ge­wor­fen wer­den kann. Wird der jun­ge Held ihn ab­wer­fen? Die­se Fra­ge stell­ten die ers­ten Sze­nen in be­klem­men­der Span­nung auf. Zu der rö­mi­schen Ver­füh­rung hat­te der Dich­ter noch eine an­de­re Macht hem­mend in sei­nen Weg ge­stellt: die Lie­be. Se­ge­s­tes, der Rö­mer­knecht, durch­schaut al­lein den Zwie­spalt in der Brust des Jüng­lings, und um ihn füg­sam zu er­hal­ten, hat er ihm die herr­li­che Toch­ter an­ver­lobt, aber die Hoch­zeit dem Un­ge­dul­di­gen un­ter im­mer neu­en Vor­wän­den ver­scho­ben. Für einen Au­gen­blick scheint das Schick­sal von Thuis­ko­land an der Dün­ne ei­nes Frau­en­haa­res zu schwe­ben. Denn schon zieht Va­rus über den Rhein, und sei­ne ers­ten Bot­schaf­ten, die wie Be­feh­le klin­gen, ent­hül­len dem Che­rus­ker­fürs­ten die Ab­sich­ten Roms und die Rol­le, die ihm selbst als Voll­stre­cker zu­ge­teilt ist. Und hier be­ginnt sei­ne ent­schlos­se­ne Um­kehr zu den hei­mi­schen Al­tä­ren. Doch der Held will nicht zwi­schen der Lie­be und der Frei­heit wäh­len, son­dern bei­de be­sit­zen. Aus ih­rer vä­ter­li­chen Burg an der We­ser raubt er mit küh­nem Hand­streich die Braut und fei­ert sei­ne Hoch­zeit mit ihr, wäh­rend im Nach­bar­land die ers­ten Flam­men der bren­nen­den Dör­fer auf­pras­seln, die Va­rus bei sei­nem Durch­gang im Rücken lässt. Flüch­ten­de Wei­ber und Kin­der, der Rauch ge­plün­der­ter Sie­de­lun­gen kün­det sein Kom­men an. Der jun­ge Fürst ver­birgt sei­nen Zorn in tiefs­ter See­le und ver­schließt den Hil­fe­ru­fen der Sei­nen das Ohr; als Freund zieht er dem Rö­mer­feld­herrn ent­ge­gen, der gleich­falls un­ter dem Deck­man­tel der Freund­schaft kommt, um, von Se­ge­s­tes ge­ru­fen, die ewi­gen Grenz­hän­del der deut­schen Stäm­me fried­lich zu schlich­ten. Dar­über sind auch dem Nach­bar­kö­nig Mar­bod die Au­gen auf­ge­gan­gen, er sen­det heim­lich Bo­ten, um den Sinn des Che­rus­kers zu er­for­schen. Die­ser aber hält sie mit hal­b­en Wor­ten in der Schwe­be, denn schon wälzt er in der ver­schlos­se­nen Brust Ent­wür­fe, die kei­nen Mar­bod zum Mit­wis­ser wol­len. Mit dem Er­schei­nen ei­nes spuk­haf­ten al­ten Weib­leins, halb Se­he­rin, halb Nor­ne, das dem Hel­den einen Stab mit al­ten Ru­nen­zei­chen über­reicht, en­dig­te der ers­te Teil, der nur ein kur­z­es Vor­spiel dar­stell­te.

      Breit und mäch­tig, viel­leicht nur all­zu breit, war das zwei­te Stück, die Va­rus­schlacht, an­ge­legt. Die Hand­lung be­gann mit rö­mi­scher Schwel­ge­rei im Som­mer­la­ger des Va­rus, den sei­ne ers­ten Wor­te als be­schränk­ten, selbst­ge­fäl­li­gen, in sein Rö­mer­tum blind ver­lieb­ten Ge­cken zeig­ten. Ohne einen Trop­fen Sol­da­ten­blut im Leib und mit ei­ner lä­cher­li­chen Ju­ris­te­na­der be­haf­tet, die ihn treibt, aus dem Schein des Ge­richt­hal­tens und Hän­del­sch­lich­tens Ernst zu ma­chen. Die Un­ter­wer­fung Ger­ma­ni­ens, die das rö­mi­sche Schwert be­gon­nen hat, soll nach sei­ner Mei­nung das rö­mi­sche Recht vollen­den. Mit To­des­ur­tei­len und ent­eh­ren­den Stra­fen sucht er die Frei­ge­bo­re­nen heim, scham­lo­se Er­pres­sung geht ne­ben­her. Wie das Volk be­schaf­fen ist, in des­sen Mit­te er sich nie­der­lässt, wie es denkt und emp­fin­det, da­nach fragt er nicht, wenn es nur die Steu­ern zahlt, die er ihm


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