Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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in Deutsch­land an dem Ver­such, die Stäm­me un­ter ei­ner star­ken Faust zu ei­ni­gen, bei der Bal­der­fei­er am Sonn­wend­tag durch Ver­wand­ten­mord zu­grun­de geht.

      Las­sen Sie nur erst die Va­rus­schlacht et­was wei­ter vor­ge­rückt sein, sag­te er, so sol­len Sie einen Vor­schmack vom Gan­zen be­kom­men. Sie und Olaf und un­sern treu­en Schüt­te habe ich mir im­mer als mei­ne ers­ten Zu­hö­rer ge­dacht. Ihr seid auch mei­ne heim­li­chen Mit­ar­bei­ter, Ihr drei, aber das wird Ih­nen erst beim Le­sen auf­ge­hen.

      Sei­ne Auf­ge­räumt­heit wur­de im­mer fie­ber­haf­ter, er ließ mich nicht mehr fort, und da ihm jetzt plötz­lich ein­fiel, dass er seit dem Früh­stück noch nüch­tern war, hol­te er aus dem Schrank eine Fla­sche Wein und et­was Zwie­back, sei­ne ein­zi­ge Nah­rung in je­nen Ta­gen des Über­schwangs. In der Auf­re­gung stieß er ein Fa­mi­li­en­bild, das auf der Kom­mo­de stand, her­un­ter, dass es klir­rend zer­brach.

      Ich neh­me das böse Omen für sein Ge­gen­teil, rief er mit wil­der Lus­tig­keit, wäh­rend wir die Scher­ben auf­la­sen. Wenn die Göt­ter ein­ge­zo­gen sind, müs­sen die Göt­zen fal­len. Die Fa­mi­lie ist der Ober­göt­ze, der die Kind­lein auf sei­ne glü­hen­den Mo­loch­ar­me nimmt, dass sie ver­koh­len. Wie an­ders wäre ich ge­wor­den ohne die­sen rot­ge­heiz­ten Bal. Be­trach­ten Sie sich ein­mal den al­ten Herrn hier auf dem Bil­de. Glei­chen wir uns nicht wie zwei Was­ser­trop­fen, ab­ge­se­hen vom Le­bensal­ter? Sind das nicht die­sel­ben Au­gen­kno­chen, der­sel­be har­te Schnitt von Kinn und Nase? Es ist die Fol­ge der lan­gen Züch­tung und Zucht, dass ich kein an­de­res Ge­wand be­kom­men konn­te, dass ich nun auch die ver­erb­te preu­ßi­sche Uni­form durchs Le­ben mit mir tra­ge. Eben­so hät­te man mir die See­le nach al­tem Fa­mi­li­en­mus­ter ge­mo­delt, wäre ich nicht mit dem Geist des Wi­der­spruchs ge­bo­ren. Und doch, was ma­chen Ge­wohn­heit und Er­zie­hung aus! Von mei­nem vier­ten Jah­re an führ­te mich der alte Herr zu mei­nem Ge­burts­tag je­des Mal vor ein Glas­schränk­chen, worin zwei Fa­mi­li­en­stücke la­gen: das Ei­ser­ne Kreuz, das der Groß­va­ter sich bei Leip­zig ge­holt hat, auf ro­tem Sam­met­kis­sen, und auf ei­nem schwar­zen die Pis­to­le, mit der sein eig­ner Bru­der sich we­gen un­be­zahl­ter Ehren­schul­den auf vä­ter­li­chen Be­fehl er­schoss. Die nach­träg­li­che ge­wis­sen­haf­te Til­gung der Schuld hat die Fa­mi­lie in Ar­mut ge­stürzt und das Ge­müt des Al­ten ver­här­tet. Die ers­te Stun­de Mü­ßig­gang, pfleg­te er mir mit er­ho­be­nem Fin­ger zu sa­gen, ist der ers­te Schritt auf dem Weg zum Ab­grund. »Mü­ßig­gang« war ihm al­les, was nicht zum Dienst ge­hör­te. Soll­ten Sie es glau­ben, dass ich noch jetzt un­ter dem Dich­ten plötz­lich den Ein­druck habe, als sähe der alte Herr mir dro­hend über die Schul­ter, und ich müss­te schnell mein Blatt vor ihm ver­ste­cken, um ir­gend­ein Ge­ne­ral­stabs­werk oder das Cor­pus ju­ris zur Hand zu neh­men. Ich wer­de noch Zeit ge­nug brau­chen, be­vor ich mir für mein Werk das freie Ge­wis­sen er­obe­re.

      Er ver­schloss das be­schä­dig­te Bild im Schub­fach und füll­te die Glä­ser. Ich muss­te mit ihm an­sto­ßen auf die glück­li­che Ge­burts­stun­de sei­nes Che­rus­kers.

      Schla­gen Sie den Dau­men ein, dass mir kein an­de­rer zu­vor­kommt, sag­te er. Seit ich im Zuge bin, mei­ne ich, tau­send Hän­de müss­ten sich nach die­sem Stof­fe aus­stre­cken, der der höchs­te Vor­wurf un­se­rer tra­gi­schen Muse ist. Wenn ei­ner nach­sin­nend un­ter den Pla­ta­nen da drü­ben auf und ab geht, so fra­ge ich mich, ob er nicht eben an ei­ner Her­manns­schlacht dich­tet. Er­mor­den könn­te ich den Dieb, der das wag­te, denn die­ser Stoff ist mein. Er hat ja mich ge­wählt, nicht ich ihn. Sie se­hen mich ver­wun­dert an? Wis­sen Sie denn nicht, dass die Kunst­wer­ke ihr Ei­gen­le­ben ha­ben und im­mer lan­ge vor ih­ren Schöp­fern da­ge­we­sen sind? Ech­te Dich­tung ist kein Men­schen­werk, sie ist von Ur­be­ginn vor­han­den. Sie ist nur stumm, bis sich das rech­te Sai­ten­spiel fin­det, auf dem sie tö­nen kann. Erin­nern Sie sich, was Kuno Schüt­te ein­mal vor­brach­te von den un­ge­bo­re­nen See­len, die im All um­her­stäu­ben, um sich ihre Er­zeu­ger zu su­chen? Er hat völ­lig recht, nur dass es auf die Kunst­wer­ke geht, was er von den Men­schen­see­len glaubt. Im­mer schwe­ben die Flü­gel der un­ge­bo­re­nen Dich­tun­gen um uns her, zu­wei­len hö­ren wir ihr Rau­schen, ein hal­b­es Wort, ein wort­lo­ser Rhyth­mus dringt an un­ser Ohr, eine Ge­stalt wird zur Hälf­te sicht­bar, dann weiß ich, das sind die Mei­nen, die mich su­chen, die ich su­chen soll, weil sie ohne mich nicht le­ben kön­nen. Es war ja doch kein Zu­fall – und wo gibt es einen sol­chen? dass ich da­mals zu dem Fund der Huf­ei­sen kam. Es war die un­ge­bo­re­ne Ar­mi­ni­us­dich­tung, die mich an jene Stel­le zog, um mei­nen Geist zu we­cken. Mei­nen Freund und Er­zie­her hat mich das ge­kos­tet, den ein­zi­gen Füh­rer mei­nem Ju­gend: er glaub­te den Schatz in an­de­rer Ge­stalt zu he­ben und wur­de das Op­fer sei­nes Wahns, denn der Au­ser­wähl­te, dem es galt, war ich.

      Ist das Ge­nie oder Wahn­sinn oder bei­des? dach­te ich, und um nur wie­der den Bo­den un­ter den Fü­ßen zu füh­len, frag­te ich schnell:

      Was ist aus Ihrem Bluts­freund ge­wor­den?

      Der Un­glück­li­che hat­te sich mit sei­nen Un­ter­su­chun­gen über die Ört­lich­keit der Va­rus­schlacht auf ein Ge­biet ge­wagt, wo er nicht von Hau­se aus zu­stän­dig war, und das ver­zeiht die schul­mä­ßi­ge Wis­sen­schaft schwer. Da er ge­gen die Mei­nun­gen nam­haf­ter Ge­lehr­ter an­s­tieß, wur­den die sei­ni­gen ge­ring­schät­zig ab­ge­tan und die Fach­zeit­schrif­ten ver­schlos­sen sei­nen Ent­geg­nun­gen die Spal­ten. Aber er war nicht der Mann, sich un­ter­krie­gen zu las­sen, er ver­fass­te eine Rei­he von Streit­schrif­ten, die er un­ent­gelt­lich ver­sand­te, und um sich ganz dem zu wid­men, was er für sei­ne Le­bens­auf­ga­be hielt, leg­te er so­gar sein Amt nie­der. Er ließ auf ei­ge­ne Kos­ten Gra­bun­gen aus­füh­ren und nahm selbst den Spa­ten in die Hand. Da­bei kam eine Mün­ze aus der Zeit Au­gusts und ein läng­li­ches, stark zer­fres­se­nes Ei­sen­stück zu­ta­ge, das er so­fort für ein Rö­mer­schwert er­klär­te, das aber frei­lich al­les an­de­re eben­so gut sein konn­te. Die­se Fun­de be­stärk­ten ihn in ei­ner ganz ver­mes­se­nen Hoff­nung: er hat­te sich nichts Ge­rin­ge­res vor­ge­setzt als je­nen rö­mi­schen Ad­ler aus­zu­gra­ben, den an dem Schre­ckens­tag der Ad­ler­trä­ger von der Stan­ge brach, um sich mit ihm in den blut­ge­tränk­ten Sumpf zu stür­zen. Wehe dem, der ihm ent­ge­gen­hal­ten woll­te, dass nach ei­nem spä­te­ren Be­richt der Ad­ler wie­der auf­ge­fischt und nach Rom zu­rück­ge­schickt wor­den sei. Lug und Trug ist al­les, rief er mit rol­len­den Au­gen; ein fre­ches Gau­kel­spiel des Ger­ma­ni­kus, der den rö­mi­schen Hoch­mut kit­zeln woll­te. Und er konn­te ge­gen den Ger­ma­ni­kus to­ben, als ob er sein Zeit­ge­nos­se wäre. Ohne den Spott der Ein­woh­ner­schaft und der Pres­se zu be­ach­ten, ließ er Sümp­fe und Moor­grün­de des Teu­to­bur­ger Walds durch­wüh­len und ar­bei­te­te trotz sei­ner Jah­re im­mer sel­ber mit. Den Ad­ler fand er nicht, da­ge­gen hol­te er sich den Keim ei­nes schwe­ren Ty­phus, der den al­ten Mann dem Tode nahe brach­te. Zwar riss er sich durch, aber nicht zu sei­nem Heil: von der Krank­heit blieb ihm eine Reiz­bar­keit und fan­tas­ti­sche Sprung­haf­tig­keit, die ihm vor­her ganz fremd ge­we­sen war. Je­der Wi­der­spruch brach­te ihn au­ßer sich, er konn­te sich kaum noch mit den Nächs­ten ver­tra­gen und ver­biss sich in längst wi­der­leg­te Irr­tü­mer, die auch den wert­vol­len Teil sei­ner For­schun­gen in schie­fes Licht setz­ten. Ich war der ein­zi­ge Mensch, der ihn noch zu be­han­deln ver­stand, wenn ich auf Ur­laub nach Pa­der­born her­über­kam,


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